Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

Читать онлайн.
Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



Скачать книгу

ich noch den Roman eines Barmers [Heinrich Reth: ‚Noch ist die blühende goldene Zeit‘] vermöbeln müssen. Wenn die Wuppertaler sich so wie dieser Onkel gebärden, retten sie für Elberfeld nichts.“46 Obwohl ihm das Werk missfällt, behält er ein sprachliches Bild daraus im Gedächtnis. Reth beschreibt die Lippen eines jungen Mädchens mit den Worten: „Der lustige Ausdruck um den Erdbeermund verschwand plötzlich.“47 Damit hat Zech die Metapher gefunden, mit der sein Name im 20. und 21. Jahrhundert verbunden sein wird.

      Im weiteren Verlauf des Briefes bestätigt der Schreiber Wegeners Vermutung zum derzeitigen Aufenthalt eines Elberfelder Kollegen: „Dass Vetter in München ist, erfuhr ich. Er ist uns allen böse, da Meyer seine Verse […] zurückschickte. […] Sie waren zu schlecht.“ Danach behauptet Zech: „Denken Sie, ich schreibe jetzt einen großen Film aus dem Bergmannsleben. Da lässt sich vielleicht Geld mit verdienen.“48 Den passenden Titel hat er auch schon gefunden: „Der große Streik“. Möglicherweise ist er während des Butterbrotessens beim Ehepaar Meyer durch Resi Langers Schilderungen ihrer Erlebnisse in den Babelsberger Filmstudios auf diese Idee gekommen. Das erhoffte große Geld bleibt jedoch aus, da das Drehbuch, sofern es überhaupt existiert, nie verfilmt und nur sein Treatment veröffentlicht wird.

      Der Münchner Verleger Bachmair hat die von Zech erbetenen Druckbogen zur Post gebracht und ihm mitgeteilt: „Was ein Essaibuch über Else Lasker-Schüler betrifft, bin ich gerne bereit es zu verlegen, nur wäre es mir unmöglich, Sie im voraus dafür zu honorieren.“49 Die Antwort aus Berlin lautet: „Auf einen Honorarvorschuß mach ich durchaus keinen Anspruch. Nur wäre es mir lieb, wenn Sie schon für die Vorausgabung des Romans einen Prospekt drucken ließen, und das Erscheinen des Essais darin anzeigten.“ Bei dem Text über das Werk der Freundin geht es Zech ausnahmsweise nicht ums Geld. Er macht Bachmair Vorschläge zu Aussehen sowie Verkaufspreis der Broschüre und ergänzt: „Ich würde mich verpflichten das druckfertige Manuskript bis zum ersten Februar zu liefern. Meines Erachtens sind die Frühjahrsmonate für die Bearbeitung der Presse am geeignetsten. Dann ist der Weihnachtssturm vorüber.“50 Lasker-Schüler lädt Zech ein, die geplante Publikation mit ihr zu besprechen. Außerdem will sie mit ihm über eine Reise ins Bergische Land reden.51

      Den Auftritt in ihrer Heimatstadt hat Lasker-Schüler mit mehreren Briefen an den Vorsitzenden der Literarischen Gesellschaft vorbereitet. An Honorar verlangt sie keine 300 Mark wie üblich, sondern nur 200. Als Zech die Freundin am Sonntagnachmittag besucht, überredet sie ihn, auf ihre Kosten mit nach Elberfeld zu fahren. Zu Anfang der neuen Woche schreibt sie an Kerst: „Bitte holen Sie mich um vier Uhr morgen Dienstag vom Hotel Kaiserhof am Döppersberg [ab.] Wir sehen uns dann den Saal an […] Paul Zech kommt mit.“52

      Die Reise nach Elberfeld verläuft wie geplant. Vor dem Treffen mit Kerst hat die Dichterin noch Zeit, sich im Atelier Bender fotografieren zu lassen. Aber die Lesung selbst wird eine Riesenblamage. Nicht für Lasker-Schüler, sondern für ihre Zuhörer aus dem „Muckertal“. Schon bald nach Beginn der Veranstaltung verlassen sie scharenweise den Saal. Ihnen missfallen sowohl Textauswahl als auch Vortragsweise der Dichterin. Kurzzeitig droht die Gefahr eines vorzeitigen Endes.53 Noch am selben Abend beschwert sich Lasker-Schüler mündlich bei Kerst und schriftlich bei einer Lokalzeitung über die gastgebende Gesellschaft sowie das Publikum. Dem Vorsitzenden der „Literarischen Gesellschaft“ gibt sie den Rat, künftig nur Dilettanten zu Lesungen einzuladen, die dem Geschmack der Zuhörerschaft besser gerecht würden.

