Das Erbe von Tench'alin. Klaus D. Biedermann

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Название Das Erbe von Tench'alin
Автор произведения Klaus D. Biedermann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783937883830



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sie auch seinen Freund Matt nicht in der Redaktion erreichen konnte. Er sei in Urlaub, hatte es dort nur lapidar geheißen, und man wisse auch nicht, wo er sich aufhielte. Er habe seinen ganzen Jahresurlaub auf einmal genommen und man rechne in spätestens sechs bis acht Wochen mit seiner Rückkehr.

      Inzwischen wusste Nikita mehr und sie wollte auf den Rat ihres Vaters hören, sich nicht weiter in diese Sache einzumischen.

      Sie würde also keine Nachforschungen wegen Will Manders anstellen. Dafür hatte ihr Vater die besseren Kontakte.

      »Komm, lass uns gehen«, schlug Chal gerade vor und riss sie damit aus ihrem Tagtraum, »ich habe im VAL ein Wahnsinnskleid gesehen, das muss ich dir zeigen. Es ist allerdings nicht aus Schafswolle, hahaha. Ich hoffe, du hast noch einen Blick für unsere Mode. Die Rechnung hier geht auf mich«, knuffte sie Nikita liebevoll in die Seite und rief den Kellner.

      Sie waren gerade ein paar Schritte gegangen, als sie angesprochen wurden. Ein gut aussehender Officer, dessen Uniform ihn als Mitglied des Delice-Wachpersonals auswies, baute sich vor den beiden Frauen auf. Eine dunkle Locke fiel ihm keck in die Stirn. Die MFB hatte er locker über dem Schirm seiner Mütze sitzen.

      Das wird seinem Chef nicht gefallen, dachte Nikita sofort, als sie von Richard Pease auch schon aus ihren Gedanken gerissen wurde. »Ich kenne Sie, Ma'am«, grinste er Nikita an und blickte dann verstohlen zu Chalsea, die mit einem betont gelangweilten Blick antwortete.

      »So, woher denn, Officer ... Pease?«, fragte Nikita freundlich. Sie hatte das Namensschild auf seiner Brusttasche gelesen.

      »Na, Sie haben mich doch damals auf Pete Johnson angesprochen ... wissen Sie noch ... den neuen Star unseres Baseballteams! Ich hatte ein Magazin in der Hand mit seinem Foto drauf und Sie haben mich angehalten und sich nach ihm erkundigt. Sie sagten noch, dass Sie ihn kennen. So was vergisst Richie nicht.«

      Er deutete mit dem Finger auf Nikita und zeigte dabei ein gewinnbringendes Lächeln. Jetzt fiel ihm ein, dass sie ihm damals gar nicht ihren Namen gesagt hatte.

      »Jetzt, ja sicher, ich erinnere mich ... und? Hat er Ihre Erwartungen erfüllt?«, fragte Nikita mit einem schelmischen Seitenblick auf Chalsea, die daraufhin leicht errötete.

      »Erfüllt? Machen Sie Scherze? Er ist eine Granate, sag ich Ihnen. Die beste Investition der Tiger seit ewigen Zeiten ... ich könnte heute noch dem Management die Füße küssen! Und die Summe, die sie für ihn ausgegeben haben, die ja wirklich nicht von schlechten Eltern war, haben sie alleine durch Trikotverkauf in den ersten drei Monaten locker wieder reingeholt!«

      Dann hielt er abrupt inne und zeigte mit dem Finger auf Chalsea.

      »Mann, Mann, Mann, bin ich blind! Entschuldigen Sie vielmals Mrs. Cromway, aber Sie sehen viel hübscher aus als auf den Fotos ... deswegen habe ich Sie nicht gleich erkannt. Schade, dass Sie nicht mehr mit ihm zusammen sind ... ich habs vor ein paar Tagen gelesen ... aber sorry, das geht mich ja nichts an.«

      »Ist schon gut«, meinte Chal und zupfte Nikita am Ärmel, »komm jetzt, wir müssen los ... einen guten Tag noch, Officer.«

      Sie hatte keine Lust, mit einem Mann vom Sicherheitspersonal über ihren Beziehungsstatus zu reden.

      »Auf Wiedersehen, Officer Pease«, rief Nikita freundlich und eilte ihrer Freundin hinterher.

      »Den wünsche ich Ihnen auch, Ladys«, erwiderte Richard fröhlich, der gegen ein Wiedersehen nichts einzuwenden hatte.

      Dann schaltete er die MFB ein. Er mochte dieses ungeliebte Teil nicht ... vielleicht auch einfach nur, weil der Chief befohlen hatte, sie zu tragen. Er richtete seinen Blick auf die beiden Freundinnen, die jetzt vor einem Schaufenster standen und Schuhe betrachteten. Er war neugierig und berührte einen Sensor an der Brille.

      »Chalsea Chromway«, murmelte er leise und wartete ein paar Sekunden auf den Rest der Mitteilung. Fotoreporterin ... das weiß ich ja inzwischen, aber so hat sie Pete bestimmt kennengelernt ... 65. Straße 67, App. 2001 ... das ist nicht weit von hier ... die wäre doch was für unseren Richie. Und die andere? Wer ist das?

