Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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Seele schreibt. Das erste, „Wandlung“, hat er während Helenes Schwangerschaft zu Papier gebracht. Im letzten Vers beklagt sich der angehende Vater: „Nun in Deinem gesegneten Schoß / mein Herz ganz leise / Sich wandelt zu ewiger Speise / Sind Deine Nächte wunschlos und kühl.“ Was besagt: Helene hat zu der Zeit Pauls Versuche, mit ihr zu schlafen, abgelehnt. In „Psalm“, dem „zweiten Gedicht aus der Ehe“, heißt es: „Sieben Kerzen hab ich angezündet, / Und mein Herzblut stieg und stieg – / Aber Dein Verwundern schwieg / Wie ein siebenmal versiegelt Buch.“ Im dritten Gedicht wünscht sich der junge Ehemann in seines „Weibes hinseufzende Mädchenzeit“ zurück.125 Diese Bekenntnisse hält Zech zunächst alle unter Verschluss. Für die Öffentlichkeit bestimmt ist lediglich ein weiterer jahreszeitlicher Kommentar, „Der Frühling kommt“.126

      Findet sich im Trauschein Zechs noch „Lagerist“ als Berufsangabe, so vermerken die Elberfelder Adressbücher ab dem Jahr 1905 hinter seinem Namen, er sei „Konditor“. Fahrenkrogs Sohn Rolf notiert Jahre später: „Seiner Zeit im Wuppertal war Zechs erlernter Beruf: Bäcker“.127 Der Schriftsteller Börries von Münchhausen bezeichnet den jungen Kollegen in einem Brief an Levin Ludwig Schücking als „Elberfelder Konditorlehrling“.128 Zechs Tochter Elisabeth bestätigt ebenfalls, dass ihr Vater Konditor gewesen sei. Manchmal habe er zu Hause Pralinen hergestellt.129

      Zur Zeit des Berufswechsels beschäftigt sich Zech eingehend mit seinen Vorfahren. In einem Text aus dem Jahr 1919 heißt es: „Die Zwanziger-Mitte hatte ich noch nicht überschritten, als mich das Unglück heimsuchte, aus den Gebirgen der Seele herab auf den Schauplatz Bewußtsein [zu fallen].“ Er erörtert darin körperliche Krankheiten und fährt fort: „Doch zermalmender […] sind geistige Beklemmungen, die der Sold jener Sünden sind, die unserer Geburt vorangingen“.130 Beklommenheit, Kopfschmerz, Erregungs- und Angstzustände, unter denen er leidet, führt er auf negative Erbanlagen zurück, denn er weiß von der Krankheit seines Großvaters Wilhelm, der sich als Patient zeitweilig in einer Nervenheilanstalt befunden hat.131

      Anlässlich von Schillers 100. Todestag im Jahre 1905 kommt es in den Schwesterstädten Barmen und Elberfeld an der Wupper zur Gründung von zwei „Literarischen Gesellschaften“. Erster Vorsitzender wird in Barmen Ernst August Saatweber. Der erinnert sich: „Detlef von Liliencron hob sie aus der Taufe“.132 Diesem Autor hat Otto Julius Bierbaum eine „Epistel von meinem Glücke“ gewidmet. Sie ist in einer 1901 erschienenen populären Lyriksammlung „Irrgarten der Liebe“ enthalten. Die ersten beiden Zeilen der achten Strophe lauten: „Wer murrt da in der Ecke? Schweige, Tropf; / Ich kenne dich, du liebst das Eckenstehn“.133 Von Zech ist aus der Zeit um 1905 ein undatiertes Manuskript überliefert, das die Überschrift „Prolog“ trägt. Der Text beginnt mit den Worten: „Wer murrt da in der Ecke? Schweige blöder Tropf! / Ich kenne dich, du liebst den Wasserkopf“.134 Ein frühes Zeugnis für den freizügigen Umgang des Verfassers mit fremdem geistigem Eigentum.

      Treibende Kräfte für die Etablierung der „Literarischen Gesellschaft“ in Elberfeld sind drei stadtbekannte Persönlichkeiten. Chefredakteur Salomon wirbt in seinem Blatt Mitglieder. Das Amt des Vorsitzenden übernimmt Friedrich Kerst, ein Lehrer, der sich von seiner Tätigkeit an der Städtischen Mittelschule für Mädchen nicht ausgelastet glaubt und zahlreiche Ehrenämter bekleidet. Der Dritte im Bunde ist der im Wuppertal als Künstler allgegenwärtige Ludwig Fahrenkrog. Er schmückt Schulen und Kirchen aus, portraitiert die Prominenz, illustriert Bücher und verbessert sein Gehalt als Dozent durch Reklame-Entwürfe für die Firmen Henkel und Stollwerck. Zielgerichtet vermarktet er das eigene Schaffen auch mittels Kunstdrucken und Postkarten. Vieles davon dient dem Zweck, den germanischen Götterglauben zu verbreiten.135 Zech schätzt sich glücklich, Aufnahme in diese Gesellschaft zu finden. Sorgsam verheimlicht er bei deren Zusammenkünften die eigenen Lebensumstände, Frau und Kind, die Erlebnisse der Jugend und den Arbeitsplatz.

