Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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Über Ambosruhe und Räderschweigen / Funkelt das große Sternenbilderbuch.“ Schenkt man den Versen Glauben, verbringt er diesen Abend mit der Familie und es gibt eine Bescherung: „Alle Mütter flüstern verstohlen, / Alle Kinder erwarten wen – // Bis mit einem Male / Irgendwo eine verriegelte Türe springt, / Und mein Herz wieder die alten Chorale / Der Weihnacht singt.“74 Außer der Beschreibung des Zechschen Familienlebens um 1910 vermittelt das Gedicht einen Eindruck vom Dialekt, den der Autor spricht. Er ergibt sich aus der zweiten und vierten Zeile der ersten Strophe. Es reimt sich „Dämmertrug“ auf „Sternenbilderbuch“. Es liegt die im Bergischen Land übliche Aussprache von „Buch“, die in Elberfeld „Buk“ lautet, zugrunde.

      Ende des Jahres meldet sich Lasker-Schüler bei Zech. Auch ihr hat er „Das frühe Geläut“ und die „Waldpastelle“ geschickt. Sie schwärmt: „Herrliche Gedichte! Ich glaube Herwarth wird einige in den Sturm bringen“. Nach knapp einer Woche erscheint in der Zeitschrift Zechs „Gang in den Winterabend“, wieder in Nachbarschaft zu einem grafischen Beitrag Kokoschkas.75 Von sich berichtet die Freundin: „Es geht uns sehr schlecht. Bin verzweifelt.“ Ihre Ehe mit Walden steht vor dem Aus. Trotzdem denkt sie an das Fortkommen ihres Freundes, für dessen Wechsel in die deutsche Hauptstadt sie auch in diesem Silvester-Gruß wirbt: „Wir freuen uns sehr wenn Sie nach Berlin ziehn.“76

      Zu Jahresbeginn verteilt Zech seine gedruckten Werke an Freunde und Bekannte. Von den „Waldpastellen“ ist eines „Ludwig Fahrenkrog in Freundschaft und Verehrung zugeeignet […]. Elberfeld, 27. Januar 1911“.77 Ein weiteres erhält Zweig. Der schreibt dem Absender daraufhin: „In ihren letzten Gedichten finde ich nun das, was den früheren noch abging: persönliche Note. Eine Silhouette formt sich.“ Dafür findet er einen Vergleich: „Alles Dichterische erinnert mich immer an den Process eines Entwickelns von Photografien – zuerst die leere Platte, dann setzen sich wie ein Schleier Linien an, werden deutlicher, sichtbarer, schärfer.“ Da er vom Talent seines Kollegen überzeugt ist, hat er ihm eine seiner Übersetzungen mit der Aufforderung zugeschickt, diese zu rezensieren: „Ich freue mich, dass Ihnen das Verhaeren-Werk etwas bot und Sie darüber schreiben wollen.“78

      Zech bemüht sich weiter um eine Veröffentlichung von Wegeners Artikel über seine „Waldpastelle“. Dem Kollegen teilt er mit: „die Adresse der Zeitungsredaktion, an die Sie das Manuskript senden können, ist: Herrn Heinrich Kramer, Redakteur, Arolsen Waldeck.“ Aus der schriftlichen Einladung, wieder ins „Café Holländer“ zu kommen, ergibt sich, über welche Lektüre sich die beiden dort unterhalten: „Wenn es Ihnen recht ist, bringe ich am Samstag an Lyrik noch mit: Margarete Beutler, Ricarda Huch, Margarete Susman und Irene Forbes Mosse.“79

      Ein weiteres Widmungsexemplar der „Waldpastelle“ schickt Zech an Dehmel und behauptet: „Ich verbinde mit der Zusendung keinerlei Hintergedanken. Es ist mir nicht darum zu tun, irgendwelche Beziehungen anzuknüpfen oder eine höfliche Kritik von hinten herum zu erlisten.“ Genau das jedoch möchte er erreichen. Am Schluss des Briefs fordert er den Empfänger auf: „So, nun schimpfen Sie, verehrter Dichter, über die Zudringlichkeit dichtender Jünglinge, denn obwohl ich bald in die Dreißig gehe, rechne ich mich noch zu diesem Gelichter.“80 Von der Gattin des Adressaten kommt eine knappe Antwort: „Dehmel wird Ihre Gedichte in einer freien Stunde lesen. Ihnen darüber schreiben wird er nicht, denn er ist mitten in einer Dichtung. Sie werden auch sagen, dass die vorgeht.“81 Zech bleibt nichts anderes übrig, als zu wiederholen: „Gewiß darf und kann ich nicht verlangen, dass sich Richard Dehmel über meine armseligen Verse äußert.“82

      Emmy Schattke, bisher in Elberfeld und Vohwinkel als Lehrerin tätig, wird von der Schulbehörde in die mehr als dreißig Kilometer entfernte Stadt Essen versetzt. Der Beziehung mit dem platonischen Freund droht das Ende. Beider Briefwechsel stockt für Monate. Zechs Laune wird zunehmend schlechter. Zum Kummer über die Trennung kommt für ihn eine schlimme Erfahrung hinzu. Das Erscheinen eines Buches, so muss er zur Kenntnis nehmen, schließt dessen Kassenerfolg nicht von vorneherein mit ein. Es braucht Beharrungsvermögen und Geduld, bis eine Neuerscheinung die Leserschaft erreicht.

