Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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aus. Das Bändchen enthält den Vermerk: „Die vorliegenden Gedichte sind das Wesentlichste von jenen Versen, die Paul Zech in den Jahren 1904 bis 1909 schrieb. Unabhängig von dieser Edition erschien im gleichen Verlag das lyrische Flugblatt ‚Waldpastelle‘“. Der Verfasser bekommt eine Anzahl Freiexemplare, die er signiert und an Freunde sowie Bekannte verschickt. Sechs Gedichte tragen eine Widmung: für Rudolf Zech, Stefan Zweig, Leo Grein, den Maler Leopold Stüven, Resi Langer und Ludwig Fahrenkrog. Den Versen vorangestellt ist das Goethe-Wort „Die Töpfe drunten, voll von Goldgewicht, zieh Deinen Pflug und ackre sie ans Licht.“ Lasker-Schüler reagiert auf das Büchlein enthusiastisch: „Lieber Dichter! Herrliche Gedichte – manche geradezu hervorragend!“ Dem Lob folgt eine neuerliche Aufforderung, seinen Wohnsitz zu wechseln: „ich und Herwarth freuen uns auf Ihr Kommen und Bleiben in Berlin.“130 Walden eröffnet in diesen Tagen eine Kunstgalerie, der er den Namen seiner erfolgreichen Zeitschrift gibt: „Der Sturm“.

      Anfang März treten im Ruhrgebiet 117 000 Kumpel in den Ausstand, um eine Lohnerhöhung von fünfzehn Prozent durchzusetzen. Der „Dreibundstreik“, so genannt nach der Zahl der beteiligten Gewerkschaften, wird nach acht Tagen durch massiven Einsatz von Polizei und Militär beendet, die mit brutaler Waffengewalt bis hin zum Einsatz von Maschinengewehren gegen die Bergleute vorgehen, wenn sie arbeitswillige Kollegen am Betreten der Schachtanlagen hindern. Kurz vor Beginn des Konflikts hat am Elberfelder Theater die Uraufführung eines „sozialen Schauspiels“ von Benjamin Corda stattgefunden, das den Titel „Tiefen“ trägt. Den Mittelpunkt der Handlung bildet ein Bergarbeiterstreik. Zech ist bei der Premiere dabei gewesen. In der Zeitschrift „Der Niederrhein“ veröffentlicht er eine vernichtende Kritik des Stücks. Bei „Benjamin Corda“, so verrät er den Lesern, handele es sich um das Pseudonym von Alfred Knobloch, der bis vor kurzem Oberbürgermeister der Stadt Bromberg und zugleich Direktor des „Hansabundes für Gewerbe, Handel und Industrie“ gewesen ist. Dieser Bund mit Sitz in Berlin agiert seit 1910 als wirtschaftliche Interessenvertretung deutscher Kaufleute und Industrieller.

      Den Inhalt von „Tiefen“ gibt Zech so wieder: „ein frischgebackener Regent […] wird von einem modern angehauchten Günstling getrieben, die Bewegung der Grubenarbeiter, die das Staatsgebäude zu erschüttern droht, an Ort und Stelle zu studieren, um sich so von beiden Parteien ein ungetrübtes Bild zu machen.“ Als Arbeiter verkleidet lebt der Adelige einige Zeit unter den streikenden Bergleuten und nimmt auf ihrer Seite an den Verhandlungen mit der Unternehmerschaft teil. Dann kehrt er auf seinen Thron zurück. Von dort aus beendet er den Arbeitskampf, so heißt es in Zechs Artikel weiter, mit dem Ratschlag: „Liebe Bergleute, nun geht ruhig nach Hause und bedenkt, wieviel ihr fordern dürft. Ihr kennt sehr gut die Grenzen. […] Und da ist, wie der Theaterzettel so schön sagt, die hoffnungslose Enttäuschung der Arbeiter […] mit einem Schlage geheilt und besiegt.“

      Zech wettert: „Weit gefehlt, verehrter Herr Knobloch! Wir glauben wirklich nicht daran. Es gehört eine starke Naivität dazu, mit solchen armseligen Mitteln ein soziales Drama zimmern zu wollen.“ Seine Meinung zur Inszenierung: „Das Stellen beweglicher Bilder und das schöne Gerede ist ganz belanglos und hat mit dramatischer Gestaltung absolut nichts zu tun.“ Fazit des Kritikers: „Knobloch-Cordas Stück wird bewegt von politischen Predigten und sozialen Utopien.“131

      Der „Dreibundstreik“ inspiriert Zech zu neuen Gedichten, die er in das Manuskript seiner Sammlung „Das schwarze Revier“ aufnimmt. Eines davon trägt den Titel „Streikbrecher“: „Der Trupp weithergereister Frongestalten / schwankt durch das Dorf wie eine Trauerprozession. / Die Ausgesperrten trommeln Rebellion / mit Fäusten, schwieligen und wutgeballten.“ In Form eines Sonetts kommentiert der Autor die dramatischen Vorgänge des Arbeitskampfes: „Fluchschauer hageln aus halboffnen Türen – / Doch die Sergeanten, die den Zug in die Gewerke führen, / reißen die Säbel abwehrhoch empor.“ Diese Verse schickt er nach Berlin an Herwarth Walden. Der druckt sie tagesaktuell im „Sturm“.132

