Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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Werke Oskar Kokoschkas. Die Initiatorin der Veröffentlichung berichtet in dieser Ausgabe über ihre Erlebnisse im Bergischen Land und schließt mit den Worten: „die Einkehr in meine Heimat habe ich einem Dichter in Elberfeld zu verdanken, der kam dorthin lange nach mir. Paul Zechs feine künstlerische Gedichte duften morsch und grün nach der Seele des Wuppertals.“50 Der „Volkserzieher“-Stammtisch, den Zech seit Jahren besucht, löst sich auf. Ursache dafür sind interne Meinungsverschiedenheiten und der Wegzug mehrerer Teilnehmer. Auch Amalie Pohl verlässt das Wuppertal. Ihr Mann, Max Pohl, wird als Postbeamter nach Siegburg bei Bonn versetzt. Das Ehepaar kauft ein kleines Bauernhaus in Heide. Tochter Maria berichtet darüber: „Es war ein wenig verwahrlost, das Fachwerk fiel überall ab, aber das machte nichts. Vater war der geborene Handwerker und wurde mit allem fertig, und so sah das Häuschen bald manierlich aus.“51 Die Mitgliedschaft in Fahrenkrogs „Deutschem Bund für Persönlichkeitskultur“ behalten Pohls bei und üben auch ihre Ämter im Verein weiter aus.

      Zech erhält eine Einladung, in Heide Gast zu sein, doch er sagt ab. Die Gründe dafür lässt er Schattke wissen: „Wenn ich auch könnte, so muss ich es mir versagen, nach Siegburg zu kommen. Ich bin die letzte Zeit so heruntergekommen, dass ich für Freund und Feind nicht zu genießen bin.“ Verursacht wird das Unwohlsein zum Teil durch seine Mitgliedschaft im „Bund für Persönlichkeitskultur“, dem er beigetreten ist, um Fahrenkrog gefällig zu sein: „Ich kann auch die Sache […] nicht aufrecht erhalten. Ich werde wahrscheinlich ausscheiden mit dem 1. Oktober.“ Diese Ankündigung macht er nicht wahr, doch Heide meidet er, weil er befürchtet, dort „Jungbergische Dichter“ und Mitglieder von Fahrenkrogs Verein zu treffen: „Mit Leutchen wie Grünewald kann ich nimmer unter einem Dache in Berührung kommen. Ich werde Ihnen seinerzeit mündlich jede Aufklärung geben. Es tut mir leid für Pohls.“52 Den Besuch in Heide will er nachholen.

      Diese Zusage hält Zech ein und ist in der kommenden Zeit an Wochenenden mehrfach zusammen mit Schattke oder allein Gast in Heide. Dort verfasst er Gedichte, die der Landschaft und der Freundin gewidmet sind. Detailliert beschreibt er das Anwesen der Pohls: „Die Kate am Heiderand / steht lauernd wie ein Posten / mitten im Feindesland. / Unter der Strohkapuz / glühn ein paar klare Augen, / die funkeln nur so von Trutz. / Am Giebel prunkt und prahlt / manch eine Wetternarbe.“53 An die Begleiterin ergeht gereimt die „Aufforderung“: „Komm in Deinem weißen Kleide, / liebe wunderblonde Frau. / Sieh der Himmel ist so blau / und ein Märchenreich die Heide.“ Das lyrische Ich möchte mit ihr auf „Brautfahrt“ gehen: „Morgen werden alle Glocken singen, / morgen wird Dein junges Herz aufspringen / und Dein Blondhaar grün bekränzt.“54

      Einem Rat Lasker-Schülers folgend, knüpft Zech Verbindung mit Richard Dehmel und schreibt ihm: „Ich beabsichtige ein kleines Werkchen herauszugeben, das von den Schönheiten des Landes Elberfeld-Barmen zeugen soll. Dafür kommen auch einige Aussprüche bedeutender Männer in Betracht, die hier vorübergehend anwesend waren.“ Offensichtlich spielt er auf Texte von Hille, Rilke und Bierbaum an.

      Im weiteren Verlauf des Schreibens heißt es: „Nun habe ich auch einen Brief von Liliencron, den er mir 1906 geschrieben hatte, nachdem er in der Literarischen Gesellschaft aus seinen Werken vorgelesen [hat].“55 Da die Rechte am Werk des verstorbenen Autors bei Dehmel liegen, bittet er diesen, das genannte Dokument veröffentlichen zu dürfen, was deshalb paradox ist, weil ein solches nicht existiert. Zwar hat Liliencron 1901 in Elberfeld und 1904 in Barmen aus seinem Schaffen rezitiert, jedoch keinen derartigen Brief geschrieben.

      Zech schätzt die Lyrik des älteren Kollegen, insbesondere den Band „In Poggfred“. Belegt ist das durch das Gedicht „Feierabendidyll“, in dem ein Ehemann seine Frau abends bittet: „Dämpf etwas ab den grellen Lampenschein / und hol mir aus dem kleinen Bücherschrein / den Liliencron. […] / mit feierlich gestimmtem Ton [will ich] / aus Poggfred einen Kantus deklamieren / und in des Dichters Traumland mich verlieren.“56 Dehmel soll auch sein eigenes Gedicht „Die stille Stadt“ [Elberfeld] honorarfrei für den geplanten Sammelband zur Verfügung stellen. Das macht er nicht, sondern erteilt lediglich die Erlaubnis zur Veröffentlichung des nicht existierenden Briefs.57 Der geplante Sammelband erscheint nie.

