Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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für ein Festtagsgedicht erteilt. Es heißt „Pfingstfreude“ und steht auf der Titelseite des „General-Anzeigers“. Damit hat er „offenbar den ‚Durchbruch‘ im Wuppertal geschafft“.170

      Nach Pfingsten bemüht sich die „Jungbergische Dichtergruppe“ verstärkt um das Zustandekommen ihrer Anthologie. Grünewald-Bonn nimmt Verbindung mit der Stuttgarter Verlagsbuchhandlung „Greiner & Pfeiffer“ auf. Bei diesen „Königlichen Hofbuchdruckern“ hat Fahrenkrog sein Stück „Baldur“ veröffentlicht. Die christlichen Grundsätze der Firma vor Augen schlägt Grünewald für die Veröffentlichung einen Titel vor, der nach Kirche klingt: „Die Orgel. Ausgewählte Dichtungen der Jung-Bergischen Dichtergruppe“. Der Verlag zeigt Interesse, doch die Autoren sind sich noch nicht über die Auswahl der Texte einig und beschließen, einen unabhängigen Gutachter einzuschalten. Der soll sich zur Qualität der Gedichte äußern. In Börries von Münchhausen glauben sie, den geeigneten Mann dafür gefunden zu haben. Der Baron besitzt große Popularität, vor allem durch seine Balladen, die historische Stoffe aufwärmen. Zech fällt die Aufgabe zu, mit ihm Verbindung aufzunehmen, und Grünewald muss den Stuttgarter „Hofbuchdruckern“ mitteilen, „dass sich die Einsendung des erbetenen Manuskripts um einige Wochen verzögern wird, da dasselbe erst noch an verschiedene Autoritäten zur Begutachtung gegeben werden soll“.171

      Münchhausen erhält Arbeitsproben von drei Mitgliedern der Gruppe. Kersts Gedichte sind nicht dabei. Entweder will sich der nicht beurteilen lassen, oder Zech hat den Kollegen bei der Auswahl bewusst übergangen und stattdessen Verse von Fahrenkrog mitgeschickt, der kein „Jung-bergischer Dichter“ ist. Der Juror zerpflückt die eingesandten Texte. In einem achtseitigen Gutachten wettert er am heftigsten gegen Grünewald. Fahrenkrogs Arbeiten kommen kaum besser weg: „Um Gottes willen, so was wollen Sie drucken?! Schrecklich!“ Kreidt und Zech werden milder beurteilt. Letzterem rät Münchhausen: „Augenscheinlich sind Sie nicht Landwirt. […] Landleute sollten Gedichte der Landleute schreiben. Schreiben Sie Gedichte der Kaufleute, oder was Sie nun sind, das ist ehrlich.“ Er bescheinigt ihm jedoch: „Sie sind ein unzweifelhaftes Talent, nichts himmelstürmendes, aber was echtes. Arbeiten Sie weiter, lassen Sie die Mitarbeit mit den anderen nur sein, und geben Sie in zwei bis drei Jahren einen eigenen Band heraus.“ Dem Angebot: „Ich werde mich freuen, gelegentlich mit gutem Rat weiter helfen zu können“, folgt die Einschränkung: „Denken Sie nicht zu hoch von Ihrer Kunst, seien Sie weiter wie bisher still, ehrlich, bescheiden und ernsthaft, Sie können noch einmal manchen anderen Menschen Freude machen!“172 Münchhausen überlässt die eingereichten Arbeitsproben für kurze Zeit einem Verleger zur Lektüre, ohne den Autoren dies mitzuteilen. Auf einer Karte, die der Baron seiner Sendung beilegt, heißt es: „Zech ist der beste, dann kommt Kreidt. […] Aber selbst ihm würde ich raten noch nicht zu drucken, er schadet sich nur damit.“173

      Einige Tage später erhält Zech die Gedichte zurück samt dem kritischen Kommentar. Er sieht sich bestätigt. Seine Antwort an Münchhausen ist an Ehrerbietung kaum zu übertreffen: „Sie haben in allen Punkten recht. Ich werde aus der ‚Jungbergischen Dichtergruppe‘ ausscheiden und mit Ernst und Fleiß an meine Weiterbildung gehen.“ Nur den zweiten Teil der Ankündigung setzt er in die Tat um. Ein Ausscheiden aus der Gruppe kommt für ihn nicht in Frage, doch das behält er für sich. Er nimmt an, Münchhausen könne ihm künftig nützlich sein: „Besondere Freude macht mir Ihr ehrenvolles Versprechen, mir auch in Zukunft mit Rat zur Seite stehen zu wollen. Ich werde in Bälde davon Gebrauch machen.“ Da der Gutachter nach seinem Beruf gefragt hat, antwortet er ihm: „Landwirt bin ich, wie Sie ganz recht vermuten, nicht. Wohl bin ich auf dem Lande großgeworden. Mein Vater war Bauer im Holsteinischen. Ich verbringe […] den größten Teil meiner Ferien auf der heimatlichen Scholle. Daher die Vorliebe für ländliche Motive.“174 Münchhausen hält die Angaben für wahr und gibt sie mehrfach an Dritte weiter. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Zech ausgerechnet dem Nachfahren des legendären „Lügenbarons“ einen solchen Bären aufzubinden vermag.

