Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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Der Verfasser stellt die Frage nach dem Jenseits und prophezeit: „Es wird ein Tag erscheinen / der über Jahre thront; / dann endet alles Weinen und ist wie Meer bewohnt. // Und was auf Erdenwegen / wildfragend und gebannt / strömt wie ein Sommerregen / in die weit offne Hand.“158 Kein Wort von Christus, aber auch keine Erwähnung Wotans oder anderer germanischer Götter. Worin aber, so muss sich der Leser fragen, besteht die in der Überschrift angekündigte Lösung?

      Fahrenkrog schmeißt den Vorsitz des „Bundes für Persönlichkeitskultur“ hin, beendet seine Mitgliedschaft und gründet einen „Ortsverband für Barmen/Elberfeld“ der „Deutsch-Religiösen Gemeinschaft“.159 Die Anhänger folgen ihm in Scharen. Über einen Fall teilt er Schwaner mit: „Soeben schreibt mir der Schriftsteller Zech, dass er sich uns auch anschließe, andere werden folgen. Es ist derselbe eine gute Kraft, Redakteur am General-Anzeiger und Berichterstatter für andere noch.“ Der Vereinsvorsitzende überlegt, wie er das neue Mitglied fest an die Deutsch-Religiösen binden kann und schlägt dem Herausgeber der Lehrerzeitschrift vor: „Ich schrieb […] über sein ‚Schollenbruch‘ einen Bericht. Möchtest Du diesen nicht bringen? Für Kramer […] darf er keinesfalls mehr schreiben. Ich möchte wohl, dass Du ihn aufmuntertest für den ‚Volkserzieher‘ mal was zu bringen – oder soll ich‘s?“160

      Ein Namensverzeichnis der „Deutsch-Religiösen Gemeinschaft, Ortsgruppe Elberfeld-Barmen“ vom Juni 1912 belegt, dass Zech zumindest ab dieser Zeit Fahrenkrogs Sekte als zahlendes Mitglied angehört.161 Trotzdem versucht er weiterhin, die Verbindung mit Kramer nicht abreißen zu lassen und schickt ihm Verse für „Mehr Licht!“, in denen er bedauert: „So sehr hat Gleißnerisches uns zersplittert, / dass wir einen Rundgang führen ohne Ziel, / indeß das Herz in Einsamkeit verbittert.“ Der Titel des Gedichts lautet: „Wir müßten so wie Kinder sein!“162 Die Mahnung zeigt keine Wirkung. Der allgemeine Streit wird noch heftiger. Nicht zuletzt deshalb geht Zech nun auf Lasker-Schülers Vorschlag ein, nach Berlin zu ziehen, weil ihm das die einfachste Lösung seiner Probleme zu sein scheint.

      Heimlich regelt er, was in Elberfeld unerledigt geblieben ist. Anstehende Aufträge für Artikel von Zeitungen und Zeitschriften packt er in seinen Koffer. Aus Heidelberg erreicht ihn noch die neueste Nummer des „Saturn“. Darin bespricht Hermann Meister „Schollenbruch“. Der Rezensent ist der Überzeugung, „dass in ihm [Zech] eine dichterische Kraft heranreift, die ein reines, von allen Schlacken überlieferter Empfindsamkeit befreites Empfängnis der Naturvorgänge darzustellen vermag“.163

      Drittes Kapitel

      Paul Zech zieht ohne Frau und Kinder in die deutsche Hauptstadt. Else Lasker-Schüler hat ihm eine Unterkunft bei einem ihrer Freunde besorgt, den sie so beschreibt: „Ganz, ganz ernst / ist der Bildhauer Georg Koch […] / Seine Geschöpfe […] springen unerwartet aus ihm, / Ihr Schöpfer ist der erste und einzige / Futuristische Bildhauer.“1 Der Künstler wohnt zusammen mit Mutter und Schwester in Berlin Mitte, Zimmerstraße 60. Vergeblich versucht die Dichterin, dem Neuankömmling Arbeit zu verschaffen. Der Ortswechsel setzt ihm heftig zu. Die Millionenstadt löst zwiespältige Gefühle in ihm aus. Einerseits ist er von ihr fasziniert, anderseits überfällt ihn ein Gefühl der Verlorenheit. Zeitweilig spielt er mit dem Gedanken, ins Wuppertal zurückzukehren. Die dortigen Freunde und Kollegen, soweit sie überhaupt von seinem Weggang wissen, hat er im Unklaren gelassen, ob er für immer in Berlin bleiben wird. Seine Flucht aus dem Bergischen Land erscheint ihm als Verrat: „Ich habe die Stadt an der Wupper um eine Linsensuppe verlassen.“2

      Mehr als die Ehefrau vermisst Zech Emmy Schattke: „Ich habe Dich verraten um ein Amt / in hellen Straßen bei Palast und Hurenhaus.“3 Eine bestimmte Überlegung hindert ihn daran, der Hauptstadt sofort wieder den Rücken zu kehren: Zurück im Wuppertal wäre er gezwungen, sich zwischen Fahrenkrog und Kramer, zwischen Germanenkult und Christentum zu entscheiden. Dieses Votum zögert er hinaus. Absichtsvoll hat der Redakteur von „Mehr Licht!“ Zechs Gedicht „Wir müssten so wie Kinder sein!“ in der gleichen Ausgabe veröffentlicht, in der er selbst die „Germanisch-deutsche Religions-Gemeinschaft“ als „Wotansanbeter“ abkanzelt.4

