Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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A. R. Meyer, zu Hause in Wilmersdorf, Waghäuseler Straße 8, hat ihn auf eine leerstehende Wohnung aufmerksam gemacht, die sich bei ihm um die Ecke befindet. Sie liegt im dritten Stock des linken Seitenflügels der Babelsberger Straße 13. Das neue Zuhause der Zechs ist um einiges größer als ihre Mansarde in Elberfeld. Es verfügt über ein Wohnzimmer mit Balkon, eine Küche, zwei Kammern und ein Schlafzimmer. Die Familie zieht in einen Stadtteil, der von Künstlern als Quartier bevorzugt wird. In unmittelbarer Nachbarschaft logieren Gerhard Marcks und Richard Scheibe. Die Ateliers von Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein befinden sich in der wenige hundert Meter entfernten Durlacher Straße 14, heute: 15/15 a.

      Bachmair mahnt den Vertrag zur Veröffentlichung der Essays über Lasker-Schüler an, den er noch nicht erhalten hat. Zech entschuldigt das Versäumnis, indem er auf den Umzug seiner Familie hinweist, und schickt das Papier mit dem Vermerk zurück: „Eine kleine Abänderung habe ich mir erlaubt. Sie werden verstehen, wenn Sie meine wenig rosige finanzielle Lage in Betracht ziehen.“79 Ohne Rücksprache mit Bachmair zu nehmen, ist von ihm sein Honorar beträchtlich erhöht worden.

      Aus Elberfeld hat Zech einen „Kalender für das Bergische Land 1913“ mitgebracht, weil darin außer dem Gedicht „Sommernacht“, das von ihm stammt, Beiträge von Bloem, Idel, Carl Robert Schmidt und weiteren Kollegen stehen, die er gut kennt.80 Seine besondere Aufmerksamkeit gilt einer Erzählung in Elberfelder Mundart: „Kal em Glöck“. Sie stammt von Paula Buschmann, geborene Rehse.81 Schnell werden in ihm Erinnerungen an die frühen Jahre im Bergischen Land und an seine Jugendliebe wach. Er schreibt ein Feuilleton „Zwei Rosen“ und veröffentlicht es in der „Rheinisch-Westfälischen Zeitung“, bei der er sicher sein kann, Paula werde den Beitrag zu Gesicht bekommen.82

      Im Verlag von A. R. Meyer erscheint das „zweite Buch der Bücherei Maiandros“ mit Zechs Verriss des Lissauer‘schen Lyrikbandes „Der Strom“.83 Zur gleichen Zeit gibt Meister im Saturn-Verlag „Eine Anthologie der jüngsten Belletristik“ heraus, die überwiegend expressionistische Prosa enthält. Sie trägt den Titel „Flut“. Vertreten sind darin Zech mit „Herbstabend“ sowie Zweig, Brod, Lasker-Schüler und fünfzehn weitere Autoren.84 Für Lasker-Schüler plant der Verleger ein Sonderheft des „Saturn“, das ausschließlich ihrer Person und ihrem Werk vorbehalten sein soll. Zech hat sie dafür, ohne eine mögliche Vergütung zu erwähnen, um Überlassung ihres Gedichtes „Jakob“ sowie jenes Fotoportraits gebeten, das in Elberfeld aufgenommen worden ist. Die Dichterin reagiert anders, als er erwartet: „Ich fordere für das Gedicht Jakob mit dem Bild 25 Mark. Ich kann unmöglich noch ohne Honorar schreiben. Sonst bitte ich das Gedicht mit Bild retour. Kenne ich den Herrn Meister aus Elberfeld? Gruß Prinz von Theben.“ Auch die Pläne des Freundes zur Gründung einer Zeitschrift gefallen ihr nicht. Postskriptum mahnt sie: „Ich würde mich sehr besinnen mit der Monatsschrift (faule Sache).“85

      Mitte Dezember trifft in der Babelsbergerstraße das Zech‘sche Umzugsgut aus Elberfeld ein und der Familienvater holt Frau und Kinder vom Anhalter Bahnhof ab. Von nun an muss er nicht mehr für zwei Haushalte aufkommen, aber seine finanziellen Probleme bleiben. Ein Gedicht, das vor Monaten schon im „Sturm“ gestanden hat und an Weihnachten nochmals im „Prager Tagblatt“ erscheint, gibt darüber Aufschluss: „oh immer die Sorge ums liebe Brot: / Hungern heißt atmen, Sattsein ist Tod. / Leblose Speichen sind wir am Riesenschwungrad.“86 Am gleichen Tag veröffentlicht die Zeitschrift „Der Niederrhein“ ein weiteres Gedicht von Zech: „Weihnachtsfreude“. Dessen erste Strophe endet: „Sieh, der Stern, den wir in Alltagshast verloren / Strahlt durchs Dunkel: Christus ward geboren, / Freue dich, o Christenheit.“87 Als Fahrenkrog die Verse liest, ärgert er sich. Vor wenigen Monaten erst hat ihn der Verfasser im gleichen Blatt als Stifter der „Germanisch-deutschen Religions-Gemeinschaft“ gefeiert. Nun ist ihm ein wichtiges Mitglied seiner Sekte abhanden gekommen, das sich zudem wieder zum Christentum bekennt.