      Beim „Täglichen Anzeiger“ ist Zech von Salomon auf die Rolle eines literarischen Wetterwartes festgelegt. Anfang Februar 1906 erscheint in dieser Zeitung ein weiteres Gedicht von ihm, das, zur Jahreszeit passend, den Titel „Schneeflocken“ trägt.136 Mehr scheint ihm der Chefredakteur nicht zuzutrauen. Als Rilke im Städtischen Museum von Elberfeld einen Vortrag über Rodin hält, berichtet Kerst darüber. Zech behauptet später, er habe einen Beitrag geliefert. Der entsprechende Beleg fehlt.137 Was er an diesem Abend als Zuhörer empfindet, beschreibt er in einem „Requiem“, das nach dem Tod des Dichters erscheint: „In einer knappen Stunde geschah der vollkommenste Querschnitt durch das Werk, und doch fiel der Name [Rodin] nur einmal laut und deutlich wie ein Name in den Raum. Einmal. Und war der Ausklang.“138 Von nun an stehen Zechs Gedichte inhaltlich und formal im Banne dieses „Meisters“. Für ihren Verfasser „ist in allen Phasen seines Werks und auf allen Stationen seines Lebens […] das Werk Rainer Maria Rilkes in auffälliger Weise ein ständiger Begleiter, ja der entscheidende Leitstern“.139

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      Paul Zech um 1905

      Auch Heinrich Toelke, Chefredakteur des „General-Anzeigers für Elberfeld-Barmen“, gewinnt Interesse an dem jungen Mann, der ihm fortwährend Verse auf den Schreibtisch legt. Er erweist ihm den Gefallen und druckt termingerecht eines seiner Gedichte, „Ostermorgen“, ab. Das bedeutet ein großes Entgegenkommen, denn es ist ausschließlich der lokalen schriftstellerischen Prominenz vorbehalten, anlässlich hoher kirchlicher Feiertage die Leserschaft des Blattes mit Lyrik zu beglücken. Zechs Verse erscheinen freilich noch nicht auf der Titelseite der Zeitschrift, sondern im Inneren: „Eines Glöckleins Silberstimmchen / Zittert durch die linde Luft; / Von der Halde kommt herüber / Feiner süßer Veilchenduft.“140 Den Abonnenten gefällt das und Toelke veröffentlicht künftig weitere Beiträge des neuen Mitarbeiters. Damit hat dieser bei seinen Bemühungen, als Schriftsteller öffentlich Anerkennung zu finden, einen weiteren Erfolg errungen.

      Zeugin dieser Entwicklung ist Emmy Schattke, eine junge Lehrerin aus Elberfeld. Sie schließt sich 1906 einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen an, die, wie die Pädagogin rückblickend festhält, „für eine neue Schule schwärmten und sich im 'Volkserzieher‘ vereinigt“ haben.141 Das ist ein Lehrerverband, der auch eine Zeitschrift dieses Namens herausgibt. Bei seinem Gründer Wilhelm Schwaner handelt es sich um einen aktiven Antisemiten: „'Der Volkserzieher‘ tritt mit voller Überzeugung und mit Energie für eine weniger forcierte Behandlung der Judengeschichte in der Schule ein; er wünscht die Einführung der wundersamen deutschen Märchen und der germanischen Heldensage“.142 In einer Ausgabe des Blattes verkündet 1906 ein Verbandsmitglied aus Berlin: „Unser Bundeszeichen ist das Hakenkreuz. […] das Hakenkreuz ist ein religiöses Symbol, das für uns von besonderem Interesse ist, da es sich erwiesen hat, dass das Hakenkreuz von den ältesten Zeiten sich nur bei arischen Völkerstämmen findet.“143

      Die „Volkserzieher“ des Wuppertals treffen sich an jedem ersten Montag des Monats im Gasthaus Friedrichs an der Dörnerbrücke in Barmen. Auch Fahrenkrog gehört zu der Runde. Er ist mit Schwaner befreundet. Vertreten sind ferner Anhänger von Adolf Damaschke, dem Führer einer Bodenreformbewegung, sowie Johannes Langermann, ein Barmer Schulreformer. Unter den fünf oder sechs Frauen der Gruppe befindet sich Amalie Pohl, genannt „Ma“ oder „Male“. Diese Kollegin kennt Emmy Schattke seit 1905: „Sie war sehr klug und brachte manche Anregung mit, aber sie suchte auch Trost, wenn das Schicksal es nicht gut gemeint hatte.“144 In Schattkes Erinnerungen heißt es: „Wie Paul Zech in den Kreis kam, weiß ich nicht, er kam mit einem anderen Dichter Grünewald, der Theaterstücke schrieb für Bauerntheater, voller Einbildung war, aber schon 1910 starb.“145

      Bei den Treffen am Stammtisch der „Volkserzieher“ bemüht sich Zech, keine Einzelheiten aus seinem Leben bekannt werden zu lassen. Er spricht weder über seine Herkunft noch über die Arbeit als Konditor. Aus den familiären Verhältnissen macht er gleichfalls ein Geheimnis. Dabei hätte er Erfreuliches zu berichten: 1906 stellt sich bei Helene erneut Nachwuchs ein. Dem Sohn Rudolf folgt ein Mädchen namens Elisabeth Dorothea,