Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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hat Wilich berannt?“ Hier macht Zech Anleihen bei einem der bekanntesten Werke Detlev von Liliencrons, der Ballade „Pidder Lüng“. Sie beginnt. „Der Amtmann von Tondern, Henning Pogwisch, / schlägt mit der Faust auf den Eichentisch: / ‚Heut fahr ich selber hinüber nach Sylt‘.“ Die lyrische Reportage vom historischen Freiheitskampf auf der Insel Sylt ist 1891 entstanden und 1902 in einer Neuauflage von Liliencrons „Gesammelten Werken“ erschienen. Zechs Verse muten stellenweise wie eine Parodie der Vorlage an.

      Münchhausen redigiert alle zwölf Gedichte.182 Die Anleihe bei Liliencron bemerkt er nicht. Seine Anregungen schickt er dem jungen Kollegen und hofft, nun für eine Weile Ruhe vor ihm zu haben, indem er ihn auffordert, sich erst im nächsten Jahr wieder zu melden.183 Als Zech den Brief erhält, bedankt er sich jedoch sofort für Lob und Tadel. Er bittet den Baron, sich für ihn einzusetzen und begründet das so: „Ich betrachte mich gewissermaßen als Ihren Schüler und mein höchstes Streben soll sein, Ihrer würdig zu werden.“184 Das ist Heuchelei. Zech möchte Karriere machen und dazu will er die Protektion Münchhausens nutzen. Dieser denkt jedoch nicht daran, sich bei „Velhagen & Klasings Monatsheften“, bei der „Gartenlaube“ oder bei der Monatsschrift „Der Türmer“ für den Kollegen einzusetzen.

      Wie angekündigt, nimmt Lasker-Schüler erneut Verbindung mit Zech auf und äußert den Wunsch, Geschenke mit ihm zu tauschen. Bunte Steine möchte sie haben, wie die Schulkinder in Elberfeld sie in der Tasche tragen. Als Gegengabe stellt sie ihm Muscheln und einen Federhalter aus Glas in Aussicht. Die Dichterin zeigt dem Kollegen offen ihre Sympathie. Dabei sind persönliche Erinnerungen im Spiel. Ihr Lieblingsbruder heißt Paul und ihrem Sohn hat sie den gleichen Vornamen gegeben. Sie kommt auch nochmals auf die geplante Anthologie zu sprechen: „die Gedichte der anderen Herren sind unkünstlerisch total kindisch, talentlos. […] Sie und wir können kein Buch herausgeben mit diesen Herren.“ Lasker-Schüler rät Zech, seine Arbeiten dem britischen Autor Jethro Bithell sowie dem Dichter Richard Dehmel zur Begutachtung vorzulegen. Ferner teilt sie ihm mit, Peter Baum habe bei ihr angerufen und gesagt, von den Versen der Gruppe seien nur die von Zech brauchbar. Der Kollege ist 1869 in Elberfeld geboren.

      Schließlich fragt Lasker-Schüler: „Daß Münchhausen Dehmel denunziert hat vor Zeiten wissen Sie doch?“185 Demnach ist sie über Zechs Kontakte zum Baron informiert und möchte nun erfahren, wie er dessen Verhalten einschätzt. 1896 hat Münchhausen Dehmel wegen dessen angeblich unzüchtigen und blasphemischen Gedichts „Verwandlungen der Venus“ angezeigt. Dehmel ist daraufhin gezwungen gewesen, den bean-standeten Text in der Erstausgabe seiner Werke schwärzen zu lassen. Zech liest über diese Mitteilung hinweg, denn noch will er es mit Münchhausen nicht verderben. Zwei Tage später meldet sich Lasker-Schüler nochmals: „Es tut mir schrecklich leid, ja es ist für mich eine Pein, daß ich Ihren Freunden nichts Gutes sagen kann künstlerisch“. Als Begründung führt sie an: „Lieber Paul Zech, in Kunstdingen muß man wahr bleiben – das ist unser Halt.“186

      Zweites Kapitel

      Anfang Januar liest Rilke in Elberfeld vor den Mitgliedern der „Literarischen Gesellschaft“ aus eigenen Werken. Auf der Einladung steht, wofür es keine Erklärung gibt, Zechs Gedicht „Du bist die Ruh“. Es könnte ein Zeichen für Zechs gewachsenes Ansehen im Wuppertal sein. Er ist von Heinrich Toelke beauftragt, im „General-Anzeiger“ über den Abend zu berichten, und gestaltet seinen Beitrag zum sprachlichen Kunstwerk, das so beginnt: „Drei Worte nenn‘ ich euch: Rainer Maria Rilke.“ Dieses Stakkato wiederholt er: „Zuweilen eine einsame Flöte. Ganz Wehmut. Ganz Betrachtung. Und dann Pan. Und Duft von Faulbaum und Heliotrop.“ Ein Vorbehalt am Ende gilt dem Publikum: „O, diese Flagellanten der geliebten Form, der Wortkultur. Ein neuer Irrtum. Rainer-Maria-Rilke. Schade!“1

