Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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nach Essen. Scherzend hat Schattke ihm geraten, er solle „die Dichterei an den Nagel hängen und in den Frühling wandern“. Darauf entgegnet er: „Liebste Freundin […] ich teile den Rausch gern mit einer gleichgestimmten Seele, jetzt fehlt sie mir. Darum muss ich mich weiter zerfasern und resignieren. Oder Verse schreiben.“99 Vor die Wahl gestellt, entscheidet er sich für die zweite Lösung, arbeitet sein Gedicht „Mittagsschwüle“ um, fügt unter dem Titel die Worte „Unfern Essen“ ein und schickt es an Walden. Der veröffentlicht die Verse im „Sturm“.100

      Zweig bedankt sich bei Zech für dessen Artikel in der Barmer „Allgemeinen Zeitung“: „Es ist mir sehr lieb, dass inzwischen Ihnen Verhaeren schon den seinigen gesagt hat, denn ich komme wirklich sehr spät.“101 Von dieser Nachricht ermutigt, schickt Zech ein Exemplar der „Waldpastelle“ nach Caillou qui bique, versehen mit der Widmung: „Dem großen Dichter Emile Verhaeren in Ehrfurcht Paul Zech 12. Juni 1911“.102 Der Empfänger antwortet: „J’ai lu vos Waldpastelle. Ce sont des poèmes pleins de fraîcheur et qui sentent bon les bois. Mon appréciation n’est certes pas très solide, car je ne connais pas assez la langue allemande pour bien vous juger, mon sentiment avec sincérité.“ („Ich habe Ihre Waldpastelle gelesen. Es sind Gedichte voller Frische, die nach Wald duften. Mein Urteilsvermögen ist sicherlich nicht sehr solide, da ich nicht genügend Deutsch kann, um Sie zu beurteilen, mein Gefühl aufrichtig.“)103

      Erneut wendet sich Zech an Münchhausen, mit dem er fast ein Jahr keine Verbindung mehr gehabt hat, und schickt ihm 15 Gedichte zur Begutachtung, in der Hoffnung, sie durch die Fürsprache des Barons veröffentlichen zu können. Seine Auswahl erläutert er so: „mögen Sie freundlich daraus ersehen, dass ich Ihre Vorwürfe, die Sie mir in Bezug auf meine [fehlende] Abschrankung zu den (wie Sie sagten) Wiener Juden-Ästheten gemacht haben, [ernst genommen habe].“ Im Gegensatz zu dem, was er wirklich denkt, betont er: „Ich gebe ohne weiteres zu, dass ich mich von dem äußerlichen Glanz der Kunst eines Hofmannsthal oder Rilke und anderer habe blenden lassen. Mit der Zeit habe ich es selbst herausgefühlt und die Produkte jener Zeit vernichtet.“104 Das ist nicht geschehen und nach wie vor gehört er der „Jungbergischen Dichtergruppe“ an.

      Der Bittsteller versucht, das Wohlwollen Münchhausens zu gewinnen, indem er sich verstellt. Rilke ist ihm weiter Vorbild und sein Schaffen hat mit den Ansichten des Barons von „teutscher Literatur“ wenig mehr gemein. Andererseits denkt dieser nicht daran, den lästigen „Schüler“ zu fördern, denn er hält ihn für einen Stümper. Doppelzüngig antwortet er: „Ihre Sendung ist mir eine wirkliche Freude gewesen […]. Sie haben einen tüchtigen Schritt vorwärts getan und können von jetzt ab getrost regelmäßig an Jugend, Fliegende Blätter, Gartenlaube, Daheim undsoweiter einsenden. Glück auf!“105 Er sieht in dem Kollegen demnach einen Schriftsteller, dessen Texte sich höchstens für die „Gartenlaube“ eignen. Zech kommentiert die Empfehlung nicht, legt seiner Antwort sogar weitere Manuskripte bei.106 Was er wirklich denkt, behält er für sich. Noch vor Wiederaufnahme des Briefwechsels mit Münchhausen hat er Zweig eingeladen, nach Elberfeld zu kommen, um bei der „Literarischen Gesellschaft“ aus eigenen Werken zu lesen. Die dem Baron als vollzogen gemeldete „Abschrankung zu den Wiener Juden-Ästheten“ hat nicht stattgefunden. Seine Verbindung zum österreichischen Kollegen wird sogar noch enger. Zweig ist bereit, auf einer seiner Reisen Station im Bergischen Land zu machen und erörtert Möglichkeiten für ein Treffen.107

      Zech hat Lasker-Schüler gefragt, ob es eine Verstimmung zwischen ihnen beiden gäbe, und erhält zur Antwort: „ich habe nie heimlichen Groll ohne zu fragen. Nie so was denken! Ihre Freundin Else Lasker-Schüler. Meine Grüße an Ihre Frau und Ihre Kinder.“ Ein Umzug in die Hauptstadt scheint nicht mehr ausgeschlossen. Das geht aus einer Andeutung der Dichterin hervor: „dass Sie kommen, ist sehr nett und ich hoffe Sie finden etwas.“108 Damit reagiert sie auf Zechs Fragen nach einer Anstellung und Wohnung in Berlin. Als er sich nicht gleich meldet, schreibt sie ihm erneut: „Lieber Dichter, haben Sie meine Antwort erhalten?“109