      Als die drei betroffenen Autoren Münchhausens Kritik zur Kenntnis nehmen müssen, ist die Verärgerung groß. Grünewald entwirft für die totgesagte Anthologie eine Traueranzeige: „Es hat dem nachterfüllten, schauervollen Orkus gefallen, die Sonne unseres dornenvollen Erdendaseins, unser einziges, innig geliebtes Kind, ‚Die Orgel‘, an dem wir zu vier Mann unsere ganze Kraft vergeudeten, zu verschlingen. Wir beweinen unsere Seele. Die Jung Bergische Dichtergruppe“. Den Text verziert er mit einem Totenkopf über zwei gekreuzten Knochen.175 Zech hingegen kümmert die Aufregung der Kollegen wenig, er verfolgt seinen persönlichen Karriereplan. Bei Münchhausen fragt er mehrfach an, ob er ihm nunmehr eine Auswahl ausschließlich eigener Gedichte zusenden dürfe. Der Baron lehnt das ab und schlägt vor, der junge Mann aus Holstein solle sich in einigen Monaten wieder bei ihm melden.176

      Einige Zeit herrscht unter den „Jungbergischen Dichtern“ Ratlosigkeit, was geschehen soll, dann erinnert sich die Gruppe daran, dass Kerst vor Jahren von einer in Berlin lebenden Autorin aus Elberfeld drei Beiträge für seine Anthologie „Bergische Lieder“ erhalten hat. Sie soll zur Mitwirkung überredet werden. Drei der Kollegen drängen Zech, mit Else Lasker-Schüler einen Kontakt herzustellen. Mitte August schreibt er an die Dichterin.

      Auf die Nachricht aus ihrer Geburtsstadt reagiert Lasker-Schüler freundlich: „Es rührt mich, dass die Elberfelder Dichter an mich denken.“177 Den Vorschlag zur Mitarbeit will sie sich überlegen. Die „Jungbergischen“ schöpfen Hoffnung, ihre Lyrik-Sammlung doch noch herausbringen zu können, und beraten, wie sie die arrivierte Kollegin zum Mitmachen bewegen könnten. Die größten Chancen, so rechnen sie sich aus, würden sich bei einem persönlichen Gespräch ergeben. Deshalb soll die Dichterin nach Elberfeld kommen und vor der „Literarischen Gesellschaft“ aus ihren Werken lesen. Eine Einladung kann aber nur deren Vorsitzender Kerst aussprechen. Dieses Mitglied der „Jungbergischen Dichter“ hat die Gruppe bisher übergangen, was ihm nicht verborgen geblieben ist. Nun revanchiert er sich für die erwiesene Nichtachtung und lehnt es ab, tätig zu werden.

      Bei der darauffolgenden Kontroverse zwischen Zech und dem Vereinsvorsitzenden setzt sich dieser nicht durch. Grünewald gratuliert dem Sieger: „Lieber Paul! Es freut mich, dass Du mit Kerst so gut fertig geworden bist. Hatten wir von dieser Seite etwas zu erhoffen? Wie stellt sich die Literarische Gesellschaft zu uns?“178 Lasker-Schüler scheint geneigt, der Einladung in ihre Heimatstadt zu folgen. An Zech schreibt sie: „Natürlich würde ich Oktober gern kommen acht Tage in Elberfeld bleiben“.179 Drei Tage später fragt sie nach Einzelheiten der geplanten Lesung und erörtert Möglichkeiten weiterer Auftritte in Düsseldorf und Köln.180 Anfang Oktober wendet sie sich offiziell an Kerst. Der beauftragt Grünewald-Bonn, ihr zu antworten. Dessen Schreiben empört die Dichterin. Dem Verfasser lässt sie einen Vers in Elberfelder Platt übermitteln. Der Empfänger begreift die Botschaft nicht und legt mit einer Antwort nach, die den gebotenen Respekt vor dem weiblichen Geschlecht vermissen lässt. Das bringt die Empfängerin erneut in Rage.

      Lasker-Schüler teilt Zech mit, Grünewald habe ihr einen „Dienstmädchenbrief“ geschrieben. Die Reise ins Rheinland sagt sie ab und lässt wissen, von ihr werde es keinen Beitrag für die Publikation der „jung-bergischen Dichter“ geben. Ohnehin habe sie mit Kersts Anthologie („die so lächerlich war“) keine guten Erfahrungen gemacht. Das Anschreiben Grünewalds nennt sie „eine geschmacklose Gemeinheit“. Allerdings bemüht sie sich, nicht die gesamte Gruppe für das Benehmen eines einzelnen Mitglieds verantwortlich zu machen: „Es täte mir in der Seele leid, wenn Herr Fahrenkrog […] von dem Brief des Herrn Grünewald-Bonn wüßte“. Den Kontakt mit Zech will sie aufrechterhalten: „Ich hatte Sympathie für Sie und kenne Sie wohl. Else LSchüler.“ Im Nachsatz steht: „Ich bitte Sie keinen Streit um der Affaire willen – ich möchte keinen Streit hinterlassen – bitte!“181

      Zech geht die Angelegenheit weniger nahe, als Lasker-Schüler annimmt. Da deren Besuch nicht stattfinden wird und von ihr auch keine Beiträge für die Anthologie zu erwarten sind, nimmt er seine Korrespondenz mit Münchhausen wieder auf und schickt ihm ausschließlich eigene Gedichte zur Begutachtung. Gleichzeitig teilt er dem Baron mit, er habe der „Literarischen Gesellschaft“ vorgeschlagen, ihn zu einer Lesung nach Elberfeld einzuladen. Bei der Auswahl