      Diese Einsicht macht es Zech leichter, ein weiteres „lyrisches Flugblatt“ aus dem Verlag von Meyer stillschweigend zur Kenntnis zu nehmen. Es heißt „Die frühe Ernte“ und ähnelt zum Verwechseln dem „frühen Geläut“: Auch Grünewald-Bonn ist es gelungen, in Berlin eine eigenständige Publikation herauszubringen. Auf deren zweiter Seite teilt er mit: „Die in diesem Flugblatt enthaltenen Gedichte sind meinem demnächst erscheinenden Buche: ‘Denn ich bin Gott‘ entnommen“. Ebenso blasphemisch fährt er fort: „Der Titel des Buches erscheint vielen gewagt und übertrieben und doch ist er schlicht und einfach. Er ist das Resultat meines jahrelangen Suchens und Tastens nach Licht und Wahrheit. Treffender konnte ich meine Weltanschauung nicht ausdrücken.“

      Die Gedichte der „frühen Ernte“ richten sich gegen das Christentum und weisen ihren Verfasser unübersehbar als Schüler Fahrenkrogs aus, obwohl er anmerkt: „Ich habe dieses Buch Stefan Zweig gewidmet, als eine Anerkennung seiner Verdienste um Emile Verhaeren.“83 Zech ist so unvorsichtig gewesen, Bücher des Wiener Kollegen ins „Café Holländer“ mitzunehmen, zwei Neuerscheinungen: Zweigs Übertragung ausgewählter Dramen von Verhaeren sowie seine Monographie über den belgischen Dichter.84 Bei der Zusammenkunft hat Grünewald-Bonn diese Ausgaben gesehen. Nun versucht er, seiner Veröffentlichung mittels der Widmung Aufmerksamkeit zu verschaffen.

      Im „General-Anzeiger“ erscheinen weitere Gedichte Zechs. Das freut ihn zwar, doch seine Stimmung wechselt häufig, da er von Emmy Schattke keine Post erhält. Ein Treffen mit ihr gestaltet sich schwieriger als bisher, denn womit soll er Helene gegenüber eine Bahnfahrt nach Essen begründen? Unproblematisch ist sein Briefwechsel mit Lasker-Schüler. Der beeinträchtigt den häuslichen Frieden nicht. Zum Geburtstag schickt er der Dichterin eine Bonbonière und ein weiteres Exemplar der „Waldpastelle“. Dieses Exemplar hat er selbst eingebunden und mit der Widmung versehen: „Else Lasker-Schüler, dem schwarzen Schwan Israels in aufrichtiger Verehrung. Paul Zech Elberfeld, im Februar 1911“.85 Die Beschenkte dankt ihm: „Ich bin wirklich gerührt über die schöne Überraschung! Der Seideneinband gehört wirklich zu den Gedichten. Die Bonbonière haben Paul und ich schon fast aufgenascht.“ Wie viel die Dichterin von den Versen hält, zeigt ihre Frage: „Schicken Sie nicht bald wieder dem Sturm?“86

      Zech folgt der Aufforderung erst nach Wochen. Möglicherweise hält ihn die Arbeit an einem Artikel über „Emile Verhaeren“ für die Barmer „Allgemeine Zeitung“ davon ab. Diesem Text legt er zwei Studien von Johannes Schlaf und Julius Bab zugrunde. Deren „völkische“ Ausdeutung der Werke des Belgiers macht er sich teilweise zu eigen, indem er die germanische Herkunft des Stammes der Flamen betont. In der Einleitung nennt er den Schriftsteller Camille Lemonnier als Begründer der aktuellen „Sturm- und Drang-Periode“ in der belgischen Literatur, zu dessen Freunden Maeterlinck sowie Verhaeren zählen, und befindet: „Obwohl diese beiden Söhne des bretonischen Weltwinkels von Geburt Flamländer (also Germanen) waren, so sprachen sie doch die Sprache der Franzosen.“

      An Maeterlincks frühen Gedichten missfällt ihm: „Die verschrobensten Bilder, die gewagtesten Situationen und Vergleiche wurden gewaltsam herangezerrt, um den Versen einen übergenialen Anstrich zu geben.“ Wenige Jahre später wird er sich selbst dieser Stilmittel bedienen. Noch befürchtet er, so zu schreiben müsse zum Wahnsinn führen, und äußert Genugtuung über eine Wende im Schaffen des Kollegen: „das Gesunde in Maeterlinck blieb Sieger. Er überwand diesen fiebernden Fäulnisprozeß.“ Es folgt eine Untersuchung der frühen Lyrik Verhaerens. Weniger kritisch angelegt als die über Maeterlinck, endet sie dennoch mit der Feststellung: „Das flämische Blut aber fließt nur sehr spärlich durch dieses unendlich kühle Geäder.“

      Den Mittelpunkt von Zechs Artikel über Verhaeren bildet das Lob der Werke: „Les Soirs“, „Les Débâcles“ und „Les Flambeaux noirs“. Auf den ersten Blick scheint der Text nichts weiter zu sein als einer der vielen Beiträge in einer Provinzzeitung, mit denen der Verfasser Geld verdienen will. Bei genauer Lektüre erweist er sich als ein aufschlussreiches Dokument