      Zufällig erscheint im „Niederrhein“ zeitgleich ein langer Beitrag über Fahrenkrog, den Zech vor vielen Monaten in Elberfeld verfasst hat und so nicht mehr zu Papier bringen würde. Das zeigt der Satz: „unter den künstlerischen Persönlichkeiten, die notgedrungen im Wuppertal, dieser mageren Kunstoase, ihre Zelte aufgeschlagen haben, nimmt der genannte Maler sicherlich den ersten Rang ein.“ Im Verlauf des Artikels wird der Künstler einmal als Repräsentant der Moderne und dann wieder als Bewahrer der Tradition bezeichnet: „Er ist ein künstlerischer Revolutionär durch und durch. […] Fahrenkrog ging aus von der religiösen Malerei. Religiös waren die Motive und die Behandlung des Stoffes. In gewissem Sinne also konservativ.“

      Bei der Beurteilung von Kunst teilt Zech noch immer die reaktionären Ansichten seines Idols: „Was die Expressionisten und andere ‚Isten‘ in halszerbrecherischen Jongleurkunststückchen dem Publikum vorgaukeln, versteht Fahrenkrog ohne viel Geschrei maßvoll und dem Ganzen adäquat anzuwenden, ohne neutönerisch zu wirken.“ Indem er dessen Werke lobt, schmäht er das Schaffen zeitgenössischer Künstler: „Da sind nicht bloß farbige Flecken und Flächen, sondern organisches Leben, das heraustritt aus dem engen Rahmen und den Beschauer überwältigt.“ Der Beitrag endet mit dem Bekenntnis: „indem man sich von dem Genie begeistern lässt, gewinnt man den Menschen lieb, und wir alle sonnen uns an der Dreifaltigkeit, die von ihm ausstrahlt: Schönheit, Licht und Wahrheit.“5

      Zech leistet Fahrenkrog auch weiterhin Gefolgschaft. Eine Woche nach seiner Ankunft in Berlin fährt er nach Thale und besucht dort die Uraufführung von „Baldur“ im Harzer Bergtheater. Die Veranstaltungsstätte gehört zu den ältesten Naturbühnen Deutschlands. Ihr Intendant, Ernst Wachler, obwohl jüdischer Abstammung ein heftiger Antisemit, hat sie gegründet, um über eine Kanzel zur Verbreitung seiner völkischen Weltanschauung zu verfügen. Die Inszenierung von Fahrenkrogs Stück an dieser „Weihestätte“ im Bodetal dient der Verkündigung neuheidnischvölkischer Lehre. Zech hat zwei Jahre lang an der Entstehung Anteil gehabt und glaubt, bei der Premiere nicht fehlen zu dürfen. Aus Thale schickt er seiner Frau eine Ansichtskarte mit fünf Zeilen: „L. [!] Helene, vom Hexentanzplatz, wo Fahrenkrogs Stück aufgeführt wurde, die herzlichsten Grüße. Warum schreibst Du nicht? Herzlich die Hand Paul“.6 Ein Grund für Helenes Schweigen liegt in ihrer Abneigung gegen den möglichen Umzug der Familie nach Berlin. Sie möchte mit den Kindern bei ihrer Mutter in Elberfeld bleiben.

      Fahrenkrog ist sich über die Gründe für Zechs Aufenthalt in Berlin nicht im Klaren und setzt seinen Plan, das Mitglied fester in die Ortsgruppe der „Deutsch-religiösen Gemeinschaft“ von Elberfeld-Barmen einzubinden, zielstrebig in die Tat um. Nur einen Tag nach der Veröffentlichung des Lobgesangs auf seine Person und sein Werk in der Zeitschrift „Der Niederrhein“ veröffentlicht er in Schwaners Blatt eine lobende Besprechung von „Schollenbruch“: „Zech gehört zu den größten Hoffnungen der deutschen Lyrik. […] Den Volkserziehern mag dieser, der einer der unseren ist, zum Teil aber noch unbekannt sein, und deshalb rate ich allen, diesen gottbegnadeten Sänger kennen zu lernen.“7

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      Zechs Schwiegermutter mit ihren Enkeln Rudi und Elisabeth

      Auch Wilhelm Idel will mit einem Artikel in der „Wermelskirchener Zeitung“ dazu beitragen, „die weitesten Kreise auf den jungen Dichter aufmerksam zu machen, der gegenwärtig in Elberfeld als glücklicher Familienvater ganz der schriftstellerischen Arbeit lebt und der verbreitetsten Tageszeitung dort als Bücherreferent und literarischer Mitarbeiter verpflichtet ist.“8 Neben dem „Frühen Geläut“, den „Waldpastellen“ und „Schollenbruch“ geht er auch auf Zechs Beiträge im „Kondor“ ein und hebt das Neuartige der Wortschöpfungen hervor, die sie enthalten. Von den Zukunftsplänen des Verfassers weiß er nichts.

      Die Tätigkeit