Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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er in seiner Freizeit an einen der drei Seen zum Baden und besucht die Vorstellungen eines gastierenden Zirkusses, wenn sein Geld für den Eintritt reicht. Das Gleiche gilt für ein besonderes Ereignis im Ablauf des Jahres, den Markt vor der evangelischen Kirche mit Händlern und Schaustellern, der Besucher von weither anlockt. Jedem Kind in der Stadt fällt es schwer, dort „seine paar Groschen […] in der Tasche zu behalten“, vermerkt Waldemar Heym.49 Ob der Heranwachsende deutsche Freunde hat, geht weder aus Briefen noch Büchern des Autors hervor. Ein Weggefährte späterer Tage behauptet: „Aufgewachsen unter polnischen Jungen, mit denen er sich am Briesener Schlossberg prügelte, liebt er diese Rasse nicht.“50

      Nach eigenem Bekunden ist Zech ein schlechter Schüler. Andererseits behauptet er, Griechisch gelernt zu haben.51 Er erinnert sich sogar, wer ihn unterrichtet hat: „Dr. Thomas Siebenseit, der von der Quinta bis zur Untertertia mein Klassenlehrer war.“52 Auf das Gymnasium will er in Graudenz gegangen sein.53 Das ist Fiktion, wie die im Archiv der Stadt Grudziądz erhaltenen Schülerlisten der örtlichen Lehranstalten belegen. Paul besucht bis zu seiner Konfirmation in Briesen die Volksschule. Zwar gibt es am Ort auch eine private „Höhere Schule“, aber die führt nur bis zur Klasse II B.54 Abgesehen davon kann der Vater das Geld für eine solche Ausbildung seines Ältesten nicht aufbringen, denn die häusliche Not wird immer größer. 1894 bringt die Mutter einen weiteren Jungen zur Welt. Er erhält den Namen Gustav. Ein Jahr zuvor ist ein anderer Bub, Hermann Adolph, kurz nach der Taufe verstorben.

      Paul erweist sich in Briesen wie schon zuvor in Müncheberg als schwieriges Kind, das jede Form von Autorität ablehnt. Der Lehrer führt beim Großvater Klage über dieses Verhalten, und der Opa prophezeit dem Enkel „ein schlimmes Ende“, falls er sich auch künftig so unbotmäßig verhalte.55 Am Ostersonntag 1895 wird der Vierzehnjährige konfirmiert, nachdem er am vorbereitenden Unterricht teilgenommen und Teile des Lutherischen Katechismus auswendig gelernt hat.56 Der Festgottesdienst findet in der evangelischen Kirche am Marktplatz statt, wo Pfarrer Weckwarth, der Paul schon getauft hat, noch immer Dienst tut. Vom Großvater bekommt der Enkel eine Taschenuhr: „… es ist eine richtige silberne Konfirmandenuhr“.57 Sorgfältig verwahrt er das Geschenk sein Leben lang, denn es trägt „die bemerkenswerte Jahreszahl meiner Konfirmation“.58

      Nach dem Besuch der Volksschule muss Paul auf Wunsch der Eltern eine Lehre als Bäcker beginnen, bricht sie jedoch ab und plant, möglichst bald von zu Hause wegzulaufen.59 Ursache dafür ist vor allem sein gestörtes Verhältnis zum Vater: „Immer sprecht ihr von der Vaterstadt, vom Vaterhaus und der Vaterhand. Und das Bild dessen, den ihr eigentlich mehr gefürchtet habt als geliebt, steht vor eueren Augen“.60 Mehr Verständnis für den Heranwachsenden zeigt die Mutter, der er sich zuweilen anvertraut, die aber zu schwach ist, um sich für ihn gegen den Ehemann durchzusetzen.

      Der Junge lebt häufig im Streit mit den Erwachsenen seiner Umgebung, unter ihnen der Großvater sowie der Lehrer. Ihn bedrücken die dumpfe Atmosphäre im Haus an der Schönseer Straße sowie die Zustände in Briesen allgemein: „mein brodelnder Nervensaft / wieherte auf wie hengstwitternde Stuten. / Da ward ich ein Sturm / der wütend durch Gitter pfiff / und Vaters Jähzorn schürte. / Und wurde doch immer geschwächt wie ein Wurm / unter Tritten und Griff, als ich mein Bündel schnürte.“61 Aus dem Gefühl der eigenen Ohnmacht heraus fasst er endgültig den Entschluss, fortzulaufen. Er will ins Ausland, damit ihn kein deutscher Gendarm festnehmen und zurück zu den Eltern befördern kann. Das Ziel für die geplante Flucht ist rasch gefunden.

      Gegen Ende des 19. Jahrhunderts heuern in- und ausländische Firmen im Osten des Deutschen Reiches junge kräftige Männer an, die willens sind, im Bergbau gefährliche, kräftezehrende, ungesunde und schlecht bezahlte Arbeiten zu verrichten. Bevorzugtes Ziel für solche Werbefeldzüge ist das zwischen Russland, Österreich und Deutschland aufgeteilte Gebiet des ehemaligen Königreichs Polen. Einige Unternehmen zahlen an ostpreußische Gastwirte drei Mark Provision pro vermittelten Arbeiter.62 In Westpreußen geschieht Ähnliches. Hier lebt eine große Zahl junger Polen, die arbeitslos sind. Es bedarf keiner großen Überredungskünste, sie für eine Tätigkeit im Westen des Deutschen Reichs, in Belgien oder Frankreich zu gewinnen.