      Wegen eines Beitrags hat sich Zech auch an den erfolgreichen Barmer Schriftsteller Rudolf Herzog gewandt und von ihm eine Zusage erhalten: „Gerne gestatte ich Ihnen, in Ihrer Broschüre […] einige Stellen mit meinen ‚Wiskottens‘ zu zitieren.“58 Als dann die Drucklegung der Anthologie am fehlenden Geld scheitert, bringt er in einer Buchbesprechung zum Ausdruck, was er vom Werk des Kollegen wirklich hält. Zu Beginn heißt es da zwar: „Über Rudolf Herzog etwas Lobendes zu sagen, dünkt mir überflüssig. Er feiert täglich Feste der Anerkennung und Verehrung.“ Dann aber fährt er fort: „Eins muss ich dem Dichter doch aufmutzen. Die letzte Novelle fällt bedenklich ab. Etwas mehr Vorsicht bei der Zusammenstellung der meist im Feuilleton bekannter Tageszeitungen erschienenen Geschichten hätte nichts geschadet.“59

      Mit der Veröffentlichung „Das frühe Geläut“ bei A. R. Meyer hat Fahrenkrog gegen Kerst gesiegt. Der sucht nach dem Erscheinen des Flugblattes, in dem er nicht vertreten ist, nach einer Möglichkeit, auf diese Kränkung entsprechend zu reagieren. Mit Hilfe seines Vereins findet er eine Lösung: Er wird „Poetische Flugblätter der Literarischen Gesellschaft Elberfeld“ herausgeben. Als erste Nummer schlägt er den Mitgliedern vor: „Gedichte von Paul Zech, August Vetter und Friedrich Kerst“. Fahrenkrog, Kreidt und Grünewald-Bonn sollen nicht vertreten sein. Damit ist einmal mehr klar, wo die Fronten innerhalb der Gruppe verlaufen. Grünewald-Bonn steht mit seinem Schaffen ganz im Banne Fahrenkrogs. Wie es Zech gelingt, trotz anhaltender Fehden mit Kerst vier Gedichte in dieser Publikation unterzubringen, bleibt sein Geheimnis.

      Vetter verdient seinen Unterhalt zurzeit im grafischen Gewerbe. Jahrzehnte später schreibt er über Zech: „Seine Zurückhaltung in menschlicher Hinsicht dürfte wohl charakteristisch für ihn gewesen sein.“ 1910 bleiben ihm die Lebensumstände des Kollegen verborgen: „Dass er Frau und Kinder hatte, glaube ich mich bestimmt erinnern zu können, doch waren sie meines Wissens nicht bei ihm in Elberfeld.“ Für die erste selbstständige Publikation seines Kollegen, die unter dem Titel „Waldpastelle“ bei A. R. Meyer erscheint, gestaltet er die Titelseite. Auch diesen Buchschmuck scheint er nach dem Zweiten Weltkrieg vergessen zu haben, wenn er behauptet: „Bemerkenswert seine [Zechs] literarische Regsamkeit, die ihn ganz in Anspruch zu nehmen schien. Menschlich sind wir uns nicht näher gekommen.“60

      Exemplare seiner ersten Publikation schickt Zech an Schattke mit der Bemerkung: „Wenig Freude hat es mir gebracht.“ Sie soll in ihrem Bekanntenkreis Käufer dafür finden. Wie er die Freundin wissen lässt, sind die Auseinandersetzungen um das Flugblatt zu viel für ihn gewesen: „Furchtbares habe ich in den letzten Wochen erleben müssen. Manchmal war ich irre. Ich habe Sehnsucht. Sie fehlen mir oft.“ Er schlägt ihr vor, gemeinsam mit ihm eine Lesung des Schriftstellers Ernst Zahn bei der „Literarischen Gesellschaft“ zu besuchen: „Sie werden doch kommen?“61 Über das Werk des Kollegen aus der Schweiz schreibt er im „General-Anzeiger“ süffisant: „Trotz all der plastischen Kleinmalerei klafft in der exakten Psychologie eine breite Lücke. Diese auszufüllen, erfordert eine tüchtige Höhe der Darstellung. Gottfried Keller besitzt sie. Ernst Zahn wünsche ich sie.“62

      Ohne den Besuch eines Gymnasiums und einer Universität, unter oftmaligem Verzicht auf Nahrung und Schlaf, hat sich Zech gute Kenntnisse der europäischen Literatur angeeignet. Das macht es ihm jetzt möglich, vor einer kritischen Leserschaft zu bestehen. Längst ist er, was Aufträge zur Berichterstattung in der örtlichen Presse anbelangt, für Kerst zum Konkurrenten geworden. Um weiter Erfolg zu haben, trachtet er danach, immer neue Verbindungen zu knüpfen. Unter anderen lernt er den angehenden Lehrer Carl Hanns Wegener kennen. Dieser notiert später: „Es ist schon ein halbes Menschenalter her, da trafen sich in gewissen Kaffeehäusern der Wupperstadt Elberfeld eine Anzahl junger Leute, Dichter, Maler, Studenten und solcherlei müßige Gesellen […].“ Diese Bohèmiens von der Wupper beschreibt er näher: „Erfüllt von den himmelstürmenden Ideen der Jugend sannen sie über Gott und die Welt und über die Wunder der Kunst nach und stritten um Stefan George, den nicht alle […] als den großen Lehrmeister der jungen Talente anerkennen wollten.“