Название | Die baltische Tragödie |
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Автор произведения | Siegfried von Vegesack |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783853653296 |
Sein erstaunlich unabhängiger und deutlich kritischer Bericht „Als Dolmetscher im Osten. Ein Erlebnisbericht aus den Jahren 1942–43“ kann erst 1965 erscheinen. „Bei der Aussicht, die eine Gewaltherrschaft (der Bolschewiken) nur durch eine andere (die deutsche) zu vertauschen, zu einer deutschen Kolonie herabzusinken und als ‚weiße Neger‘ und ‚Untermenschen‘ für den deutschen Herrn zu schuften, war es kein Wunder, daß auch die deutschfreundlichen Elemente, die uns mit Begeisterung als Befreier begrüßt hatten, in kurzer Zeit alle Sympathie für uns verloren und wieder dem Bolschewismus zugetrieben wurden. […] Man kann kein Volk gewinnen, wenn man ihm ständig seine Minderwertigkeit vor die Nase hält, ganz abgesehen davon, daß diese Völker alles andere als minderwertig sind“, heißt es in seinem von Paul Rohrbach, dem politischen Schriftsteller, als „Geheimschrift“ gewürdigten Text.
Auch als Dichter setzt Vegesack sich mit der Herrschaft der Nationalsozialisten auseinander; als Versuch, ihren Aufstieg und die ungeheure Zustimmung in Deutschland für Adolf Hitler zu erklären, entsteht im Februar 1946 „Das Weltgericht von Pisa“ – eine von Thomas Mann lobend hervorgehobene Erzählung, die sich mit der Schuldfrage befaßt.
Gerhard Storz, der Präsident der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, in die der Balte 1956 berufen worden war, würdigt in einer Festschrift zu Vegesacks 80. Geburtstag die moralische Autorität und Integrität dieses Mannes: „Er hat sie sich erworben, weil er an das Gute im Menschen glaubt“. Nicht nur die Stadt Regen hat den Dichter nach dem Zweiten Weltkrieg ausgezeichnet, indem sie ihn zu ihrem Ehrenbürger macht: 1961 erhält er den Literaturpreis und 1973 die Ehrengabe der Stiftung zur Förderung des Schrifttums, 1963 den Ostdeutschen Kulturpreis der Künstlergilde Esslingen. Anläßlich der Verleihung des letzteren verliest er sein Glaubens-„Bekenntnis“: „Mag es auf unserem kleinen Planeten auch wie in einem Tollhaus zugehen, so glaube ich doch, allem Niedrigen und Niederträchtigen zum Trotz, an das Gute im Menschen, an seine Bestimmung, an den Sinn und den Wert dessen, was das Leben lebenswert macht: an Tapferkeit, Ritterlichkeit, Duldsamkeit, Treue und Lauterkeit der Gesinnung, an die große, den ganzen Erdball umspannende Kameradschaft und Brüderlichkeit aller, die guten Willens sind.“
Noch weiter, über die früheste Kindheit hinaus, verfolgt er nun die eigene Lebensspur zurück. 1960 ergänzt Vegesack seine ‚Trilogie mit Nachspiel‘ um eine Vorgeschichte: „Vorfahren und Nachkommen“. Seine „Aufzeichnungen aus einer altlivländischen Brieflade 1669–1887“ sind die über den Zweiten Weltkrieg von einem Bruder nach Deutschland geretteten Briefe der Freiherren von Campenhausen, seiner Vorfahren mütterlicherseits, die auch in den Ahnenporträts in der „Baltischen Tragödie“ bereits auftauchen. Ein reiches politisches und kulturgeschichtliches Panorama entfaltet Vegesack darin, das – wie er im Februar 1960 Werner Illing aus Argentinien schreibt – „aus der Perspektive eines livländischen Gutshofes […] Pietismus, Aufklärung, Französische Revolution, Napoleon, Befreiungskriege, Biedermann-Zeit usw.“ widerspiegelt.
Bis zuletzt erweitert der Dichter den Erzählkreis seiner baltischen Welt: Nach seinen „Altlivländischen Idyllen“ („Der Pastoratshase“, 1957) erscheinen 1965 seine „Baltischen Erzählungen“ sowie ein Jahr zuvor das Hörspiel „Die Liebeserklärung“ – in welchem sich die beiden wichtigsten Hauptfiguren seiner Romane, Aurel von Heidenkamp und der Baron Kai von Torklus, in einem Altersheim voller Baltendeutscher begegnen – und zuletzt, 1970, seine liebevoll-amüsanten Porträtskizzen „Die Welt war voller Tanten“.
