Harrys geträumtes Leben. Hans H. Lösekann

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Название Harrys geträumtes Leben
Автор произведения Hans H. Lösekann
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783957442116



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Bewerber, einzufinden, die sich über drei Tage erstrecken würden.

      Die medizinischen Untersuchungen bestand er mühelos, ebenso die diversen sportlichen Tests. Die ein wenig einfachen, ja primitiven psychologischen Eignungstests bereiteten auch keine Schwierigkeiten. Recht ermüdend waren die endlosen Vorträge über die Traditionen der Legion, die besondere Ehre, ihr anzugehören, und die Heiligkeit eines Befehls in der Legion. Endlos lang waren auch die beinahe pastoral vorgetragenen Ausführungen über die Vorbildfunktion, die ein Protegé-Praktikant zu erfüllen hatte, und über die hohe Ehre, die die Grande Nation ihm, Harry Linnemann, zuteilwerden ließ, indem sie ihm diese Vorzugsstellung einräumte. Alles wurde zunächst in französischer Sprache vorgetragen und anschließend ins Deutsche übersetzt. Die Grundausbildung war gnadenlos hart, aber effektiv.

      Der erste Tag begann mit einer Ansprache des Kommandanten auf Französisch, aber in mehreren Sprachen wiederholt: „Legionäre, Sie haben Ihre Aufnahmeprüfung bestanden. Jetzt gehören Sie zu der besten Kampftruppe der Welt. Hören Sie das Wichtigste für Ihre jetzt beginnende Ausbildung: Gehorchen Sie den Befehlen ihrer Vorgesetzten bedingungslos. Der erteilte Befehl ist heilig. Legionäre sind Elitesoldaten. Ein Elitesoldat trainiert unerbittlich. Er behandelt seine Waffe, als wäre sie sein höchstes persönliches Gut. Ein Legionär ist ein Freiwilliger. Eiserne Disziplin und Durchhaltevermögen sind die Grundlagen Ihres Dienstes und Ihrer Verpflichtung, das eigene Leben zum Ruhm und zur Ehre Frankreichs einzusetzen. Hier gilt nur das Gesetz der Legion. Ungehorsam wird strengstens bestraft. Seien Sie sich immer bewusst, einer Elitetruppe anzugehören. Legion patria nostra, die Legion ist unser Vaterland.“

      Der erste Ausbildungstag begann mit Formalausbildung bis zum Erbrechen. Gleichschritt, Laufschritt, Kehrtwendungen, Grüßen, volle Deckung, Robben und mehr. Nach zehn Stunden, alle waren fix und fertig, gab es eine Stunde Pause. Gelegenheit zum Waschen und Essen. Dann folgten die täglichen zwei Stunden Unterricht in französischer Sprache. Anschließend folgten ein bis zwei Stunden Spezialunterricht für Protegés. Es waren aus allen Gruppen nur vier Mann. Der Spezialunterricht ging über den Sprachunterricht hinaus. Immer wieder wurde den vieren regelrecht eingetrichtert, dass sie zur Elite der Elitetruppe gehören werden und dass ehrenvolle Führungsaufgaben auf sie warten, wenn sie sich nach den neun Monaten zu einer regulären Verpflichtung von mindestens fünf Jahren entscheiden würden.

      Schon am zweiten Tag begann die Gefechtsausbildung. Täglich zwölf bis vierzehn Stunden Drill, meist Gefechtsausbildung, immer mal wieder unterbrochen von Formalausbildung, waren üblich. Dann folgten zwei Stunden Sprachunterricht, dann der Spezialunterricht. Jede zweite oder dritte Nacht gab es Nachtalarm mit anschließenden Gewaltmärschen oder einigen Durchgängen auf der Hindernisbahn. Das war schon hart. Das Schlimmste für Harry aber waren die zusätzlichen Schikanen. Sie trafen scheinbar ziemlich zufällig täglich einige Rekruten. Für eine falsche Kehrtwendung, einen nicht perfekten militärischen Gruß, einen zu langsamen Laufschritt oder eine nicht perfekte volle Deckung und manches mehr gab es zwei bis drei Stunden zusätzlichen verschärften Drill. Zu den Schikanen gehörte auch das Einreißen des Bettes, wenn es dem Ausbilder nicht perfekt erschien, oder das Ausräumen des Spindes. Alles wurde brutal im Zimmer verteilt. All das konnte durchaus zehn- bis zwölfmal hintereinander passieren. Meist gab es noch zusätzliche Strafen. Beliebt bei den Ausbildern waren so sadistische Befehle wie das Schrubben des Flures oder auch der Toilette mit einer Zahnbürste, das Kippenaufsammeln mit gefesselten Händen, also mit dem Mund, oder in gleicher Weise Fenster zu putzen.

      Sehr beliebt war auch eine Schikane bei der Gefechtsausbildung. Es war vorgeschrieben, dass die Feldflaschen immer eine bestimmte Restmenge Wasser für den Notfall zu enthalten hatten. Oft wurden nach stundenlangem hartem Gefechtsdrill Kontrollen gemacht. Stellten die Ausbilder eine zu geringe Restmenge fest, hatte der betreffende Rekrut mit seinem zwanzig Kilogramm schweren Marschgepäck auf dem Rücken zwanzig bis dreißig Minuten Strafjoggen zu absolvieren und die Kameraden musste ihn mit gehässigen Zurufen anstacheln. Waren die Zurufe von einzelnen Kameraden nicht laut oder gehässig genug, mussten diese sich am Strafjoggen mit Marschgepäck beteiligen.

