Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

Читать онлайн.
Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



Скачать книгу

Beiträge bei den Zeitungen und Illustrierten groß. Diese Erfahrung macht er, als nach der Harzreise sein Alltag in einer fremden Umgebung beginnt. Kollegen lernt er schnell kennen. Dafür sorgt Lasker-Schüler, die ihn zusammen mit seinem Quartiergeber, dem Bildhauer Georg Koch, in die angesagten Lokale der Hauptstadt beordert.9 Tagsüber bietet er sich in den Redaktionsstuben als Mitarbeiter an. Mit diesem Ziel sucht er auch Walden in der Redaktion des „Sturm“ auf. Der kann jedoch nicht mehr als bisher für ihn tun, was bedeutet, ab und zu eines seiner Gedichte zu drucken.10 Eine Festanstellung verbietet sich dem Herausgeber der Zeitschrift aus finanziellen Gründen, da er selbst ständig in Geldnot steckt.

      Zech lebt jetzt ausschließlich von den spärlich eingehenden Honoraren, die er für Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften erhält. Von diesen Einkünften muss er seine Berliner Unterkunft und die Elberfelder Wohnung bezahlen und Helene Geld für den Lebensunterhalt der Familie schicken. Die doppelte Haushaltsführung bringt ihn in eine Notlage, welche er, wie jene seiner Kindheit und als Heranwachsender im Bergwerk, lebenslang nicht vergessen wird.

      Zweig ahnt möglicherweise etwas von den Problemen seines Kollegen, weiß aber nichts von dessen Plänen, sich auf Dauer in Berlin niederzulassen. Per Postkarte gibt er ihm einen beruflichen Tipp: „Lieber Herr Zech, ich wollte Ihnen nur sagen, dass am Hamburger Schauspielhaus die Stelle des Dramaturgen frei ist: Bewerben Sie sich doch, falls Sie einen literarischen Posten suchen!“11 Der Empfänger greift die Anregung nicht auf, obwohl er sich fürs Theater interessiert. Ein Grund dafür sind seine Zweifel, ob er Elberfeld für immer den Rücken kehren oder dorthin zurückkehren soll.

      An der Seite von Lasker-Schüler lernt Zech die Literaten- und Künstlerszene Berlins kennen, deren Mitglieder sich im „Café des Westens“ oder im „Café Josty“ treffen. Vor kurzem hat die Dichterin ihm ein Exemplar ihres neuen Werkes „Die Nächte Tino von Bagdads“ geliehen. Nun will sie es zurückhaben. Als das nicht geschieht, fordert sie dringlicher: „Mein Buch – bitte.“ Außerdem hat sie eine wichtige Mitteilung für ihn: „Herr Schweynert weiß vielleicht was für Sie.“12 Zech kann das Buch derzeit nicht zurückgeben. Deshalb gibt er keine Antwort, rechnet allerdings nicht mit ihrer Beharrlichkeit. Sie schreibt ihm: „Also Fritz Schweynert geht von der ‚Zeit am Montag‘ ab, wahrscheinlich kommt er nicht mehr hin. Aber für Sie wäre vielleicht dort offen.“ Danach wiederholt die Freundin ihre Aufforderung: „Bringen oder senden Sie mir bald mein Buch – ich möchte anfangen manchmal zu illustrieren.“13

      Nun muss Zech mit der Wahrheit herausrücken. In der Annahme, Lasker-Schüler einen Gefallen zu tun, hat er ihr Exemplar an den „Reclam Verlag“ geschickt. Als sie davon erfährt, vergisst sie das „Du“ der zweijährigen „Wupperfreundschaft“ und poltert los: „Geehrter Herr Zech. Wie können Sie ohne mein Wissen und Erlaubniß handeln. Ich hatte nicht die Absicht meine Nächte von Bagdad nach Reclam zu senden. Werde dort sofort zurückfordern. Bin außer mir zum Donnerwetter.“ Selbstbewusst fügt sie hinzu: „Ich brauche doch keine Reclame – mich kennt man. Zum Donner was haben Sie gemacht! Else L-Sch.“14 Vier Tage danach schreibt sie ihrem Verleger: „Die Sache mit Paul Zech hat sich aufgeklärt, ich hab ihm Unrecht getan.“15 Die Ursachen für diesen Sinneswandel sind nicht klar. Zech taucht drei Wochen ab, obwohl er von der Dichterin ein Telegramm erhält: „sofort telefonieren bitte prinz von theben“16.

      Bei der Uraufführung von „Baldur“ hat Fahrenkrog Zech gebeten, für den „Volkserzieher“ einen Artikel über sein Stück und die Inszenierung zu schreiben. Dieser Auftrag ist Teil seiner Verabredung mit Schwaner, das wichtige Vereinsmitglied noch stärker in die „Deutsch-religiöse Gemeinde“ einzubinden. Den Beitrag hat der Vorsitzende zwar erhalten, doch aus dem Text geht wieder nicht hervor, ob sein Verfasser die religiösen Überzeugungen des Dramatikers teilt. Nur andeutungsweise erlaubt er sich, Vorbehalte gegen die Form des Werkes zu äußern: „Man muss staunen, wie gut diese Tragödie […] gelungen ist, wieviel reifes Können und intuitives Draufgängertum darin vorhanden ist, wenn man bedenkt, dass es die literarische Arbeit eines Bühnenneulings ist.“17