      Paul sieht diese Angebote und erinnert sich seiner Kindertage in Müncheberg, wo er den Bergbau kennengelernt hat. Nun will er selbst als Kohlenhauer arbeiten. Ohne Abschied zu nehmen verlässt er um 1897 Eltern und Geschwister. Das Geld für eine Fahrkarte mit der Eisenbahn hat er längst zusammen: „Dann sind wir in den Zug gestiegen / und sahn die Heimat vorüberfliegen; / Felder und Scheuer, Dächer und Kirchturm, / Alle Wälder zerbrachen dem qualmenden Ansturm“.63 Dem Lauf der Weichsel folgend geht die Fahrt hundert Kilometer nach Norden: „Schon donnern Brücken eines fremden Stroms mit Schiff und Damm.“64 Der Germanist Josef Nadler schreibt in seiner völkischen Literaturgeschichte: „Paul Zech […], der als Jüngling im Eisenbahnzug dem Bürgertum in das Abenteuer entfloh“.65

      In Danzig angekommen, möchte der Ausreißer am liebsten umkehren: „Da wir den Zug verließen / und auf dem Bahnhofsvorplatz / mitten in Auto- und Droschkenhatz / fremd auf wildfremde Menschen stießen, / o wie klein ward unser Abenteuern, / o wie groß das Verlassensein!“66 Er irrt durch die Straßen der Stadt, hin zu einem riesigen Industriegebiet mit Werften und Docks: „Da liegt der Hafen sinnlos grau und weit gestreckt. / Schlepper und Barken, Fähren, Segelschiffe / rauchmähnig und mit Flaggen bunt besteckt. / Und siebenstöckiger Speicher gleichgetünchte Front“.67 In einem anderen Gedicht, „Schiffswerft“, heißt es: „Wanderst Du stromaufwärts den Hafen entlang, / o, wie das dröhnt und stöhnt: Walzwerk und Werften, / Schornsteine und Schienen, Schuppen mit verschärften / Maschinen mitten in dem mörderischen Chorgesang.“68 Der Minderjährige heuert auf einem Frachter als Schiffsheizer an. Wie in vielen Häfen der Welt sind auch in Danzig fehlende Personalpapiere für manchen Kapitän kein Hinderungsgrund, einen jungen Mann an Bord zu nehmen, der bereit ist, Schwerstarbeit zu leisten. Zech muss in der Tiefe des Schiffes bei glühender Hitze Koks in die riesigen Feuerungslöcher der Öfen schaufeln. Das bedeutet für den nur einen Meter sechzig großen Heranwachsenden eine Überforderung, die ihm lebenslang gesundheitlich zu schaffen macht. Der Frondienst wird in seinen späteren Werken mehrfach erwähnt. Im Roman „Kinder vom Paraná“ findet sich der Vergleich: „… wie der Glutatem aus dem riesigen Feuerloch eines Dampfkessels“.69 Über die Ostsee, den Kaiser-Wilhelm-Kanal und die Nordsee gelangt Zech nach Holland und geht in Rotterdam von Bord: „Ein Franzose (breitschultriger Bretone) spricht mich an. Ist Steuermann und will Ersatz für den entlaufenen Schiffskoch heuern. Einen Monat früher: ich hätte zugepackt!“70 Er bleibt jedoch an Land und besucht die Kneipen im Hafen, wo er mit den dort verkehrenden Damen Bekanntschaft schließt: „Da presst sich lüstern der Javaner an die kleine / geschminkte Esther aus der Judenkolonie. / Mynheer van Delft küßt frech die dänische Marie / und Jack, das Negerlein, beäugt Luisens Beine.“71

      Zech genießt die neue Freiheit, bis ihm das Geld ausgeht. Dann ist er gezwungen, als Lastenträger zu arbeiten. Stefan Zweig vertraut er später an, er habe „in Rotterdam Kulidienste“ geleistet.72 Das ist ihm schnell lästig. Zudem muss er sich hüten, in eine Polizeikontrolle zu geraten, denn ihm fehlen gültige Papiere. Weiterhin hält er an seinem Plan fest, im Bergbau Geld zu verdienen und heuert auf einem Schiff an, das ihn nach Belgien bringt. In Antwerpen treibt er sich erneut in der Hafengegend herum und lässt sich mit Huren ein. In „Sackträgerin“ schildert er seine nächtlichen Erlebnisse: „ein Blutjunger schlich in das Haus /der Trägerin, auf dass sie nicht entrönne / und auch kein anderer sie zuerst gewönne. / Er blieb darin bis ein Strauß / Purpurner Rosen alle Giebel krönte /und trug ein Glück mit fort, das seinen Tag verschönte.“73

      Auch in dieser Stadt hält es den Abenteurer nicht lange. Er schlägt sich zum Kohlerevier südlich von Brüssel durch. Als Hilfskraft findet er in Charleroi unter Tage eine Arbeit, die ihn wieder überfordert. Da die Stollen im Bergwerk zu niedrig sind, um sich aufrecht fortzubewegen, muss er kniend oder in gebückter Haltung Körbe mit Kohle bis zu den Stellen ziehen, an denen Gleise für Loren verlegt sind. Diesen Lebensabschnitt