In „Jaschka und Janne“ (1965) erzählt Vegesack erstmals von einer Überwindung der „gläsernen Wand“, von einer Liebe in der Universitätsstadt Dorpat über die Volksgrenzen hinweg. Unterschwellig kontrastiert er zudem die Lebensschwäche deutschbaltischer Herren und die Tüchtigkeit und Vitalität der einheimischen Esten: Jaschka, dem deutschen Bummelstudenten und künftigen Majoratsherrn, gelingt es, die kleine estnische Näherin Janne, gegen alle Vorurteile zu ehelichen, und gemeinsam durchleben sie die bewegten Stationen der baltischen Geschichte: Enteignung, Umsiedlung und Verschleppung durch die Bolschewiken. „Natürlich sind es baltische Erinnerungen“, schreibt Vegesack am 6. Oktober 1965 über seine jüngst erschienenen Erzählungen an Nena, „da ich ja dort aufgewachsen bin, aber beide Erzählungen erweitern und vertiefen das ‚Baltische‘ meiner Balt. Tragödie ins Allgemein-Menschliche, sind also keineswegs ‚Wiederholungen‘! Die ‚Baltische Tragödie‘ mußte ich doch so schreiben, wie ich sie erlebt habe: die Letten und Esten blieben im Hintergrund, und die Russen waren unsere ‚Feinde‘, da ich ja mitten in der Russifizierung aufgewachsen bin. In ‚Jaschka und Janne‘ versuche ich unser gemeinsames Schicksal mit den Letten und Esten darzustellen – die es ja viel schlimmer haben als wir Deutsch-Balten, da sie mit der Heimat auch ihren Sprachraum verlieren. […] Und in der ‚Hochzeit‘ wird das gute deutsch-russische Verhältnis dargestellt, das ja vor der Russifizierung bestand: die ‚russische‘ Zeit war ja vor der Russifizierung die glücklichste und friedlichste, die wir Balten gehabt haben!“
Nur für kurze Vortragsreisen unterbricht der baltische Poet sein zurückgezogenes, arbeitsreiches Dasein. Über siebzig selbständige Werke hat er im Laufe seines Lebens geschaffen. „Ich habe nie irgendeiner Gruppe, einer Richtung oder irgendeinem –ismus angehört“, sagt er über sich und seine Literatur, „aber man muß natürlich bestimmte Leitbilder haben“: Die seinigen sind Jean Paul und Adalbert Stifter; unter seinen Zeitgenossen verehrt er daneben „Knut Hamsun, den Norweger, und bei den Deutschen Thomas Mann“.
In den fünfziger und sechziger Jahren arbeitet er bevorzugt für den Hörfunk, wo er seine Texte zum größten Teil selbst lesen kann. Werner Grüb, der damalige Abteilungsleiter des Süddeutschen Rundfunks, erinnert sich an das Erscheinungsbild des Gealterten: „Als er mein Zimmer betrat, stand der Dichter der ‚Baltischen Tragödie‘ leibhaftig vor mir: Ein Mann um die Fünfundsiebzig in einem Anzug, der möglicherweise einmal bessere Tage gesehen hatte, ein Mann mit einem Gesicht, das leidvolle Erlebnisse spiegelte und sich zugleich über sie zu mokieren schien, ein Gesicht, das nicht von Falten des Alters, sondern von Runen eines Schicksals geprägt war, das seine Spuren tief eingekerbt hatte; und der Mann, der diese Spuren mit unverkennbarem Stolz zur Schau trug.“
„Was und wie die Welt auch sei, / unentwirrt und unentwirrbar, / bleibe dir nur selber treu: / unbeirrt und unbeirrbar!“ lautet Vegesacks Motto über alle Zeiten hinweg. Längst sind er und die Einheimischen, die ihn anfangs als den ‚g’spinnaten Baron‘ bezeichnet haben, gute Nachbarn. Als scharfer Beobachter seiner Umwelt hat er sie und ihren kargen Alltag porträtiert, erstmals 1942 in seiner Erzählung „Das Dorf am Pfahl“ – auf diesem Quarzgang, der den Bayerischen Wald durchzieht, führt der Weg vom Turm des Dichters über die ehemalige Zugbrücke hinaus. Vom Leben im „Fressenden Haus“ nach dem Zweiten Weltkrieg gibt der Schriftsteller Georg Britting, der ihn Ende August 1953 besucht, ein anschauliches Bild: „Ich ging zu ihm hinauf nach Weißenstein (3/4 Stunden steiler Anstieg), und er schleppte mich weitere zwei Stunden entlang des ‚Pfahl‘, und wir landeten in seinem Turm, wo die vier Brüder Vegesack hausen, drei davon tragen ein Monokel, Siegfried ist 65, die anderen 70, 73, 79, reizende baltische Barone und drei Frauen und 6–7 Kinder und Enkel, aber gar nicht bohèmisch, mit Ziegen, Kühen, Hasen, Obstgarten, 4 Hunden. Jeder der Brüder eine 3-Zimmerwohnung, so geräumig ist der Turm!“ Noch immer haust er in seinem „alten Gemäuer – mehr Ruine als Haus“, in dem nur zwei Räume, das Wohnzimmer und sein Arbeitszimmer „mit Mühe und Not“ beheizbar sind, und wo selbst das Wasser keine Selbstverständlichkeit ist: „Bei starkem Frost oder großer Dürre mußte ich es früher oft Wochen lang in Eimern von der Quelle herschleppen, was besonders im Winter, wenn man das Eis aufhacken mußte, kein Vergnügen war“, schreibt er im Februar 1963 seinem Regisseur im Bayerischen