Die Leben des Paul Zech. Alfred Hübner

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Название Die Leben des Paul Zech
Автор произведения Alfred Hübner
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783945424926



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die seine Frau während ihrer Schwangerschaft geplagt haben: „Sie ging durch den Tag oft so bang, als ob ihr ein Leid von Dir drohte“.146

      In der Wohnung von Dorothea Siemon leben nun sechs Personen, darunter zwei kleine Kinder. Die Größe und Anzahl der Räume ist bescheiden, handelt es sich doch bei der Inhaberin um die Witwe eines Schuhmachers mit kleiner Rente. Für einen harmonischen Alltag der Gemeinschaft ist die Situation nicht förderlich. Die junge Mutter hat ihr Neugeborenes sowie den zweijährigen Rudolf zu versorgen und kann keine Arbeit annehmen, um zum Unterhalt der Familie beizutragen. Ehefrau und Schwiegermutter drängen Paul, mehr Geld nach zu Hause bringen. Ihm aber ist es wichtiger, als Autor voranzukommen. So wiederholt sich nun, was er bei den Eltern während der Briesener Jahre hat miterleben müssen: überall herrscht Mangel. Das ist auch der Grund dafür, weshalb der Familienvater weder alleine, geschweige denn mit Frau und Kindern ins ferne Westpreußen reisen kann, als im Oktober 1906 seine Schwester Elisabeth bei den Eltern in Briesen Hochzeit mit dem Geschäftsführer Wilhelm Werner feiert.

      Zech macht nicht nur seine Armut und die Enge der Wohnung zu schaffen, ihn verbittert auch, was im Herbst 1906 in Elberfeld und Barmen auf literarischem Gebiet vor sich geht. Er muss verkraften, wie Friedrich Kerst, der Vorsitzende der „Literarischen Gesellschaft Elberfeld“, sein Amt ausnutzt und die Vorstandsmitglieder dazu überredet, dem vor sechs Jahren erschienenen Band „Bergische Dichtung“ einen zweiten folgen zu lassen, finanziert aus Mitteln der Gesellschaft. In dem Almanach findet sich kein Beitrag Zechs. Ursache dafür ist nicht die Qualität von dessen Gedichten, aber beim Verfasser handelt es sich um einen Niemand, der weder durch familiäre Herkunft noch gesellschaftliche Stellung irgendwie Bedeutung hat. Die Freundschaft mit Fahrenkrog zählt in diesem Zusammenhang ebenso wenig wie die Mitgliedschaft in der „Literarischen Gesellschaft“ von Elberfeld. Entsprechend groß ist die Enttäuschung beim Autor über die Missachtung seines Talents.

      Welche Gründe Kerst bewegen, in dem Almanach drei Gedichte zu veröffentlichen, die nach Inhalt und Form völlig aus dem Konzept des Buches herausfallen, erscheint auf den ersten Blick rätselhaft. Sie heißen „Heim“, „Weltende“ und „Groteske“.147 Das Rätsel löst sich, liest man den Namen der Verfasserin: Else Lasker-Schüler, Tochter des Elberfelder Privatbankiers Aaron Schüler. Sie hat 1894 den Mediziner Dr. Jonathan Berthold Lasker geheiratet und ist mit ihm nach Berlin gezogen. Nach der Scheidung von Lasker hat sie 1903 den Schriftsteller Georg Lewin geheiratet, der später als Herwarth Walden Berühmtheit erlangt.

      Chefredakteur Salomon, der seinen Posten als Chefredakteur beim „Täglichen Anzeiger“ aufgegeben hat und in Rente gegangen ist, berichtet Zech von „Blumenspielen“, die der Jurist und Schriftsteller Johannes Fastenrath jährlich im Mai in der „guten Stube Kölns“, dem „Gürzenich“, veranstaltet. Der gebürtige Remscheider, vom Großherzog von Sachsen-Weimar zum „Geheimen Hofrath“ ernannt, ist vermögend genug, um diesen literarischen Wettbewerb aus eigener Tasche zu bezahlen. Viele Zeitgenossen kritisieren das Niveau der Veranstaltung. Obwohl Zech das weiß, will er daran teilnehmen, bestärkt durch Salomon, der zur Jury gehört. Seine Beweggründe dafür sind leicht zu durchschauen. Bei einem der Preise, die den Siegern winken, handelt es sich um eine goldene Uhrkette. Er reicht fünf Gedichte ein, gewinnt aber nichts, sondern erhält lediglich die Nachricht, seine Verse würden bei der Preisverleihung eine lobende Erwähnung finden. Fastenrath fragt: „Dürfen wir Sie zum 5. Mai in Köln erwarten? Für unser Jahresbuch erbitte ich mir Ihre Fotografie und gefällige Angaben, wann und wo Sie geboren sind. Vielleicht erfreuen Sie uns noch mit einem gereimten Festgruß.“148

      Zech unterdrückt seine Enttäuschung und antwortet: „viel Jubel und Freude brachte ihre frohe Botschaft in mein Haus. Nur Poeten können ja fühlen, wie wohl selbst die kleinste Anerkennung tut.“ Bei der Niederschrift seines Lebenslaufs lässt er viel Phantasie walten.149 Den Vater befördert er vom „Seilermeister“ zum „Bahnmeister“ und gibt als Land, in dem seine Eltern zu Hause sind, Niedersachsen an. Die falschen Auskünfte ermöglichen aber Rückschlüsse auf Daten seiner Kindheit und Jugend. Wenn er schreibt: „Verblieb dort [in Briesen] bis zum vierten Lebensjahre. Dann wurde mein Vater nach Lüneburg (Hannover) versetzt“, so trifft diese Angabe zwar nicht zu, aber der Hinweis auf das vollendete vierte Lebensjahr ist ein weiteres Indiz dafür, wann er von seinem Vater im Vorschulalter nach Müncheberg gebracht worden ist. Weiter heißt es: „Besuchte dort die Bürgerschule und trat mit 14 in ein kaufmännisches Geschäft in die Lehre.“