      Nach den Feiertagen erreicht Zech ein Brief von Bachmair, dessen Inhalt ihm Silvester und Neujahr verdirbt: „Lasker-Schüler schrieb uns heute, dass ihr Essai-Buch ‚Gesichte‘ […] in einem anderen Verlage erscheinen werde. […] Wir haben nunmehr nach Abgabe dieses Werkes wenig Interesse mehr an Ihrem geplanten Buch über die Dichterin.“88 Somit bleiben Einkünfte aus, mit denen er fest gerechnet hat.

      Lasker-Schüler lädt zu einem neuen Treffen Freunde und Bekannte ein, unter ihnen das Ehepaar Kainer, den Bildhauer Koch sowie die Schriftsteller Baum, Ehrenbaum-Degele und Zech. Es findet am vierten Januar in der Josty-Dependance am Zoologischen Garten statt. Dort hält sie eine Überraschung bereit. An diesem Samstagabend stoßen Franz Marc und seine Frau Maria zu der Caféhausrunde. Die Eheleute folgen damit einer Einladung der Dichterin, mit der sie seit einigen Monaten im Briefwechsel stehen und deshalb ihre Not kennen. Sie haben ihr vorgeschlagen, für einige Zeit zu ihnen nach Sindelsdorf in Bayern kommen, und planen eine Hilfsaktion zu ihren Gunsten.

      Ehrenbaum-Degele und Zech berichten Marc von den Plänen für eine Zeitschrift, die sie zusammen mit den „drei Pathetikern“ herausbringen wollen. Der Künstler sagt zu, Zeichnungen von sich und Heinrich Campendonk zur Verfügung zu stellen, sobald er wieder zurück in Bayern sei. Damit scheinen die ersten Träger großer Namen für das Projekt gewonnen, da auch Zweig wissen lässt: „Ich freue mich sehr auf Ihre neue Zeitschrift und bin selbstverständlich einverstanden, dass Sie den Absatz aus dem Verhaerenbuche honorarfrei zu Abdrucke bringen und will Ihnen auch gerne ein Gedicht zu Verfügung stellen.“ Auf diese Zusage hin ist auch der Name für die Zeitschrift gefunden: „Das neue Pathos“. So lautet der Titel des Zweig‘schen Beitrags, den die Herausgeber für ihr Blatt übernehmen.89 Nur unwillig folgt Zech einem Hinweis Zweigs, der lautet: „Auch Lissauer, den Sie wohl nicht ausschalten wollen, wird Ihnen gerne etwas geben; berufen Sie sich da bitte nur auf mich.“90 Um den Wiener Freund nicht zu verprellen, muss er den missliebigen Kollegen zur Mitarbeit auffordern, und das wenige Tage nachdem er dessen neuestes Werk verrissen hat.

      Auf der Suche nach Autoren wendet sich Zech an den Niederländer Jan Greshoff: „Ich möchte gern ein paar neue bedeutende holländische Lyriker kennen lernen […], die etwa von 1875 [bis] 1885 geboren sind. Würden Sie vielleicht die Güte haben, und mir die Dichter und deren charakteristische Bücher nebst Verleger nennen?“91 Er behauptet, Abonnent von Greshoffs Zeitschrift „De witte mier“ („Die weiße Ameise“) zu sein, was nicht der Fall ist, denn dazu fehlt ihm das Geld. Derzeit weiß er nicht, ob er am nächsten Monatsersten die Wohnungsmiete bezahlen kann.

      Wie gewünscht erhält Zech aus Holland mehrere Bücher und bestätigt Greshoff die Sendung. Nach seinem bisherigen Schaffen befragt, antwortet er: „Sie haben schon recht vermutet. Ich bin seit Jahren im ‚Sturm‘ mit Gedichten vertreten“. Weiter diktiert ihm seine Phantasie: „Vor einigen Monaten bin ich auch in die Redaktion dieser Zeitschrift getreten.“ Als Ort seiner Herkunft gibt er an: „Ich bin aus dem Rheinland gebürtig. Elberfeld.“ Für die Jahre im Ausland erfindet er: „Ich war lange in Geldern, sodan [!] in Amsterdam lange Jahre, auch in Rotterdam als Korrespondet [!] in kaufmännischen Stellungen. Bei einer Rotterdamer kunstbegeisterten Familie lernte ich die holländische Literatur kennen und lieben.“ Nach konkreten Hinweisen auf Bücher und Artikel, die er geschrieben hat, geht erneut die Phantasie mit ihm durch: „Für die von meinem Verleger geplante Anthologie der Lyrik aller heutigen Dichter, werde ich die Holländer gemeinsam mit meinem Bruder übertragen, der des Holländischen in Wort und Schrift so mächtig ist wie des Deutschen.“ Den Vornamen des Bruders nennt er nicht, aber weder Rudolf noch Robert oder Gustav können eine Laufbahn vorweisen, wie Paul sie erfindet: „Er war etwa zehn Jahre in Holland und seinen Kolonien als Kaufmann.“ Über seine eigenen Sprachkenntnisse teilt er mit: „Ich selbst kann das Holländische nur mittelmäßig. Das heißt, für Konversation und Korrespondenz reicht es aus.“92

      In Waldens „Sturm“-Galerie wird am 15. Januar 1913 die erste deutsche Ausstellung mit Werken von Robert Delaunay eröffnet. Der Künstler ist zusammen mit Guillaume Apollinaire angereist. Bei der Vernissage lernt Zech beide Herren kennen und stellt sich ihnen als Schriftsteller vor. Sein französischer Kollege hält sich während des Berlinbesuchs unter anderem