      Ein älteres Gedicht Zechs, „Märzbildchen“, das zeitgleich in „Arena“ erscheint, macht deutlich, welche Entwicklung der Autor während der letzten zwölf Jahre genommen hat: „Braune Schollen, die sich endlos dehnen, / Hier und dort ein winterkahler Zweig. / Einsam ragt ein Pflug am Ackerrain / Und vom braunen Haselnußgesträuch / Pfeift ein Fink sein helles Frühlingssehnen“.133

      Zech kündigt Schattke an: „Nach Ostern verlasse ich Elberfeld und trete in den Redaktionsverband der [Berliner illustrierten Zeitung] ‚[Der] Tag‘ ein. Sie würden mich sehr zu Dank verpflichten, wenn Sie mir noch ein kleines Stündchen des Abschieds gewähren könnten. Wenn möglich noch vor Ostern.“ Da Helene die eingehende Post kontrolliert, darf Schattke weiterhin keinen Brief an die Adresse „Neue Gerstenstraße“ schicken: „Schreiben Sie mir bitte unter der bekannten Ziffer hauptpostlagernd“. Falls sie ihn nicht bei sich empfangen möchte, macht er den Vorschlag: „Ich könnte sie auch von der Bahn abholen, wenn Sie nach hier kommen.“134

      Auch Stefan Zweig bedankt sich bei Zech für ein Exemplar von „Schollenbruch“ und lobt: „Ich liebe Ihr Buch sehr […] und glaube, ich werde einmal auch sehr den Menschen gern haben müssen, sobald unsere Wege einmal sich zusammenfinden.“135 Das heißt, beide Herren kennen sich noch nicht persönlich Der Dankesbrief trifft verspätet beim Empfänger ein, weil Zweig Verhaeren auf einer Vortragsreise begleitet hat. In Hamburg sind sie auch mit Dehmel zusammengekommen. Vermutlich aus Geldmangel ist Zech nicht dabei gewesen, obwohl alle drei Autoren für ihn besonders wichtig sind.

      Im Rahmen einer literarischen Betrachtung „Von der Lyrik des Jahres“ löst Zech ein Versprechen ein, das er Georg Heym, der im Januar 1912 im Alter von nur 24 Jahren tödlich verunglückt ist, kurz vor dessen Tod gegeben hat, und rühmt dessen Anthologie „Der ewige Tag“: „Eine große, freilich noch in der Gärung steckende Kraft spricht aus diesen Versen […]. Einförmig und langgestreckt wie die grauen Fronten proletarischer Gassen ziehen sie dahin.“ Der folgende Satz erinnert an eine Zeile aus Goethes „Faust“: „Aber unter der äußeren Monotonie glüht ein dreimal heiliges Feuer lebendigster Gefühle und Erlebnisse.“ Zech hebt hervor: „gerade für die brutalsten Situationen fand Heym die glühendste Beredsamkeit. Ja, man kann sagen: die Lust, Grauenvolles und Abnormes darzustellen, ist das Charakteristische für Heym.“ Den Kollegen lässt er selbst zu Wort kommen, indem er mehrere Verse aus dessen Lyriksammlung „Der fliegende Holländer“ abdruckt.

      Im gleichen Artikel weist Zech anerkennend auf Hugo von Hofmannsthals Anthologie „Gedichte und kleine Dramen“ hin. Gegen das Schaffen des österreichischen Dichters insgesamt äußert er jedoch Vorbehalte: „Wenn auch schon mancher Glanz von der schillernden Genialität des Lyrikers […] verblichen ist, wir werden ihn doch unter die besten Namen von heute zählen müssen. Und dieser Ruhm beschränkt auf ein knappes Dutzend von Gedichten.“ Um ein Zugeständnis an die Leserschaft der Lokalzeitung handelt es sich, wenn er zwei Autoren der Region, Erwin Vetter und Carl Robert Schmidt, erwähnt.136

      Mit seinem eigenen lyrischen Schaffen kommt Zech gut voran. Die neueste Fassung des „Schwarzen Reviers“, erstmals mit der Maschine und nicht mehr mit der Hand geschrieben, widmet er „Emmy Schattke, der Vertrauten und Mitwisserin meiner Verse herzlichst Paul Zech 19.4.1912“. Das Exemplar enthält die Stücke „Gegen Morgen“, „Einfahrt“ und „Der Hauer“ sowie weitere Gedichte, die sich in der Erstausgabe von 1913 wiederfinden. Drei wichtige Titel fehlen hier noch: „Der Kohlenbaron“, „Der Agitator“ sowie „Streikbrecher“. Zech verarbeitet seine Eindrücke vom „Dreibundstreik“ erst allmählich, bringt sie Mitte des Jahres 1912 in lyrische Form und fügt sie erst dann in das Typoskript ein.

      Im April ist Zech in zwei Ausgaben von Waldens Zeitschrift „Der Sturm“ mit je einem Gedicht vertreten. Eines, „Nächtlicher Marktplatz“, befindet sich im illustren Umfeld einer Zeichnung von Pablo Picasso.137

      Da „Schollenbruch“ in den Buchhandlungen von Elberfeld und Barmen zum Verkauf ausliegt, kann der „Tägliche Anzeiger für Berg und Mark“ die Neuerscheinung nicht übergehen. Rezensiert wird sie von Kerst. Der ärgert Zech, indem er der Ausgabe keinen eigenen Artikel widmet, sondern sie zusammen mit Vetters „lyrischem Flugblatt“ „Das offene Buch“ bespricht: „Beide Dichter sind Grübler, die