Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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mir aus. Da lärmen Wagen, die den Geruch der Vorstädte wie schlechten Atem ausspeien.“63

      Zech hat einen zweiten öffentlichen Auftritt in Berlin. Diesmal beim fünften Leseabend des literarischen Cabarets „Gnu“, der bei der Buchhandlung „Reuß & Pollack“ in der Potsdamer Straße stattfindet.64 Er trägt Verse aus seinen „Rotterdamer Impressionen“ vor und verschafft dadurch dem Publikum mit ungewohnter Offenheit Einblick in sein Leben.65 Von Lasker-Schüler hat ihn zuvor die Nachricht erreicht: „Warum kommen Sie nicht? Sie haben gewiss kein Geld wie‘s mir oft geht? Ich kann jetzt ohne Opfer zehn [Mark] entbehren – seien Sie zu mir nicht hochmütig und aber auch nicht ein Wort deswegen.“66 Die Dichterin ist bereit, ihm noch mehr von ihrem Honorar abzugeben, das sie in Elberfeld so schwer verdient hat. Obwohl es ihr schlecht geht, setzt sie sich auch bei Rowohlt für ihn ein. Mit diesem Verleger verhandelt Zech über die Herausgabe eines Buches. Ohne im Besitz einer Zusage zu sein, hat er Wegener mitgeteilt, sein Gedichtband ‚Die Brücke‘ werde im April dort erscheinen.“67

      Am Abend des ersten November besucht Zech Lasker-Schüler. Morgens ist sie von Walden geschieden worden. Das Ehepaar hat schon zwei Jahre lang in Trennung gelebt. Dennoch belastet die Freundin das Aus ihrer Ehe schwer. Der Besucher bringt statt Blumen eine Tüte Äpfel aus Elberfeld mit und versucht der Freundin zu helfen, indem er von seinem Buch über ihr Werk berichtet. Am nächsten Tag bedankt sich Lasker-Schüler bei Zech für den Besuch und die „so selbstverständliche Güte“, mit der er ihr in dieser schwierigen Lebensphase beistehe. Weiterhin leidet sie: „Jetzt, wo ich kein Fieber mehr habe, fühle ich mich so schwach, als ob meinen Armen die Flügel gebrochen wären. Das Fieber hat mir noch die Illusion des Fliegens gegeben.“ Die von manchen Zeitgenossen als egozentrisch verschriene Dichterin ist, wie sich hier erneut zeigt, um das Wohl ihrer Mitmenschen auch dann besorgt, wenn sie sich selbst in Not befindet: „Aber ich spreche von mir und Ihnen geht es ebenso schlecht in allen Dingen“. Sie will Werfel schreiben, er solle sich bei Rowohlt für das neue Buch des Freundes einsetzen. Wegen einer Übernahme der Kosten, die beim Transport des Zechschen Mobiliars und Hausrats von Elberfeld nach Berlin anfallen würden, hat sie schon mit Ehrenbaum-Degele gesprochen.

      Falls dieser Freund nichts geben sollte, will Lasker-Schüler Folgendes machen: „Heute verlange ich durch den Anwalt Uhr und Ring – wenn Sie das Geld für den Umzug nicht bekommen, versetzen wir [beide] sofort.“ Sie bestellt Grüße an Pauls Frau, seine Schwiegermutter sowie die beiden Kinder und lässt ihn wissen: „Ihre Äppel stehn noch auf dem Boden in der Düte. Ich hebe sie auf bis Sonntag.“ Die kranke Dichterin versucht, ihren Freund aufzubauen: „Also haben Sie Mut, die Sache wird schon schief gehen. Ihr armer Prinz von Theben.“68 Wenige Tage später treffen die beiden wieder zusammen. Das geht aus einem Brief des Schriftstellers Max Herrmann an seine Lebensgefährtin hervor: „Komme soeben vom Verlagsabend. Saß stundenlang mit Else Lasker-Schüler, Zech, Leonhard, Ehrenbaum-Degele, Peter Baum, Benn, Meyer zusammen.“69

      Anfang November eröffnet Walden in seiner „Sturm“-Galerie eine Ausstellung mit Werken von Ludwig Meidner, Jakob Steinhardt und Richard Janthur. Das Trio hat sich als Gruppe den Namen „Die Pathetiker“ gegeben. Zech, der sich unter den Gästen der Vernissage befindet, kommt mit den drei Künstlern ins Gespräch. Ermutigt durch seine bisherigen Erfolge, schlägt er Meidner die Herausgabe einer Zeitschrift vor. Sie soll sich durch ein qualitätvolles Äußeres deutlich von anderen Blättern unterscheiden und weder auf billigem Papier noch in Massenauflage erscheinen.

