Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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      Im „Volkserzieher“ fordert Fahrenkrog die Schaffung einer „arteigenen Religion“.158 Deren Grundlage soll die germanische Mythologie sein. Erste Erfolge lassen nicht lange auf sich warten. Die neue Glaubensgemeinschaft mit Namen „Deutsch-Religiöse Gemeinde“ wächst rasch, auch Wilhelm Schwaner, Gründer des Lehrerverbands und der Zeitschrift „Volkserzieher“, erklärt seinen Beitritt. Er hat vor kurzem eine „Germanen-Bibel“ herausgegeben, die Fahrenkrog „herrlich“ findet.159 Zech gehört der Sekte nicht an, pflegt aber mit ihrem geistigen Führer und mehreren Mitgliedern freundschaftlichen Umgang. Damit bewegt er sich in antichristlichen und militant antisemitischen Kreisen. Rückblickend zeichnet er von diesem Lebensabschnitt ein völlig anderes Bild, das sein Sohn Rudi sowie seine Schwiegertochter Hella nach dem Zweiten Weltkrieg wider besseres Wissen unverändert übernehmen und an Dritte weitergeben. Solche Darstellungen sehen wie folgt aus: „Während dieser Jahre [1904 bis 1906] wurde er wegen Majestätsbeleidigung verfolgt, weshalb er 1907 für einige Zeit nach Dänemark und dann nach Paris ging“.160

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      Paul Zech um 1907

      Zech denkt nicht daran, im deutschen Kaiserreich des Jahres 1907 gegen die Obrigkeit zu protestieren. Das belegt eine Ansichtskarte, die er im August an Helene schreibt. Sie zeigt ein Foto: „Bochum. Partie aus dem Stadtpark“. Im Vordergrund befindet sich ein Kreis mit einem Kreuz im Innern, der von den Zahlen 1870/71 und dem Schriftzug „Mit Gott für König und Vaterland“ umrundet wird. Diese Losung ist im Krieg 70/71 gegen Frankreich von deutschen Soldaten bei Angriffen auf den Gegner geschrien worden. Noch lange nach Friedensschluss hat sie konservativen Kreisen in Preußen als Leitspruch gedient. Auf der Bildseite notiert Zech: „Dies ist der Ort, an welchem wir Feuer abbrannten.“161

      Im „Märkischen Sprecher“ steht, um welchen Personenkreis es sich handelt, der auf diese Weise feiert. Mitglieder eines „Marinevereins“ brennen am 4. August im Stadtpark von Bochum ein Feuerwerk ab: „Trotz der Empörung eines hiesigen Blattes, das der Veranstaltung des Marinevereins aus bekannten Gründen nicht sympathisch gegenübersteht.“162 Bei dieser anderen Zeitung handelt es sich um das sozialdemokratische „Volksblatt“. Es hat im Vorhinein gegen die „kaisertreue“ Kundgebung gewettert. Paul Zech nimmt an einer Veranstaltung teil, die der Glorifizierung Wilhelms II. und seiner Regentschaft dient. Folgerichtig befindet sich er sich auch nicht unter den Genossen, als im September die Sozialdemokraten in Essen ihren Parteitag abhalten, sondern in Mönchengladbach, wie eine Ansichtskarte zeigt, die er von dort an seine Frau schreibt.163

      Die Wohngemeinschaft in der Hatzenbecker Straße bringt für das junge Paar, seine Kinder und die Schwiegermutter immer mehr Belastungen mit sich. Andeutungen darüber finden sich in einem Gedicht Zechs. Er beschreibt, wie die Vorweihnachtszeit das häusliche Einvernehmen fördert: „Und dann sind uns Abende beschieden, / wo der rotverklärte Lampenfrieden / einem Opfersinn entgegenreift. / Wo selbst Frauen mit schneeweißen Scheiteln / ernsthaft sich bemühn, nichts zu vereiteln, / was um Enkelstirnen wünschend schweift.“164 Auch im neuen Jahr arbeitet der Familienvater weiterhin in seinem „Brotberuf“ als Konditor und Bäcker, hofft aber unbeirrt stets auf literarischen Erfolg. Der will sich nicht recht einstellen. Es bleibt beim Verfertigen von Gedichten nach Vorgabe des Kalenders, beispielsweise einer Frühlingsbotschaft mit dem Titel „Prinz Himmelblau“: „Die Amsel ist ganz außer sich / Und ruft den ganzen lieben Tag: / Heraus, Du Menschenkind: geschwinde, / Es ist die höchste Zeit für Dich!“165

      Im Mai 1908 feiert Barmen mit großem Aufwand die Verleihung der Stadtrechte vor hundert Jahren. Den Höhepunkt der Veranstaltungen bildet ein historischer Festzug, dessen Gestaltung die Kommune Fahrenkrog übertragen hat. Zech ist nicht beteiligt. Der Meister gibt seinem Bewunderer keine Chance, öffentlich aufzutreten. Dem bleibt lediglich die Statistenrolle eines Zuschauers. Möglicherweise geschieht das deshalb, weil Zech Zurückhaltung übt, was die Teilnahme an den Umtrieben der „Deutsch-Religiösen Gemeinde“ betrifft.

