Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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Zechs Abkehr von der Literatur des 19. Jahrhunderts und seine Hinwendung zur Moderne. Damit liegt er im Trend der Zeit. Das „expressionistische Jahrzehnt“ hat begonnen und Zech entwickelt sich zu einem seiner führenden Vertreter. Vorbild ist ihm Verhaeren, über den er schreibt: „Sein durchbohrender Blick dringt bis in die verzwicktesten Geheimgänge des großen Labyrinthes moderner Fabrikstädte und erforscht und enträtselt alles. Auch nicht die unscheinbarsten Geschehnisse entgehen ihm.“ Die Thematik der Werke des Belgiers fasziniert ihn: „Woran bisher fast alle Dichter mit mehr oder weniger verängstigtem Schauern vorüber gegangen sind: die tumultuösen Geräusche der Großstadt mit ihren großen politischen und religiösen Versammlungen“. Diesen Stoffen wendet er sich nun selbst zu.

      Bei Verhaeren findet Zech ein weiteres Thema, das ihm zu literarischem Erfolg verhilft: „die sozialen Abgründe verrußter Proletariergassen- und Höfe, die staubigen Fabriksäle, die angefüllt sind vom Gekreisch kreisender Spindeln und Transmissionen, alles, alles ward seiner dichterischen Bildkraft untertan.“ Zech schreibt über den belgischen Kollegen: „Er besuchte die Singspielhallen, deren erstickender Dunst von verschaltem Bier, schlechten Zigaretten und entblößten Leibern die Nerven zerrüttet und abtötet.“ Als Hilfsarbeiter im Bergbau von Charleroi ist er häufig selbst Gast in derartigen Etablissements gewesen. Auch weitere Schauplätze der Werke von Verhaeren kennt er gut: „Die aufregenden und gewaltigen Szenen der internationalen Handels- und Auswandererhäfen betrachtet er mit ekstatischer Inbrunst und ward des Schauens nicht müde.“ Das hat Zech auf der Fahrt von Westpreußen nach Holland und Belgien ebenso gemacht. Er entdeckt nun die eigene Biographie als Quelle für sein Schaffen. In besagtem Artikel heißt es: „Kein Wunder, dass dem Dichter die überlebten Formen des ‚Parnasses‘ nicht mehr zusagten, oder besser gesagt, genügten. Mit verächtlicher Gebärde warf er Ästhetizismus und Artistik beiseite und schuf sich eine neue Form.“ Bei Zech braucht es noch einige Zeit, bis er diesen Schritt nachvollzieht.

      Am Schluss des Artikels steht ein Zitat aus der Verhaeren-Monographie von Zweig, dessen Auffassung nach der belgische Dichter „mit der Geste eines Meunierschen Bergarbeiters die überfüllt wankenden Formen allen Lebensrings zerschlägt, um […] eine neue Form, eine neue Religion, ein freudig klares Gefühl des Daseins zu bereiten“.87 Davon fühlt sich Zech persönlich angesprochen. Die Worte erinnern ihn an seine Erlebnisse in Belgien und dem Borinage. Von dieser Zeit hat er bis dahin nie jemandem etwas erzählt, doch Constantin Meuniers Plastik vor dem Bahnhof in Charleroi ist ihm noch immer vor Augen. Nun stellt er fest: die Welt der Arbeit, wie er sie erlebt hat, ist für Verhaeren als literarischer Stoff kein Tabu, sondern ein attraktives Thema. Auch Zweig sieht in der Gestalt des Bergmanns ein Symbol für die „Reform des Lebens“. Zech beginnt nun Novellen zu schreiben, deren Stoffe er seiner Biographie entnimmt und konstatiert: „Dem trägen krähwinkeligen Michel musste erst jenseits der Vogesen ein Zola erstehen, ein Verhaeren, ein Meunier, ehe er sich darauf besann, dass die romantischen Wälder und lieblich geschminkten Auen abgewirtschaftet haben.“88

      Unter den Neuerscheinungen, die Zech besprechen soll, hat er ein Buch gefunden, das seine besondere Aufmerksamkeit erregt: „Was mir die Ruhr sang“.89 Es enthält Gedichte von Heinrich Kämpchen, dem Sohn eines Kohlenhauers, der, wie sein Vater, unter Tage gearbeitet hat. Sie heißen: „Das Grubenpferd“, „Bergmanns Los“ und „Das Bergmannselend“. Eine Totenklage, „Radbod“, ist den Opfern der Schlagwetterkatastrophe von Hamm gewidmet. Auch diese Lyrik bestärkt Zech darin, aus der eigenen Tätigkeit unter Tage kein Geheimnis mehr zu machen. Der Kohlebergbau ist ihm seit Kindertagen vertraut. Künftig, so nimmt er sich vor, soll dieses Thema sein literarisches Schaffen bestimmen.

      Auf die gleiche Idee sind vor ihm außer Kämpchen auch noch andere Schriftsteller gekommen. 1909 hat Paul Grabein einen „Roman aus dem Bergmannsleben“ mit dem Titel „Die Herren der Erde“90 veröffentlicht und einen weiteren mit identischer Thematik nachgeschoben: „Dämonen der Tiefe“91. In einer Ausgabe der „Gartenlaube“ aus dem Jahre 1910 findet sich vom selben Autor die Novelle „Peter Scholtens Kostgänger. Eine Geschichte aus dem Bergmannsleben“.92 Sie ähnelt inhaltlich einer Erzählung, die Walden 1912 im „Sturm“ veröffentlicht: „Das Reiterliedchen“.93 Ihr Verfasser, Paul Zech, schreibt ab dieser Zeit in rascher Folge eine Reihe von Gedichten über „Das schwarze Revier“, ohne dabei sein angestammtes Thema „Natur und Umwelt“ aufzugeben.

