Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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Von seinen Lebensumständen erzählt er den Mitmenschen nichts: „Wir scheuten uns, nach dem zu fragen, was vorher mit ihm war, und ahnten doch Abgründe und bittere seelische Not. Die Rillen seiner Stirn und das Geduckte seines Wesens redeten eine eigene Sprache. Sollten wir uns vermessen, […] Geschehenes aufzuwühlen?“63

      Zech hofft, in Wegener den geeigneten Rezensenten für seine Gedichte gefunden zu haben, und schickt ihm „Das frühe Geläut“. Die Erklärung, weshalb es sich nur um ein dünnes Heft handelt, liefert er mit: „Zur Publikation dieses Schriftchens bewog mich der Gedanke, dass man als Unbekannter dem Fernstehenden eigentlich nur zwei bis drei Gedichte darbieten soll […] mir persönlich bereiten dickleibige Versbücher immer ein gewisses Unbehagen.“ Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus: ein Buch hat er nicht bezahlen können. Auch wenn Zech vorgibt, nicht eitel zu sein, so drehen sich seine Gedanken meist um die eigene Person. In diesem Brief beginnen vier aufeinanderfolgende Sätze mit dem Wort „Ich“. Zwei davon lauten: „Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich über die kleinen Hefte kritisch äußern würden. Ich denke doch, dass Ihnen da oder dort eine Schrift zur Verfügung steht.“64 Da der Adressat nicht so schnell reagiert, wie der Absender es möchte, macht dieser nach einer Woche Druck: „Ich habe Toelke geschrieben, dass Sie ein paar Worte über unsere Flugblätter verlieren wollen. Sie können es nun ruhig versuchen.“65 Die Mitglieder der „Jungbergischen Dichtergruppe“ müssen sich Einiges einfallen lassen, damit in der Presse Besprechungen über ihre Beiträge im „lyrischen Flugblatt“ erscheinen. Nicht so Ludwig Fahrenkrog. Er bestellt bei der Redaktion seines eigenen Vereinsorgans „Mehr Licht!“ einen entsprechenden Artikel. Den schreibt der Berliner Verleger Ernst Valentin: „Ich muss gestehen, dieses wirklich vornehme Heftchen […] hat ganz gewiss etwas in die Augenspringendes, Nochniedagewesenes an sich“. Zwar lobt er: „Fahrenkrog und vor allem Paul Zech sind die entschieden stärkeren Talente“, kommt aber zur Auffassung: „Fahrenkrog ist leidenschaftlicher, bewegter.“66 Als Kommentar veröffentlicht Schriftleiter Kramer auf der gleichen Seite des Blattes Zechs Gedicht „Die Toten“.67 Die Leser sollen sich selbst ein Urteil bilden.

      Zech hat Lasker-Schüler von der Anthologie zum Lob des Bergischen Landes berichtet und hofft, sie werde mitmachen. Durch jüngste Erfahrung misstrauisch geworden, fordert sie ihn auf: „Kommen Sie bald mit Herrn Vetter hier nach Berlin.“ Auch diesmal bestellt sie einen Gruß an Ehefrau Helene. Ihr Sohn Paul lässt den sechsjährigen Rudi grüßen.68 Der „Wupperfreund“ ist gestresst und beklagt sich bei Schattke: „Ich bin so überlastet mit geschäftlicher und privater Arbeit, dass ich bald verzweifle. Schon zweimal hatte ich einen Schwächeanfall.“ Das könnte wahr sein, wie der Briefkopf vermuten lässt. Der lautet: „Elberfeld, Neue Gerstenstraße 24, den 31. November 1910.“ Zech notiert ein Datum, das es nicht gibt. Er ist überfordert. Die jüngst erschienenen „Waldpastelle“ erwähnt er nur am Rande, so sehr nehmen ihn alltägliche Dinge in Beschlag. Er schickt Schattke zwei Exemplare und vermerkt dazu lediglich: „Die beiden Flugblätter sind für Ihren Gebrauch.“69 Seine Laune wird noch schlechter, als er erfährt, dass im „General-Anzeiger“ kein Artikel über die „Lyrischen Flugblätter“ erscheinen wird, weil Toelke nicht bereit ist, einen entsprechenden Text Wegeners zu veröffentlichen.

      Aus Wien kommt eine Reaktion auf „Das frühe Geläut“. Zweig widmet den Beiträgen der Autoren jeweils einige Worte. Vorbehalte hat er gegen die Verse von Fahrenkrog, Vetter und Grünewald. Lob zollt er Zech, aber auch Kerst, was den Leser der Nachricht wenig freut. Insgesamt äußert sich der Kollege positiv über die erbrachten Leistungen und berichtet, er selbst habe früher aus der Zusammenarbeit mit anderen Schriftstellern Gewinn gezogen. Die „jungbergischen Dichter“ ermutigt er, ihre Ziele weiter zu verfolgen: „Sie erleben jetzt gerade den schönsten Moment: vor dem öffentlichen Debut der Bücher. Später mischen sich trotz aller innerlichen Bemühungen kleine Rivalitäten ein, die Ziele divergieren.“ Hier irrt Zweig. Ein harmonisches Miteinander hat es in dieser Gruppe von Anfang an nicht gegeben. Die Bestrebungen jedes einzelnen Mitglieds, Vetter ausgenommen, sind stets auf das eigene Fortkommen gerichtet gewesen. Deshalb bleibt auch das Projekt einer Anthologie mit Beiträgen zur Schönheit des Bergischen Landes in den Anfängen stecken, obwohl von Rudolf Herzog eine Zusage vorliegt und Zweig an Zech schreibt: „Nehmen Sie als Zeichen meiner aufrichtigen Teilnahme an Ihrem Verein das Gedicht ‚Die ferne Landschaft‘ wenn Sie wollen, auch das zweite ‚Bäume im Frühling‘ (allerdings vor Jahren in der ‚Zeit‘ erschienen).“70