      Die Ausstellung der „Pathetiker“ erhält in der Presse überwiegend schlechte Kritiken. Hiller kämpft gegen diese Verrisse an, wobei er ein Fehlurteil fällt, indem er schreibt, Meidner unterscheide sich „erfreulich von jenen die gesamte Revolution kompromittierenden Russo-Münchnern a la Kandinsky, deren impotente und nichtmal dekorative Albernheit nur übertroffen wird von der Grandiosität ihres Hochstaplermutes.“70 Das schlechte Presse-Echo hält Zech nicht von dem Plan ab, mit den „Pathetikern“ zusammenzuarbeiten. Seine Reise zu einem Leseabend nach Frankfurt tritt er nicht an. Auch ein geplanter Besuch bei Hermann Meister vom Saturn-Verlag in Heidelberg und der in Elberfeld, den er angekündigt hat, entfallen.71 Grund dafür ist ein immer wieder aufgeschobenes Treffen mit Stefan Zweig, das nun in greifbare Nähe zu rücken scheint. Der Kollege schreibt: „ich komme also tatsächlich für den 19., 20. und 21. nach Berlin und freue mich sehr, Sie dadurch sehen zu können. […] Ich zähle darauf, Sie nun endlich kennen zu lernen.“72 Wegener erkundigt sich bei Zech: „Warum hört man nichts von Ihnen? Haben Sie schon einen Tag bestimmt, an dem Sie mit dem Dampfroß in unser ewiges Regennest hereingepoltert kommen? […] Hier geht das Leben seinen alten und schläfrigen Gang.“ Vor einem Monat hat er die Lesung von Lasker-Schüler in der Elberfelder Stadthalle besucht und gehört zu denjenigen, die an Werk und Person der Dichterin keinen Gefallen finden: „Über Else Lasker-Schüler habe ich noch hin und wieder nachgedacht. In meiner Friedlichkeit – sie nennts ja Dilettantismus – bin ich nicht gestört worden durch die Anzapfungen, auch ist mein Urteil durch ihren entflammten Zorn nicht anders geworden.“73

      Zech „schindet Feuilletons“ und bemüht sich um die Festanstellung bei einer örtlichen Zeitung oder Illustrierten. Zwei Lichtblicke gibt es in seinem Alltag. Zum einen das Treffen mit Zweig, zum anderen der Besuch eines Leseabends von Resi Langer, die nochmals im Berliner „Architektenhaus“ auftritt. Als er nach Hause kommt, ist vom Wiener Kollegen die Mitteilung da: „ich bin für zwei Tage hier in Berlin. Morgen Mittwoch bin ich besetzt von zwei Uhr bis etwa vier Uhr, dann können wir uns treffen, vielleicht abends ab sieben Uhr bin ich im Hotel und habe Zeit bis Viertelzehn.“74 Zur verabredeten Zeit stehen sich die Briefpartner am 20. November 1912 im Hotel Fürstenhof erstmals persönlich gegenüber, nachdem sie zweieinhalb Jahre lang miteinander korrespondiert haben.

      Wenige Tage nach dieser Begegnung fährt Zech nach Elberfeld, um Helene endgültig von der Notwendigkeit eines Ortswechsels zu überzeugen, den er selbst noch vor kurzem angezweifelt hat, und den Umzug der Familie zu organisieren. Er bemüht sich, in kurzer Zeit mit möglichst vielen Bekannten zusammenzukommen. Die Verbindungen ins Wuppertal möchte er pflegen, weil hier immer noch leichter Beiträge an Zeitschriften und Zeitungen zu verkaufen sind als in der Hauptstadt.

      Zech trifft auch Robert Renato Schmidt, den er vor Jahren bei den Veranstaltungen der „Literarischen Gesellschaft“ kennengelernt hat. Der elf Jahre Jüngere, dessen Vornamen laut Geburtsurkunde „Robert Wilhelm Johann“ lauten, zeigt literarische Neigungen. Im Heidelberger Verlag von Hermann Meister hat er schon Gedichte veröffentlicht75 und in diesen Tagen erscheint von ihm bei A. R. Meyer ein weiteres „lyrisches Flugblatt“: „Frauen“.76 Mit dieser Nummer geht der Verleger kein Risiko ein, denn die Eltern des Autors haben alle Kosten im Voraus beglichen. Schmidt stammt aus einer reichen Familie. Er kann sich nicht entscheiden, ob er studieren möchte und, falls ja, welches Fach. Sein Vater, der Chemiker Dr. Robert Emanuel Schmidt, ist Vorstandsmitglied der Farbenfabriken Bayer. Die Familie besitzt im Elberfelder Zooviertel eine Jugendstilvilla. Dem jungen Mann vertraut Zech an, er beabsichtige, in Berlin eine eigene Zeitschrift erscheinen zu lassen. An diesem Projekt wolle er ihn nicht nur als Autor, sondern zugleich als Herausgeber beteiligen.

      Eine Ansichtskarte vom „Café Josty“, die Zech in Elberfeld erreicht, macht ihm Hoffnung auf eine schnelle Lösung seiner finanziellen Probleme. Lasker-Schüler weist ihn an: „Sofort nach Berlin kommen. Sich bei Ludwig Kainer vorstellen, werden wahrscheinlich Redakteur am Simplicissimus. 250 Mark Gehalt, aber nichts sagen. Prinz von Theben.“77 Den Mitarbeiter des Satireblattes und dessen Gattin, die Künstlerin Lene Schneider-Kainer, kennt sie durch Walden. Das Ehepaar wohnt in Steglitz. Häufig sind dort Schriftsteller, Maler und Musiker zu Gast. Entgegen Lasker-Schülers Annahme ist Kainers Einfluss jedoch nicht groß genug, um Zech beim „Simpl“ als Redakteur unterzubringen, er kann aber künftig als freier Mitarbeiter Beiträge für die Zeitschrift liefern. Seine wirtschaftliche Situation verbessert sich dadurch nicht wesentlich.

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      Lene Schneider-Kainer: Else Lasker-Schüler Öl auf Leinwand, 1913

      Nach der Rückkehr in die Hauptstadt