      Am Morgen nach dem Desaster trifft Lasker-Schüler mit Zechs Ehefrau, deren Mutter sowie seinen Kindern zusammen. Einen weiteren Tag später wird die Dichterin von ihrem Begleiter im Hotel abgeholt und er unternimmt mit ihr einen Ausflug ins Bergische Land, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Für beide ist es eine Genugtuung, dass ein Teil der örtlichen Presse den Vortragsabend lobt. Walden erhält eine Ansichtskarte, die das „Düsseltal. Am Steg“ zeigt. Auf der Rückseite steht: „Mit Else Lasker-Schüler bin ich nach hier gefahren. Es hat einen Skandal gegeben. Ich werde darüber im Sturm berichten. Einstweilen beste Grüße Ihr Paul Zech. Sonnabend bin ich wieder in Berlin.“54

      Während der Rückfahrt leidet die Dichterin. Am Tag nach der Ankunft klagt sie: „Ich bin sehr krank. Ich fühl mich wenigstens so: auch fang ich an Hypochondrie zu leiden und das Bett wird immer ewiger, immer unentrinnbarer“.55 Paul teilt Helene auf einer Postkarte mit: „Liebes Herz, ich bin gut angekommen. Es kommt mir alles sehr fremd vor. Ich habe viel zu laufen, weil inzwischen viel eingelaufen ist. Anfang der nächsten Woche schreibe ich mehr. Was haben die Kinder gesagt?“ Im Nachsatz steht: „Rudolf hat […] geschrieben. Es geht ihm nicht gut.“56 Die beiden Brüder halten demnach zu dieser Zeit Verbindung miteinander.

      Am Wochenende kauft sich Zech die neueste Ausgabe des „Volkserziehers“, die seine Besprechung des Buchs „Gekrönte Stunden“ von Boeddinghaus alias Paul Jörg enthält. Um Fahrenkrog zu schmeicheln, hat er ihn gebeten, ihm bei der Beurteilung von dessen eigenen Illustrationen zu helfen, die in diesem Werk enthalten sind, und daraufhin einen vierseitigen Text mit „Bemerkungen“ sowie die Anweisung erhalten: „Den hier so im Allgemeinen angedeuteten Maßstab legen Sie nun als urteilende Instanz wohl am besten selbst bei den einzelnen Blättern an. In manchem werde ich Ihnen wohl nichts Neues gesagt haben“.57

      Zech scheint Boeddinghaus zu loben, wenn er schreibt: „Jörgs dichterische Wirkungen beruhen, soweit sie überhaupt zu durchleuchten sind, auf allerintimster, man könnte fast sagen, auf naturalistischer Beobachtung der anflutenden Geschehnisse […] unter völliger Ausschaltung des kühlen Intellekts.“ Das könnte mit anderen Worten ebenso gut heißen: „Das Buch ist unverständlich und geistlos.“ Realiter fährt der Rezensent fort: „Es wird eben darum nicht schwer sein, den Dichter Paul Jörg als einen Künstler zu bezeichnen, der unbedingt das Recht hat, gehört zu werden.“ Die Hälfte seiner Besprechung widmet Zech den Illustrationen Fahrenkrogs. Mit seinem Lob verunglimpft er wieder einmal das zeitgenössische Kunstschaffen: „Vor allem wird die souveräne Verachtung des sogenannten ‚Neuen‘ auffallen.“58

      In der gleichen Ausgabe des „Volkserziehers“ erläutert Fahrenkrog zum soundsovielten Mal den Aufbau und die Ziele der „Germanisch-deutschen Religions-Gemeinschaft“. An den Anfang seines Artikels, der mit einem Hakenkreuz verziert ist, stellt er ein eigenes Gedicht: „Arbeit und Berufung“. Dessen letzte Zeile wird in verkürzter Form über dem Tor des Konzentrationslagers Auschwitz zu lesen sein: „Heil Arbeit! Du machst frei.“59

      Nun muss sich Zech Angelegenheiten widmen, die während seines Besuchs in Elberfeld liegen geblieben sind. Dazu gehört ein Schreiben an Paul Block vom „Berliner Tageblatt“. Dem hat Lasker-Schüler ein Manuskript „Unser Café“ geschickt, in dem sie schildert, wie ihr im „Größenwahn“ Lokalverbot erteilt worden sei. Der Artikel ist bisher nicht erschienen. Zech hakt nach und behauptet, der Kellner habe seine Freundin aus dem Lokal gewiesen, weil sie nichts bestellen wollte. Blocks sarkastische Antwort lautet: „Wenn ich Millionär wäre, könnt ich versuchen, solche Dichtermiseren zu lindern. Leider bin ich nur Redakteur und als solcher dem Ungeheuer Publikum vorgeworfen. […] fünfhundert starrköpfige Abonnenten sind stärker als alle Dichter.“ Er denkt nicht daran, die Beschwerde drucken zu lassen und gibt Zech den Rat: „Das ist traurig, aber es ist so; und wenn wir es recht bedenken, ist es nicht einmal ganz so traurig, denn unser Leben besteht aus Kompromissen und wer das nicht glauben will, stirbt daran.“60 Lasker-Schüler veröffentlicht den Text später im Buch „Gesichte“ und das „Größenwahn“ verliert einen erheblichen Teil seiner Gäste endgültig ans „Josty“ am Potsdamer Platz.

      Dieser Verkehrsknotenpunkt markiert die Mitte Berlins und ist in der zeitgenössischen Literatur ein beliebtes Thema sowie in der Kunst ein oft gewähltes Motiv. Ernst Ludwig Kirchner und Ludwig Meidner halten in den nächsten Jahren den Platz und das Geschehen darauf in ihren Bildern fest.61 „Die Aktion“ veröffentlicht ein Gedicht mit dem Titel „Auf der Terrasse des Café Josty“. Es stammt von Paul Boldt, der im westpreußischen Christfelde nahe der Stadt Culm in der Weichselniederung, weniger als 50 Kilometer von Zechs Geburtsort entfernt, geboren ist: „Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll / Vergletschert alle hallenden Lawinen / Der Straßentrakte: Trams auf Eisenschienen,