      Der Rezensent selbst muss mit einer freundschaftlich gemeinten Ermahnung fertig werden. Wegener, der sich zur Zeit im belgischen Ostende aufhält, schreibt über „Schollenbruch“: „Paul Zechs Erstlingsband ist mir eine Enttäuschung geworden“. Er bemängelt, in dieser Ausgabe stünden nur Gedichte, die „ein falsches, ungünstiges Bild seines Talentes geben. Besonders gegen den Schluss des Buches findet sich manches direkt wertlose, inhaltlich dürftige und unreife Gedicht.“ Dennoch vertritt er die Ansicht: „Wer Zechs weitere Entwicklung kennt, weiß, dass der Dichter sich von dem Träumerisch-Landschaftlichen immer mehr entfernt und sich einer kraftvolleren Erfassung des in Arbeit, Not und Leidenschaften ächzenden und taumelnden Menschendaseins nähert.“18

      Zech reagiert gelassen und antwortet Wegener: „Wer mich kennt, weiß auch, dass ich in Sachen der Kunst absolute Wahrheit verlange. Und da die Auffassung von Lyrik und deren geistigem Wesen tausendfach verschieden ist, so darf man sich eben nicht wundern, auch abfällige Beurteilungen zu hören.“ Eine Spitze kann er sich doch nicht verkneifen: „Ihre Meinung ist ja unter den 23 bisher erschienenen die abfälligste.“ Versöhnlich fährt er fort: „Aber darum doch keine Feindschaft.“ Ihm liegt an der Freundschaft mit dem Weggefährten und ihm vertraut er auch an, wie es in seinem Inneren aussieht: „Was mich reservierter gemacht hat, ist die vollständige geistige Zerrüttung, in der ich mich seit Wochen befinde und die durch allerlei wenig angenehme Dinge äußerer und innerer Art verursacht wurde. Man verzweifelt am letzten Sinn des Lebens.“ Zech bedrücken der Streit mit Lasker-Schüler und die Mitgliedschaft in der „Deutsch-religiösen Gemeinschaft“. Hinzu kommen finanzielle Sorgen: „Verzeihen Sie, dass ich den Brief nicht nach Ostende senden konnte. Schäbiger Dinge wegen.“19 Auslands-Briefporto kann er sich nicht leisten.

      Lasker-Schüler will ihrerseits die Verbindung zu Zech wieder herstellen. Von der Ostsee schreibt sie ihm in Elberfelder Mundart: „Lewer Pool Zech, wat es dat, dat De‘ nich herkömmst! Oder häst De’ geschreewen – on Ding Breef is nicht ongekömmen?“20 Zwei Tage später wiederholt sie die Aufforderung.21 Sie bittet vergeblich. Er fährt weder hin noch gibt er ihr Antwort.

      Paul Zech will Emmy Schattke wiedersehen, doch von ihr erreicht ihn kein Brief. Auch darunter leidet er und beginnt „Der blassen Blonden in der Ferne“ Botschaften in Sonettform zu senden. Die gelangen jedoch nicht nach Essen, sondern werden in Berlin für ein Buch zur Seite gelegt. Erste Verse lauten: „Westwärts, wohin die weißen Lämmerwolken schweben, / […] muss die Fabrikstadt liegen, der ich in Verdruß / den Rücken wandte.“ Auf die gleiche Weise erinnert sich der Verfasser an Spaziergänge in Elberfeld: „Einst hab ich alle Berge jener Stadt erklommen / mit dir“, und Ausflüge in die Umgebung: „Wir standen lange auf dem steingetürmten Grat / der Schlossruine, während unten Hämmer pochten / Schwungräder Donner brausten und aus Schornsteinspitzen / die Schwindsucht eingepferchter Tagelöhner quoll.“

      Außerdem beschreibt Zech erotische Erlebnisse, die es nie gegeben hat: „O Frau, der ich in Jahren angenahter Reife / mich hingab wie ein Büßer und ganz hüllenlos: / wohl wuchs mir Wundervolles tiefst aus deinem Schoß, / Wunder, die ich im Fernen erst begreife.“ Ohne Schattke fühlt er sich in Preußen wie im Exil und bereut seinen Entschluss, das Wuppertal verlassen zu haben: „Wer nur ließ mich im Murren am Geschick erblinden / und wer hieß mich zu wandern aus dem Heimattal?“ Fälschlich unterstellt er der Freundin, Ähnliches zu empfinden: „Rauch-schwarze Stadt, du Lästerbank und Mörderzelle, / […] was weißt du viel von Einsamkeit in Frauenschößen, / vom Schrei nach dem Geliebten, wie ihn jene brüllt, / die ich betrog mit Wanderschaft.“ Er unterstellt, Schattke verbringe die Zeit ohne ihn als „blaß-verweinte“ Frau, die sich frage, „was jener treiben mag, der sich in Gram verfing / und wie ein Ausgewiesner in die Fremde ging.“22 Indes, die Freundin kann in Essen anscheinend gut ohne ihn leben.

      In einem Brief an Wegener klagt Zech: „Was ich hier [in Berlin] an Enttäuschungen erlebt habe, bringt gut ein Drittel meines verflossenen Lebens zusammen.“ Das kulturelle Leben der Hauptstadt schildert er so, als