      Zech verspürt keine Lust mehr, sich um die Veröffentlichung von Texten zu bemühen, die er nicht selbst verfasst hat. In seiner Antwort an Zweig geht er auf das gespannte Verhältnis unter den „Jungbergischen Dichtern“ ein: „Sehr interessiert hat mich das Detail über Ihren Dichterkreis. Was Sie prophetisch voraussehen (die spätere Rivalität) kann ich schon heute wahrnehmen.“ Eine Ausnahme hebt er hervor: „Sehr erfreut hat es mich, dass Sie auch über Vetter eine gute Meinung haben. Ich sehe in ihm eine starke Hoffnung.“ Zweigs Urteil über die Verse der Kollegen kommentiert er wie folgt: „Trotz Ihrer feinen Umschreibung haben Sie Fahrenkrog und Grünewald-Bonn richtig erkannt. Ich weiß genau, wie Sie über diese Dichter denken.“ Dann aber heuchelt er: „Aber als Menschen, als Freunde möchte ich sie nicht missen“. Wahr ist: Grünewald-Bonn kann er nicht ausstehen und seine Bewunderung für Fahrenkrog schwindet. In der Autoren-Gemeinschaft harrt er aus, weil er sich davon Vorteile erhofft. Mittlerweile verfügt er über ein kritisches Urteilsvermögen: „Das literarische Leben ist hier im Allgemeinen sehr altfränkisch. Kein Wunder, der Schatten Emil Rittershaus‘ verfinstert noch das dämmernde Frührot. Aber ich denke, an uns Jungen liegt es, dass Licht in die Gassen bricht.“

      Danach muss Zech Farbe bekennen: „Ich komme nun zu einer sehr heiklen Sache. Von meinem Freunde Vetter wurde ich aufmerksam gemacht, dass in meinem lyrischen Flugblatt ‚Waldpastelle‘ eine Wendung sich vorfindet, die an Ihr Wintergedicht mahnt.“ Beide Texte haben nicht nur das Motiv gemeinsam: ein erblühender Baum, auf den Schnee fällt. Darüber hinaus weisen sie zu Anfang Übereinstimmungen auf. Im sechsten „Waldpastell“ von Zech heißt es: „Die Bäume stehn mit hungerdürren Armen / Oh Gnade! Oh Erbarmen!“ Bei Zweig finden sich im Gedicht „Winter“ an entsprechender Stelle die Worte: „Zu Gott […] / Flehen die Äste mit frierenden Armen: / Erbarmen! Erbarmen!“ Zech beteuert: „Ich versichere, dass ich ganz unschuldig an der Sache bin“. Zweigs „Winter“ könne auf keinen Fall das Vorbild für sein Gedicht abgegeben haben. Das angebliche Vorbild sei erstmals 1906 in der Ausgabe „Die frühen Kränze“ erschienen, sein Werk dagegen schon 1905 im „Bergischen Türmer“. Weiter behauptet er: „Die ‚frühen Kränze‘ kenne ich erst seit 1908. Nun urteilen Sie.“71 Zweig ist viel zu diplomatisch, um dieser Aufforderung nachzukommen. Ob er dem Kollegen Glauben schenkt, steht dahin. Beim „Bergischen Türmer“ handelt es sich um eine Zeitung, die erstmals 1903 in Lindlar erschienen ist. Weder im Jahrgang 1905 noch in einem anderen ist Zechs „Winternacht“ zu finden. August Vetter hat seinen Kollegen beim Abschreiben erwischt.

      Im Advent steht in der Barmer „Allgemeinen Zeitung“: „Ein lieblicher Sänger ist Paul Zech, dessen Gedichte seit kurzem in Zeitschriften auftauchen. Zwei Flugblätter sendet er jetzt aus. ‚Waldpastelle‘, das ihm ganz zu eigen ist, und ‚Das frühe Geläut‘, das er mit Christian Gruenewald verfasst hat.“ Der anonyme Rezensent glaubt den Ratschlag geben zu müssen: „Wenn sich Paul Zech von dem Einfluss der noch stark dominierenden blassen wiener Schule freimacht, kann er sich noch zu eigener herber Größe aufschwingen. Er verfügt über ganz prächtige poetische Bilder, die sich allerdings noch um einen engen Kreis bewegen.“72 Beim Rezensenten könnte es sich um einen Literaten aus dem Umkreis von Münchhausen handeln.

      Vor Weihnachten möchte sich Zech nochmals mit Wegener zusammensetzen, da er für die Veröffentlichung von dessen Artikel über seine Gedichte eine Lösung gefunden hat. Als Treffpunkt schlägt er das „Café Holländer“ vor: „vielleicht bringen Sie mal die Besprechung der Flugblätter mit. Auf die Zeilenzahl kommt es gar nicht an. Der Redakteur will die Arbeit nicht vor Neujahr haben. Ich gebe Ihnen dann Adresse und genauen Zeitpunkt an.“ Zech bittet noch: „Wenn es Ihnen keine Mühe macht, können Sie mir