      Kramer kritisiert in „Mehr Licht!“ Schwaners rassistische Artikel im „Volkserzieher“. Der Angegriffene beschwert sich darüber bei Fahrenkrog, bekommt aber zur Antwort: „Du irrst dich doch auch sehr, wenn Du glaubst, alles, was Kramer macht, müsste unsere Zustimmung – aus Parteirücksichten – haben. […]. Ich habe aber an Kramer schon längst geschrieben, dass er die Spitzen gegen Dich unterlassen möge.“ Der Vorsitzende des „Bundes für Persönlichkeitskultur“ ist selbst unsicher, ob er damit Erfolg haben wird, und überlegt, was zu machen sei, falls die Angriffe weitergehen: „Ich habe, um mich zu entlasten, für eine Presse-Kommission: Dr. H. Göring, Langermann, Kramer, Zech gesorgt“.94 Mit Unterstützung dieses Gremiums glaubt er, mehr Einfluss auf den Inhalt der Vereinszeitschrift nehmen zu können.

      Von einer Reise durch Amerika nach Wien zurückgekehrt, findet Zweig in der Post Zechs Beitrag über Verhaeren aus der Barmer „Allgemeinen Zeitung“ und bittet daraufhin den Verfasser: „Wenn Sie noch ein Exemplar des Artikels haben, so senden Sie ihn freundlichst direkt an Herrn Emile Verhaeren, Saint Cloud, rue de Montretout 5“.95 Das geschieht sofort. Der Belgier dankt dem Einsender: „Oh le pénétrant et précieux article de critique que vous avez bien voulu me consacrer dans l’Industrie Bezirk. Je l’ai lu et je l’ai aisément compris. Vos remarques sont nettes et justes et vôtre compréhension vous fait honneur.“96 („Oh, was für eine einfühlsame und wertvolle Kritik, die Sie mir mit dem Artikel ‚Industrie Bezirk‘ freundlicherweise gewidmet haben. Ich habe sie gelesen und gut verstanden. Ihre Bemerkungen sind klar und zutreffend, und Ihr Verständnis ehrt Sie.“)

      Zech schreibt an Wegener: „Im Auftrage von Herrn Dr. Hückinghaus soll ich Sie für die fällige Monatsversammlung der Jungbergischen Schriftsteller einladen. Dieselbe findet im Berliner Hof am 7. Mai des Jahres neun Uhr nachmittags [!] statt.“ Der neue Vorsitzende ist der Meinung, da er selbst dichte, sei er für dieses Amt geeignet. Vier Zeilen seines Gedichts „Sehnsucht“ schaffen Klarheit, wie talentiert er ist: „Mich fasst der Sehnsucht Fieber, / ich hebe mein Haupt vom Pfühl / Es geht durch die stille Kammer / Der Sommernacht Odem schwül“.97 Zech kann den Mann nicht ausstehen. Was ihn veranlasst, dennoch an der Versammlung teilzunehmen, ist die finanzielle Klemme, in der er steckt. Das Treffen will er nutzen, um nach Möglichkeiten zu suchen, wie er mit seinem Schreiben Geld verdienen kann. Wegener drängt er: „ich würde mich freuen, wenn Sie erscheinen würden und hoffe, dass Sie nicht verhindert sein werden. Ich möchte Sie einiges fragen.“98 Bei diesem Kollegen holt er sich vor allem Rat zu fremdsprachigen Texten.

      Von Emmy Schattke erreicht Zech der Brief, auf den er seit Monaten wartet. Trotzdem antwortet er ihr nicht sogleich, da ihn berufliche und private Sorgen umtreiben, dann aber verfasst er eine Liebeserklärung, die alle Beteuerungen gegenüber Helene, seine Gefühle für die Lehrerin seien rein platonisch, Lügen straft. Eifersüchtig erkundigt er sich, ob die Freundin an ihrem neuen Wirkungsort in Essen schon eine Bekanntschaft gemacht habe: „Ich bewundere Ihren Lebenshunger, nur verstehe ich nicht, wie die Einsamkeit, in die Sie sich zurückgezogen haben, die erwünschten Freuden gewähren soll. Sie werden doch nicht Männerherzen brechen wollen?“ Dann legt er los: „Wenn aber dem so ist, warum nehmen Sie nicht meins? Ich bot es Ihnen schon einmal lächelnd. Ich bin nun unzufriedener denn je. Eine Ohnmacht jagt die andere.“ Gegen weitere Anfälle dieser Art weiß er Rat: „Eine Aussprache mit Ihnen, irgendwo im Grünen bei Vogelgezwitscher und Kleeduft wäre mir Balsam. Aber nun sind Sie dort und ich bin hier. Und noch dazu jene Kluft, die Gesellschaft und Konvention zwischen uns gezogen haben.“ Dessen ungeachtet bittet er: „Aber wenn Sie mir trotzdem einen halben oder ganzen Sonntag schenken wollen – der Himmel wird mit Segen nicht kargen.“

      Damit das Wiedersehen rasch zustande kommt, schlägt Zech vor: „Vielleicht