      Es war eine üble Schinderei, Tag für Tag bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit. So manches Mal hatte Harry das schmerzliche Gefühl, diese Grenze sei erreicht und werde überschritten. Einige Kameraden hielten es nicht aus, die Grenze war überschritten, sie klappten zusammen und mussten doch wenig später unter dem Hohn und Spott der Ausbilder wieder antreten.

      Für die vier Protegés war die überharte, normale Grundausbildung nach acht Wochen beendet. Es schloss sich eine vierwöchige Zusatzausbildung für künftige Führungskräfte an, die sie zusammen mit verdienten und altgedienten Corporales und Sergents durchzustehen hatten. Diese vier Wochen waren nicht weniger hart, die tägliche Belastung nicht weniger lang. Die Gefechtsübungen und Nachtmärsche blieben. Aber statt der stupiden Formalausbildung gab es endlosen theoretischen Unterricht mit anschließenden praktischen Übungen über alle nur denkbaren Gefechtssituationen und das richtige Verhalten als Zug- oder Kompanieführer. Schikanen gab es weiterhin, aber sie waren subtiler und ausgefeilter. Je weiter sich diese zwölf Wochen der Grund- und Zusatzausbildung dem Ende näherten, desto öfter hatte Harry das Gefühl, er halte das nicht mehr aus. Mit Mühe gelang es ihm, sich mit dem Wissen neu zu motivieren, dass es doch bald vorbei sei, nur noch wenige Wochen und bald nur noch wenige Tage dieser täglichen Quälerei.

      Jetzt waren diese zwölf Wochen Quälerei vorbei. Als Harry zusammen mit seinen 300 Kameraden das Schiff im Hafen von Algier und die bereit stehenden offenen LKWs bestieg, versuchte er, den Duft und das Flair von Afrika zu spüren, zu fühlen, was er bei seinen Afrika-Aufenthalten in seiner Seefahrtzeit gefühlt hatte. Aber es gelang ihm nicht. Es roch nach Benzin, Öl und Abgasen und die Szene war erfüllt von gebrüllten Befehlen in französischer und einem halben Dutzend anderer Sprachen.

      Als sie das Kasernentor der gewaltigen Kasernenanlage von Siddi bel Abbes durchschritten hatten, erinnerte nur noch das etwas schemenhafte Bild der Moschee im Hintergrund daran, dass sie in Nordafrika waren. Im Vordergrund sprang ein in zwei Etagen abgesetzter Granitsockel mit dem eingemeißelten Signum „Légion étrangère“ ins Auge. Die Truppe musste antreten und erst einmal wieder einer Ansprache über sich ergehen lassen mit den üblichen Phrasen über die Ehre, der Legion anzugehören, über Traditionen, die Heiligkeit des Befehls, über Disziplin und Elitedenken, also über all das, was sie in den letzten zwölf Wochen bis zum Erbrechen gehört hatten.

      Dann erfolgte die Zuweisung der Unterkünfte. Harry war angenehm überrascht. Er teilte einen kleinen, aber recht wohnlich eingerichteten Raum mit Ian, einem fast zwei Meter großen jungen Mann aus Irland. Beim Einrichten ihrer Spinde versuchten beide, sich etwas näherzukommen. Die anfangs holprige Unterhaltung klappte bald ganz gut. Harrys Schulenglisch reichte aus. Ians Vater war Repräsentant eines großen irischen Exportunternehmens für Irischen Whisky in Frankreich. Wohl über diese Schiene war Ian zu seinem Status gekommen. Er war ebenfalls Protegé-Praktikant. Wie Harry bald feststellte, hatten sich die anderen Neulinge ohne diesen Status mit recht kargen Sechs-Mann-Unterkünften zu begnügen.

      Für den Nachmittag waren erste Algerien-Instruktionen angesetzt. Die Mannschaften mussten in der glühenden Sonne auf dem Kasernenplatz antreten und einen Hagel von Anweisungen, Befehlen und vor allem Verboten in verschiedenen Sprachen, laut, brüllend, in einem unablässigen schnellen Stakkato, der auch in der jeweiligen Heimatsprache kaum verständlich war, über sich ergehen lassen. Die Unterführer unter den Neuankömmlingen, und dazu gehörten aufgrund ihres Protegé-Status auch Ian und Harry, hatten sich in der Messe zu versammeln. Dort erhielten sie im Grunde die gleichen Instruktionen, nur etwas detaillierter und mit Dia-Bilden und einem kleinen Film ergänzt. Es wurde vor jedem Kontakt mit Einheimischen gewarnt, jeder Algerier war nach den Warnungen der Instrukteure ein potentieller Rebell, ein Sicherheitsrisiko, ein möglicher hinterhältiger Mörder. Allen Legionären war es strikt verboten, sich alleine außerhalb des Kasernengeländes aufzuhalten. In dem kleinen Film wurde eine grausige, sicher gestellte, Szene gezeigt, die in der Kasbah Algiers spielte.

      Die Kasbah, die sich an den Berghängen der Hauptstadt befindet, ist ein exotisches, buntes, faszinierendes und für Fremde völlig undurchsichtiges Labyrinth. Enge Gassen, Läden aller Art, Teestuben und kleine Straßen-Garküchen dicht aneinander gedrängt mit einem Gewusel von Menschen aller Hautfarben und