Das Erbe von Tench'alin. Klaus D. Biedermann

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Название Das Erbe von Tench'alin
Автор произведения Klaus D. Biedermann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783937883830



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würde, wenn er eines Tages dies hier würde sehen können. Gleich darauf hatte sie diesen Gedanken allerdings wieder verworfen – er würde seine geniale Erfindung nie sehen. Es würde ihn allerdings heute auch nicht sonderlich interessieren, wie sie wusste.

      »Schauen Sie bitte mal hier, Nikita«, er hatte auf einen der Pläne und dort auf eine bestimmte Stelle in den Berechnungen gezeigt.

      »Ich komme hiermit nicht weiter, er hat mitten im Text ein paar merkwürdige Sätze stehen, nicht vollständig und mit einem Hinweis versehen … es ist eine Verschlüsselung, vermute ich«, hatte der Professor mit einem Anflug von Verzweiflung in der Stimme gesagt.

      Nach einer kurzen Pause war er fortgefahren: »Hier, an der entscheidenden Stelle, bei der Umwandlung der Neuronen auf der Erde ... da ist ein, ich nenne es mal, Rätselcode eingebaut. Ich weiß nicht, was das soll. Es hat damals doch überhaupt keinen Sinn gemacht. Er muss eine Vorliebe für Rätsel gehabt haben. Wenn wir das nicht lösen, können wir das ganze Projekt vergessen ... und das wäre gar nicht auszudenken, es wäre einfach tragisch! Aber das muss ich Ihnen nicht erklären. Sie haben es offensichtlich noch nicht gesehen. Schauen Sie hier.« Er zeigte auf eine Stelle in dem Originaltext.

      Quis sum? Hieme e nubibus nigris leniter venio atque super ardua tecta domorum tarde cado, ut cadens asperum TEGAM …(Reliquum et aenigma in Monastère Terre Sainte quaerens invenit.)

      Professor Rhin blickte Nikita fragend an. »Sie haben das noch gar nicht gelesen, stimmts?«

      »Nein, das sehe ich erst jetzt. Verstehe es aber nicht.«

      »Nun, hier ist die Übersetzung.«

      Er nahm das oberste Blatt von seinem Stapel handschriftlicher Unterlagen.

      Im Winter komme ich aus dunklen Wolken und ich falle langsam auf die steilen Dächer der Häuser, sodass ich beim Fallen den schroffen Menschen bedecke … (den Rest und die Lösung findet der Suchende im Kloster zum Heiligen Grund)

      »Das heißt, dass dieser lateinische Text nicht vollständig ist und wir das Rätsel nicht lösen können, wenn wir nicht dieses Kloster finden?«

      »Das Kloster oder Effel Eltringham«, meinte der Professor trocken.

      Dann hätte er mir ja etwas verschwiegen oder er wusste es einfach selbst nicht mehr, dachte Nikita, sprach es aber nicht aus. Dennoch musste sie innerlich grinsen, denn sie kannte ja Effels Liebe zu Rätseln und ganz offensichtlich hatte er diese auch früher schon gehabt. Dieses hier war allerdings unvollständig und vielleicht sehr kompliziert. Jedenfalls hatte sie keine spontane Idee.

      »Hm, so schnell fällt mir da auch nichts ein, aber das werden wir doch herausbekommen … das wäre doch gelacht.«

      »Ihre Zuversicht in allen Ehren, Nikita. Wir haben nicht sehr viel Zeit dafür, die Menschen wollen Ergebnisse. Ich war ja dagegen, so schnell an die Öffentlichkeit zu gehen, aber nun ist es geschehen. Es wird im Fernsehen berichtet, mit allen Interviews. Wie stehen wir da, wenn das hier herauskommt?

      Alles andere hier ist mir inzwischen klar. Wie wir Neuronen einfangen können, wissen wir ja schon lange. Aber die Umwandlung! Gerade um die geht es doch. Früher galt das Atom noch als kleinster Baustein des Universums.«

      Der Professor war dabei, in seinen Vorlesungsmodus zu verfallen, wie Nikita bemerkt hatte. Sie hatte ihn aber in diesem Moment ungern unterbrechen wollen. Sie hatte sich damals bei der Entdeckung der Pläne in der Burg Gisor auch schon gefragt, warum Francis diese in lateinischer Sprache verfasst hatte, dann aber von ihm selbst eine Erklärung dafür bekommen. Das Rätsel war ihr bislang nicht aufgefallen, da sie die Pläne zunächst einmal nur überflogen hatte.