      Den Tatsachen entsprechend nennt Zech für den Zeitpunkt des Schulabschlusses das 14. Lebensjahr und erwähnt den Beginn einer Berufsausbildung. Die verlegt er aber von Briesen nach Lüneburg und vom handwerklichen in den kaufmännischen Bereich. Dann erklärt er Fastenrath: „Ihren Wunsch betreffend der Fotografie kann ich momentan nicht erfüllen. Wollen Sie mir bitte mitteilen, bis zu welchem Zeitpunkt dieselbe in Ihren Händen sein muss?“ Offenbar besitzt er kein Geld für einen Besuch beim Fotografen, stellt aber in Aussicht: „Zu den Festspielen werde ich, wenn nichts dazwischen tritt, erscheinen“. Allerdings ist er schon jetzt entschlossen, der Preisverleihung fern zu bleiben, denn dazu hat er weder Lust noch die nötigen Mittel. Der Aufforderung, vorab eine gereimte Verbeugung vor dem Hofrat zu verfassen, kommt er nicht sofort nach: „Vielleicht schreibe ich auch einen Festgruß“. Unter Hinweis auf seine finanzielle Lage bittet er um Überlassung eines Jahrbuchs der „Kölner Blumenspiele“ aus früherer Zeit.150

      Als Fastenrath Zech diesen Wunsch erfüllt, schmeichelt er dem Geber: „Ich weiß meinen Dank nicht in Worte zu kleiden, den Dank, den ich Ihnen schuldig bin für die große Freude, die sie mir […] bereitet haben.“ In Wirklichkeit hält er nichts vom Wettbewerb, zu dem er sich nur in der Hoffnung angemeldet hat, materiellen Gewinn zu erzielen. Beim Lesen eines Verrisses der „Blumenspiele“ in der Zeitschrift „Der Kunstwart“ ist ihm endgültig klar geworden, was ihn in Köln erwartet. Fastenrath gegenüber redet er die Veranstaltung schön: „Ein ganz anderes Bild habe ich nun von den Blumenspielen, respektive vom Wert derselben bekommen. Waren mir doch erst kürzlich sehr abschreckende Äußerungen über die Blumenspiele zu Gesicht gekommen.“ Weiter schreibt er: „Ich bin nun zu der Überzeugung gekommen, dass die Blumenspiele und ihr Organisator […] in der deutschen Literaturgeschichte nicht unerwähnt bleiben werden. Denn der literarische Wert der Spiele ist ein sehr hoher.“151 Zech liefert auch den gewünschten Festgruß: „Sieh‘ König Mai, Dein Freund ist da / Mit tausend, abertausend Blumen. / Wie leuchten nun im Sonnenschein / Die eisbefreiten Ackerkrumen“.152

      Der „General-Anzeiger“ veröffentlicht in seiner Karfreitagsausgabe Zechs Gedicht „Ostern“.153 So herausgestellt worden sind bisher nur die lokalen „Haus-Dichter“ Rittershaus, Wiegershaus und Hückinghaus. Das hilft dem Verfasser über die Enttäuschung hinweg, bei Fastenraths Wettbewerb keinen Preis bekommen zu haben. Wie längst geplant, fährt er nicht nach Köln und schreibt an den „Geheimen Hofrath: „Erhielt soeben die Nachricht von einer schweren Erkrankung meiner Mutter. Ich sehe mich daher genötigt, den in Aussicht gestellten Besuch der Blumenspiele wieder rückgängig zu machen. […] Ich reise schon morgen nach Lüneburg ab“.154 Die Mutter mag krank sein, in Lüneburg wohnt sie bestimmt nicht. Dem Brief legt Zech ein Portraitfoto aus dem Atelier von Emil Saurin-Sorani in der Elberfelder Königstraße bei. Es zeigt einen modisch gekleideten jungen Mann mit Bürstenhaarschnitt, dem man sein Alter nicht ansieht. Er trägt ein dunkles Jackett sowie ein weißes Stehkragenhemd.

      Die Zeitschrift „Niedersachsen“ veröffentlicht, wenn auch mit zeitlicher Verspätung, ein Gedicht von Zech, in dem der „Vorfrühling“ besungen wird. Wie schon im Loblied auf den Mai zeigt sich der Verfasser darin thematisch der Erde verbunden: „Braune Schollen, die sich endlos dehnen. […] Einsam ragt ein Pflug am Ackerrain“.155 Bezüge zum Lebenskult sind darin nicht zu übersehen.

      Über die Preisverleihung bei den „Kölner Blumenspielen“ ist im „Täglichen Anzeiger für Berg und Mark“ zu lesen: „Ehrenvolle Erwähnungen fanden Rechtsanwalt Dr. Prüßmann (Remscheid) und Paul Zech (Elberfeld).“156 Was Letzterer vom Wettbewerb in Erinnerung behält, hat mit dessen tatsächlichem Verlauf nichts zu tun. In späteren Jahren sieht er es