      Er richtete die Kamera auf Nikita und berührte den Sensor erneut, dann noch einmal und dann, leise fluchend, ein drittes Mal. Er nahm die MFB ab und betrachtete sie kopfschüttelnd von allen Seiten.

      Scheißding, wieder mal defekt, dachte er und machte sich auf den Weg zurück in sein Office, denn in einer halben Stunde würde er ohnehin seine Schicht beenden, die mit einer defekten MFB keinen Sinn machte. Er würde eine gepfefferte Schadensmeldung loslassen und nach einem schnellen Imbiss zum öffentlichen Training der Tiger gehen. Die hatten am Wochenende ein wichtiges Heimspiel und konnten seine Unterstützung sicherlich gebrauchen. Da zählte jeder Fan.

      Als der Morgen graute, lag Nikita immer noch mit offenen Augen auf ihrem Bett und fand keinen Schlaf, obwohl sie hundemüde war. Die Pillen, die sie in solchen Fällen früher genommen hätte, kamen für sie nicht mehr infrage. Sie dachte an Effel und an die Menschen in Seringat, die sie so in ihr Herz geschlossen hatte. Wie gut hatte sie in seinem Haus schlafen können. Der monotone Ruf des Nachtvogels hatte sie in einen tiefen und erholsamen Schlaf begleitet. Sie würde am nächsten Morgen auch nicht von ihm oder Sam geweckt werden. Sie vermisste einfach alles.

      Unter ihrem Apartment pulsierte das Nachtleben, das sich in seiner Lautstärke in nichts von der des Tages unterschied.

      So weit oben kam dies lediglich als leises, ab- und anschwellendes Summen an, das sie an den Garten des Bienenfreundes Sendo erinnerte. Sie musste lächeln, als sie an den Korbmacher in Seringat dachte, der ihr so stolz seinen Garten gezeigt hatte. In diesem Moment kam ihr auch die Melodie wieder in den Sinn, die er gesummt hatte, als er mit seinen Bienen gesprochen hatte. Er hatte bei seiner Arbeit weder Netzhut noch Smoker gebraucht. Alleine sein Lied stimmte die Bienen ganz offensichtlich freundlich.

      Sie war nach ihrem Treffen mit Chal – das Kleid hatte sie nicht gekauft – abends lange in der Firma geblieben. Sie wollte die Arbeiten unbedingt vorantreiben, wollte alles schnell zu Ende bringen. Nach dem Abschied von ihrer Freundin hatte sie zunächst bis in den späten Nachmittag an ihrem alten Arbeitsplatz verbracht und liegen gebliebene Dinge aufgearbeitet, bevor sie in die neuen Laborräume hinübergegangen war.

      Als Professor Rhin in der Nacht alleine im Labor gewesen war, war er über etwas gestolpert, das ihm gehörig den Wind aus den Segeln genommen hatte. Er hatte Nikita erst einmal nichts davon erzählen wollen, hatte es dann aber doch getan.

      Eine halbe Stunde später hatte er sie zu sich gerufen. Er hatte kopfschüttelnd und murmelnd über einem der Pläne gestanden, die fein säuberlich vor ihm auf dem Kartentisch ausgebreitet lagen.

      »Herr Professor ... stimmt etwas nicht?«, hatte sie mit einem plötzlichen unguten Gefühl in der Magengegend gefragt. Ihr inneres Warnsystem war angesprungen.

      »Ich weiß es noch nicht«, hatte er gemurmelt, »es ist sehr kompliziert das alles … viel komplizierter, als ich dachte. Damit meine ich nicht die lateinische Sprache, obwohl ich mich gefragt habe, warum der Entwickler die Pläne nicht in seiner Muttersprache verfasst hat. Aber ihre Erklärung hat mir eingeleuchtet.« Er hatte sich am Kinn gekratzt.

      »Kann ich denn helfen?«

      Sie hatte sich vor einer halben Stunde in den Nebenraum zurückgezogen und ein Modell des Myon-Neutrino-Projektes auf ihren Bildschirm projiziert. Es war ihr erster grober Entwurf, den sie nach Francis Zeichnungen angefertigt hatte. So ungefähr stellte sie sich das Endprodukt vor. Mit den Berechnungen würde sie sich später gemeinsam mit dem Professor beschäftigen. Man würde es wesentlich kleiner bauen können, als Francis es sich damals, vor vielen hundert Jahren, ausgedacht hatte, das war ihr allerdings bereits klar geworden.

      Es sah aus wie ein kleiner Satellit mit einer endlos langen Nabelschnur, die bis zur Erde in einen Transformator hineinreichen würde. Dieser Transformator würde nach ihren Schätzungen mindestens die Größe des Baseball-Stadions von Bushtown haben müssen. Dort würde dann die endgültige Umwandlung der Ätherenergie in brauchbare elektrische Energie stattfinden. Tausende Male effizienter als sämtliche Solaranlagen oder Wasserkraftwerke, die in den Wüsten und Gebirgen des Kontinents installiert