      Bei den Treffen der „Volkserzieher“ und den Veranstaltungen der „Literarischen Gesellschaft“ Elberfeld kommt Zech mit Leuten zusammen, die wie er den Ehrgeiz haben, Schriftsteller zu werden. Drei davon sind Christian Grünewald-Bonn, August Vetter und Georg Kreidt. Grünewald ist 1902 im Bonner Adressbuch als Seilergehilfe ausgewiesen. Am Stammtisch erwähnt er seinen Beruf ebenso wenig wie Zech dort die Herkunft aus einer westpreußischen Seilerfamilie verrät. Vetter arbeitet als Grafiker. Von Kreidt ist nur der Name bekannt. Die Herren beschließen, gemeinsam mit Zech und Friedrich Kerst, dem Vorsitzenden der „Literarischen Gesellschaft Elberfeld“, eine Autorengemeinschaft zu gründen. Sie soll „Jungbergische Dichtergruppe“ heißen, auch wenn Friedrich Kerst schon 38 Jahre alt ist. Als jugendlich können Vetter (21) und Grünewald-Bonn (24) durchgehen. Bei Zech (27) fällt das schon schwerer. Auch was das „Bergische“ anbelangt, bedarf es einiger Mühe, diese Bezeichnung glaubhaft erscheinen zu lassen. Grünewald stammt aus Bonn und Zech ist Westpreuße. Die fünf Autoren gehen ein Zweckbündnis ein, von dem sich jedes Mitglied mehr Aufmerksamkeit für sein Schaffen erhofft. Deshalb beschließen sie die Herausgabe einer Sammlung „Bergischer Dichtung“ und tauschen Texte zur jeweiligen Begutachtung aus. Grünewald-Bonn schreibt an Zech: „Einliegend finden Sie einige von meinen älteren Gedichten. Sehen Sie doch mal nach, was davon wohl noch des Aufhebens wert erscheint.“166 Das ist nichts weiter als Koketterie.

      Auf der Zeche Radbod bei Hamm, nur 75 Kilometer von Elberfeld entfernt, kommt es im November 1908 zu einer Schlagwetterexplosion, in deren Folge 348 Kumpel sterben. Zech verliert darüber in Briefen oder Gedichten aus dieser Zeit kein Wort. Dem ehemaligen Berghehilfen dürfte das Schicksal der Toten und Verletzten zwar nahegehen, einen Anstoß, es zum Thema seines literarischen Schaffens zu machen, gibt es nicht. Während der spärlichen Freizeit, die ihm außerhalb der Backstube bleibt, bemüht er sich, die geplante Anthologie fertigzustellen sowie um eine preiswerte Unterkunft, denn die Wohnung der Schwiegermutter erweist sich von Tag zu Tag mehr als viel zu klein, auch wenn Helenes inzwischen neunzehnjährige Schwester Julia in der Hatzenbecker Straße ausgezogen ist und den Eisenbahner Gustav Bunse geheiratet hat.

      Im Februar 1909 setzt in weiten Teilen des Bergischen Landes, wo es den Winter über lange und heftig geschneit hat, Tauwetter ein. Es regnet ununterbrochen. Eine hohe Schneedecke schmilzt in kürzester Zeit. Flüsse und Bäche werden rasch zu reißenden Strömen und verursachen großflächige Überschwemmungen. Heinrich Toelke, Chefredakteur des „General-Anzeigers für Elberfeld-Barmen“, gibt Zech den Auftrag, die Katastrophe zum Thema eines Gedichts zu machen. Er erhält es binnen weniger Stunden. Vier Verse lang veranschaulichen Wortbilder das Ereignis „Hochwasser“: „Es kam ein schwarzes Heer von West gezogen. / Die Sturmtrompete schrie: Gebt Raum! Gebt Raum! / Da schmolzen Schnee und Wintereis zu Schaum. / Und talwärts wälzten sich die Wasserwogen. / Der Damm zerbarst. Die Brückenpfeiler krachten […]“. Erst im letzten Vers macht der Verfasser Zugeständnisse an die Lesegewohnheiten der Abonnenten, indem er den Blick himmelwärts lenkt: „Ein Glöcklein wandert durch die Wasserwüste / Und wimmert wie ein heimatloses Kind; / Aus Wolken aber, die zerrissen sind, / Schimmert die hoffnungsselige Sternenküste.“167 In Zechs Schaffen scheint sich ein Wechsel anzubahnen, obwohl er bald darauf wieder ein Gedicht in der Art seiner bisherigen lyrischen Ansagen zur Jahreszeit schreibt. Es heißt: „Märzenschnee“: „Draußen tanzt der Schwarm der Flocken / Einen wundervollen Reigen […]. Aber hinter klarem Fenster, / Hinter seidener Gardine, / Duften schon die Hyazinthen / Eine Frühlingskavatine.“168 Die nur vier Wochen zurückliegende Naturkatastrophe scheint vergessen.

      Paul und Helene beziehen mit ihren Kindern eine eigene Wohnung in der Neuen Gerstenstraße 24, nahe dem Elberfelder Bahnhof. Die Familie lebt hier weiter in einfachsten Verhältnissen. Zech schreibt an Emmy Schattke: „Ich werde versuchen in die Wege zu leiten, dass Sie bald uns besuchen. Ich kann Ihnen nur eine sehr primitive Mansardensituation bieten.“169 Selbst dieses billige Quartier bringt zusätzliche finanzielle Belastungen mit sich, was umso problematischer ist, als der Familienvater seine Stelle als Konditor