      Der Dichter ist während seines Aufenthaltes in Elberfeld Gast von August und Selma von der Heydt. In diesen Kreisen verkehrt der Korrespondent des „General-Anzeigers“ nicht. Deshalb findet nach der Veranstaltung auch kein Gespräch zwischen ihm und Rilke statt, zumal er die Lesung nicht allein besucht. Emmy Schattke ist mit dabei. Ihren Begleiter versetzt der Abend in derart euphorische Stimmung, dass er spontan das Gedicht „Eve“ verfasst und mit der Widmung versieht: „Fräulein Emmy Schattke in kameradschaftlicher Freundschaft“. Am unteren Rand des Blattes findet sich in Versalien das Wort „Liebe“.2

      Toelke beauftragt Zech nun regelmäßig, für den Kulturteil seines Blattes Beiträge zu schreiben. Stadtarchivar Uwe Eckardt hält dazu fest: „Es hat meines Wissens in der Geschichte der Lokalzeitungen des Wuppertals weder davor noch danach einen Abschnitt gegeben, in dem ebenso umfassend und engagiert über zeitgenössische Literatur berichtet worden ist wie in den drei Jahren, in denen Paul Zech im ‚General-Anzeiger‘ für die Rezensionen verantwortlich gezeichnet hat. Weit über 100 Bücher stellt er in diesem Zeitraum vor.“3

      Mit der journalistischen Tätigkeit kann Paul gegenüber Helene seine oftmalige häusliche Abwesenheit glaubhaft begründen. Da sie stets gefordert hat, er müsse mehr Geld verdienen, ist ihr die Möglichkeit genommen, darauf zu bestehen, er solle öfter im Familienkreis zugegen sein. Nach außen hin scheint das Eheleben der beiden in Ordnung, doch der Schein trügt. Der Familienvater schwärmt für die junge Lehrerin.

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      Emmy Schattke um 1910

      Obwohl für Zech in beruflicher Hinsicht alles nach Wunsch läuft, erkundigt er sich weiterhin bei Freunden und Bekannten nach Möglichkeiten zur Drucklegung seiner Gedichte. Eine Grußkarte von Lasker-Schüler zum neuen Jahr4 beantwortet er möglicherweise deshalb vier Monate lang nicht, weil es ihm gelungen ist, einen neuen Kontakt zu knüpfen, den er für vielversprechend hält. Vor der Jahreswende hat er an Stefan Zweig geschrieben, ihn zu einer Lesung nach Elberfeld eingeladen und ihm Gedichte geschickt. Der Kollege will, wie er mitteilt, gerne kommen, sofern sich weitere Stationen für eine Lesereise finden ließen. Die Talent-proben lobt er: „Ich empfinde alle drei Gedichte als sehr schön und rein, und danke für diesen Eindruck.“ Vorbehalte kleidet er höflich in eine Erinnerung: er und seine Freunde hätten früh, „zu früh angefangen und wir müssen nun ernstlich an uns arbeiten und uns nicht von den allzu leichten Erfolgen der ersten glatten Versuche verführen lassen“. Auf eine neuere Publikation ist er jedoch stolz: „Im Frühjahr erscheinen meine drei Bände Verhaeren: hier glaube ich wirklich eine Tat vollbracht zu haben […]: ich hoffe, sie ist gelungen.“5 Ihm liegt daran, das Werk des belgischen Kollegen, mit dem er seit 1902 befreundet ist, im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen.

      Bei den „Jungbergischen Dichtern“ bilden sich zwei Lager. Eines um Kerst, das andere um Fahrenkrog. Unabhängig davon verfolgt Zech weiter eigene Pläne zur Veröffentlichung seiner Werke. Für Schattke verfasst er das Gedicht „An E.“, dessen zweite Strophe den Wunsch enthält: „Laß mich bei Dir sein, / Du an der [!] ich mein Lebtag geglaubt.“ Der Fehler ist möglicherweise durch Frühlingsgefühle verursacht, die der Verfasser hegt: „Sieh, meine Seele strebt / Zu Dir empor wie ein Baum, / Und wartet und bebt / Auf den großen Frühlingstraum.“ Das Geständnis enthält Anleihen aus einem Band „Gedichte“ des Juristen Carl Bulcke, der gereimt hat: „Sieh, meine Seele strebt, ein armer Baum / Den Himmel an mit winterkahlen Zweigen, / Und wartet auf den großen Frühlingstraum.“6

      Im April kommt die Anthologie „Bergische Lieder. [Eine] Zusammenstellung der zu den Kölner Blumenspielen 1907 eingesandten Gedichte auf das Bergische Land um den Remscheider Preis“ heraus. Da Fastenrath inzwischen verstorben ist, hat sich das Erscheinen verzögert. Zech ist in der Publikation mit den vier Gedichten vertreten, für die er vor drei Jahren eine „lobende Erwähnung“ erhalten hat. Damit steht seine Lyrik erstmals nicht nur in einer Zeitschrift oder Zeitung, sondern in einem Buch. Bei den Gedichten der anderen Autoren, die darin vertreten sind, handelt es sich ebenfalls um Lobpreisungen der Region. Eine davon stammt von Carl Robert Schmidt. Mit ihm, einem Lehrer, der in Remscheid lebt und arbeitet, ist Zech seit längerer Zeit bekannt. Durch zahlreiche Besuche bei ihm fühlt er sich in