      Über Herwarth Walden erreicht Zech ein Brief von Georg Heym. Der gehört in Berlin dem „Neuen Club“ an, einer Autorenvereinigung, die „Neopathetisches Cabaret“ macht. Ihre Mitglieder wollen durch öffentliche Lesungen aus eigenen Werken bekannt werden. Auch bereiten sie die Herausgabe einer Zeitschrift vor, die den Titel „Neopathos“ tragen soll. Auf der Suche nach geeigneten Autoren haben sie im „Sturm“ die Beiträge des Kollegen aus Elberfeld gefunden. Heyms Briefe sind nicht erhalten, Zechs Antworten liegen vor. In der ersten steht: „Erschrecken Sie nicht, dass Sie nur einen simplen Provinzler vor sich haben. Aber wenn Ihnen meine Gedichte gefallen, gebe ich sie gern her für Ihr Unternehmen.“ Er behauptet: „Viel kann ich Ihnen nicht geben. Die letzten Jahre haben mir wenig an Lyrik gebracht“, und erklärt zusätzlich: „Meine frühen Verse, die Ostern unter dem Titel ‚Hinterm Pflug‘ erscheinen, sehe ich nicht gern in einer exklusiven Zeitschrift gedruckt.“ Zwar lässt er sie veröffentlichen, weist aber darauf hin: „Die ganze Art meines heutigen Schaffens ist eine andere und jene frühen Sachen sind eigentlich nur Versuche.“110 Den Titel der Sammlung ändert er wenig später ab in „Schollenbruch“. Georg Heym erhält eine Auswahl von zehn Gedichten, darunter „Weg in den Vorfrühling“, „Spätherbst“ und „Sommerabend im Park“. Verse mit industrieller und sozialer Thematik sind nicht dabei, aber Herwarth Walden veröffentlicht drei dieser neuen Arbeiten unter dem Titel „Zwischen Russ und Rauch“: „Die Einfahrt“, „Der Hauer“ und „Im Dämmer“.111 In ihnen sind Erlebnisse unter Tage sowie Berichte von Bergleuten verarbeitet, die Zech während seines Aufenthaltes als Kind in Müncheberg kennengelernt hat.

      Ungeduldig wartet Zech auf Heyms Antwort, doch es kommt keine, weshalb er ihm nach zwei Wochen schreibt: „Auf Ihre freundliche Aufforderung sandte ich Ihnen einige Verse für die von Ihnen geplante Zeitschrift. Leider vermisse ich bis heute Ihre Empfangsanzeige und Ihre weiteren Aufschlüsse über das Unternehmen.“ Die Verbindung will er nutzen, um seine Bibliothek zu erweitern, ohne Geld ausgeben zu müssen: „Auch würde es mich sehr freuen, in den Besitz Ihres eigenen Versbuches zu gelangen. Ich kann Ihnen eventuell eine Besprechung in einem mir befreundeten Blatte ermöglichen.“112 Heym kommt dieser Aufforderung nach und bittet Ernst Rowohlt, ein Exemplar von „Der ewige Tag“ nach Elberfeld zu schicken. Zech bedankt sich für das Buch und kündigt eine Besprechung im „General-Anzeiger“ an. Er bedauert, den „Neopathetikern“ keinen Sponsor für ihre Zeitschrift nennen zu können. Das Schreiben enthält seinen oft zitierten Stoßseufzer: „Hier im Wuppertal wird für alles Mögliche Geld ausgegeben nur nicht für Gedichte.“ Es belegt einmal mehr den eigenwilligen Umgang des Verfassers mit Datierungen. Die erste Zeile lautet: „Elberfeld, Neue Gerstenstraße 24 den 3. Oktober 1911“.113 Wie sich aus dem Inhalt ergibt, schreibt er den Brief erst einen Monat später.

      Am 11.11.1911 wird am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Dehmels Komödie „Michel Michael“ uraufgeführt. Die Titelgestalt ist von Beruf Bergmann. Zech erfährt von Stück und Inszenierung aus der Zeitung. Der Titel prägt sich ihm ein. Den Namen macht er zu einem seiner Pseudonyme.

      Anlässlich von Kleists einhundertstem Todestag am 21. November 1911 gibt der Elberfelder „General-Anzeiger“ seinem Mitarbeiter Gelegenheit, mit einem Gedicht an dieses Ereignis zu erinnern, was ihm bares Geld sowie wachsendes Ansehen seitens der Leserschaft einbringt. Die erste Strophe lautet: „Heut müssen Rosen, purpurrote Rosen blühn / Auf deinem Grab, das blanker Morgenreif besternte. / Und die von regenschwerem Schwarzgewölk entfernte / Novembersonne müßte funkelnd niedersprühn.“ Zeitgleich veröffentlicht der zwanzigjährige Johannes R. Becher sein erstes Werk, die Kleist-Hymne „Der Ringende“.114

      Schattke fragt Zech brieflich, ob er an Größenwahn leide, weil er sie im „Holländer“ geschnitten habe, als sie vor einigen Tagen dort gewesen sei. Der Adressat reagiert gereizt: „Im Café habe ich Sie nicht gesehen, sonst hätte ich dort bestimmt Ihnen die Hand gedrückt. Das wissen Sie doch auch. Von Größenwahn ist, auch nach Behauptung meiner Feinde, nichts zu erkennen, noch Anzeichen einer Verblödung.“115 Im Wissen um die Krankheit des Briesener Großvaters ist er bei