      »Später«, war Professor Rhin dozierend fortgefahren und dabei gestikulierend im Raum auf und ab gegangen, »wurden die Bestandteile der Atome, die Elektronen, Protonen und Neutronen gefunden. Dann sprachen die Physiker gar von einem Zoo der subatomaren Teilchen, als sie mit damals modernster Technik mehr als 200 winzige und teils sehr exotische Partikel entdeckt hatten. Die Neutrinos, um die es bei unserem Projekt hier geht, gehören zu den Leptonen, den sogenannten leichten Elementarteilchen, aber das wissen Sie ja, Nikita. Sie waren lange Zeit kaum nachweisbar und können mühelos die Erde durchqueren. Sie spielen bei radioaktiven Prozessen eine wichtige Rolle. Ihre Masse ist sehr gering. Für über ein halbes Jahrhundert hatten alle Wissenschaftler gedacht, dass Neutrinos keine Masse haben. Dabei passieren jede Sekunde Milliarden von Neutrinos unseren Körper.

      Den Nobelpreis für Physik hatten im Jahr … lassen Sie mich nachdenken … es muss Anfang des 21. Jahrhunderts gewesen sein … genau, 2015, der Japaner Takaaki Kajita und der Kanadier Arthur B. McDonald erhalten. Die beiden Physiker hatten endlich den Nachweis erbracht, dass Neutrinos eine Masse besitzen.«

      Nikita hatte wieder einmal, wie schon so oft, das enorme Gedächtnis des Professors bewundert, der für Jahreszahlen und Namen eine gesonderte Abteilung in seinem Gehirn haben musste.

      Dann war sie zum eigentlichen Thema zurückgekommen.

      »Aber das Rätsel werden wir doch wohl lösen können. Wir werden alle möglichen Suchprogramme starten und dann können wir ja mit den Berechnungen weitermachen. Notfalls lassen wir sämtliche Rechner drüberlaufen, auch wenn dadurch alle anderen Arbeiten erst einmal liegen bleiben. Die

      werden aber dann auch nicht lange brauchen.«

      »Das hoffe ich sehr, Nikita … wenn wir das aber nicht schaffen sollten, und zwar in absehbarer Zeit … ach, lassen Sie uns positiv denken. Bisher hat ja auch alles wunderbar geklappt. Machen wir weiter und vertrauen auf unseren Grips und die Technik.«

      Wenn wir es nicht lösen können, wäre dieser Teil meiner Mission umsonst gewesen, hatte sie gedacht, und der nächste Gedanke, der sich ihr aufdrängte, hatte sie erschreckt.

      ***

      Kapitel 6

      »Sie kennen dieses Tal also doch. Dann war meine Vermutung ja richtig.« Jared hatte recht gehabt. Wenn es einen Menschen gäbe, von dem er etwas über das geheimnisvolle Tal erfahren könnte, so hatte er vor ein paar Tagen zu Scotty gesagt, dann wäre das die Äbtissin von Haldergrond. Er hatte diesen letzten Strohhalm ergriffen und war vor Kurzem in der ehemaligen Klosteranlage eingetroffen, die seit einigen hundert Jahren die berühmteste Schule für Heilkunst und Musik war. Es wurden hier nur junge Frauen aufgenommen, die sich einem strengen Auswahlverfahren unterzogen hatten oder sich auf Empfehlung einer anerkannten Heilerin für einen Ausbildungsplatz bewarben.

      Wenn ihm vor einer Woche jemand, ganz egal wer, diesen Schritt vorausgesagt hätte, hätte er dieser Person ans Herz gelegt, einen guten Arzt aufzusuchen.

      Jetzt saß er im Allerheiligsten von Haldergrond in einem alten Ledersessel, in dem schon viele Menschen gesessen haben mussten, was an den abgewetzten Armlehnen und der tief nach innen gewölbten Sitzfläche deutlich zu erkennen gewesen war.

      Fast die gleichen Sessel wie bei uns daheim, hatte er festgestellt, als er sich vorsichtig niedergelassen hatte, wenn unsere auch in einem deutlich besseren Zustand sind.

      Ihm gegenüber hatte die Leiterin der Schule, die im Volksmund nur die Äbtissin genannt wurde, auf einem mächtigen, mit wertvollem Brokat bezogenen Stuhl Platz genommen.

      Dessen hohe kunstvoll geschnitzte Lehne war am oberen Ende mit zwei zu den Seiten ausladenden, stilisierten Engelsflügeln verziert. Sie sah klein darin aus, obwohl sie es nicht war. Wie er bei der Begrüßung hatte feststellen können, war sie nur etwa einen Kopf kleiner als er. Sie trug ein cremefarbenes Leinenkleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte. Ihre nackten Füße steckten in braunen Sandalen mit silbernen Schnallen. Die schwarzen Haare, er hatte nicht eine graue Strähne darin entdecken können, hatte sie zu einem imposanten Knoten geflochten, der von einer ebenfalls silbernen Spange gehalten wurde. Am Ringfinger ihrer rechten Hand trug sie einen schlichten Siegelring mit einem dunkelroten Stein. Ihr linkes Handgelenk zierte eine schmale silberne Armbanduhr.

      Neben seinem Sessel befand sich ein kleiner, runder, dreibeiniger Messingtisch. Dort stand