Harrys geträumtes Leben. Hans H. Lösekann

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Название Harrys geträumtes Leben
Автор произведения Hans H. Lösekann
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783957442116



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      Harry konnte erst in den frühen Morgenstunden etwas Schlaf finden. Aber Harry war jung. Der nächste Tag weckte ihn mit strahlendem Sonnenschein. Die Kameraden hatten schon Dienst. Doch er hatte frei, er war krankgeschrieben. Er suchte die beiden anderen Kameraden mit den Schussverletzungen auf. Er versuchte, sie zu einem Spaziergang in die Stadt zu animieren. Aber sie lehnten ab, sie hatten Schmerzen. Die hatte Harry auch, aber sein Streifschuss war sicher nicht so schmerzhaft wie die beiden Durchschüsse. Alleine konnte er nicht gehen, das war verboten. Sie spielten ein wenig Karten, dann nahm Harry sich ein Buch und las. Er fand das Leben wieder ganz erträglich.

      Zwei Tage später wurde Harry zum Kommandanten befohlen. Habe ich etwa etwas ausgefressen?, fragte er sich insgeheim, als er sich meldete. Aber nein, er erhielt eine feierliche Belobigung für sein „vorbildliches Verhalten im Gefecht“. Der Gruppenführer hatte in seinem Bericht Harrys Verhalten als tapfer, entschlossen und professionell geschildert. Harrys Verhalten sei es maßgeblich zuzuschreiben, dass der heimtückische Überfall aus dem Hinterhalt bis auf die schwere Verletzung von Zandor so glimpflich ausgegangen sei. „Sie haben entschlossenen und qualifiziert gehandelt. Wenn Sie wieder dienstfähig sind, werden Sie als Gruppenführer eingesetzt. Da diese Positionen für unsere beiden Gruppen besetzt sind, werden Sie nach Dienstfähigkeit in das Fort Sidi Boukekeur versetzt und dort eine Gruppe führen.“

      Darf ich stolz darauf sein, dass ich Menschen getötet habe?, fragte sich Harry, als er langsam und grübelnd zu seinem Logis zurückging. Aber sofort meldete sich eine beruhigende und wohlmeinende innere Stimme, die seine Selbstzweifel zerstreute: Erstens ist es gar nicht sicher, dass du, dass deine Handgranate getötet hat, und zweitens war es Notwehr. Wenn du und deine Kumpel die drei Rebellen nicht ausgeschaltet hättet, dann hätten sie euch umgebracht. Langsam überwogen dann doch die Freude über die Belobigung und der Stolz über die Beförderung in seiner Funktion.

      Doch auch der Stolz über diese Beförderung war etwas ambivalent, war sie doch mit der Versetzung zum Fort Sidi Boukekeur verbunden. Dieses Fort war ein Außenposten im Niemandsland, wie ihm der Kommandant auf Nachfrage erklärt hatte. Allerdings, so ging es Harry durch den Kopf, hatte er die Kaserne hier in Mascara in seiner Freizeit auch noch nicht verlassen. Er hatte noch nichts von der Stadt gesehen. Umso mehr freute er sich, als er sich beim Abendessen mit einigen altgedienten Legionären zu einem abendlichen Stadtbummel verabredete. „Wir machen richtig einen drauf, mit allen Schikanen“, strahlte Andree, ein Corporales, der schon über ein Jahrzehnt bei der Legion war.

      Nach kurzer Diskussion beschlossen die Jungs, in Zivil zu gehen. Das war bis vor Kurzem für die Legionäre noch verboten. Die Anordnung lautete, Legionäre haben sich in jedem Land, in jeder Umgebung und gerade auch in ihrer Freizeit in tadelloser Uniform zu präsentieren, um ihre Verbundenheit mit der Legion und ihren Stolz, ihr anzugehören, zu zeigen. In Algerien wurde nach mehreren Jahren Krieg Zivil jedoch toleriert, um eine unnötige Konfrontation mit der Zivilbevölkerung zu vermeiden, die die Uniformen der Unterdrücker als Provokation empfinden könnte.

      Harry genoss den Rummel. Die einladenden Cafés und Kneipen in Kasernennähe lockten. Andree versuchte die Kameraden zu überreden, weiterzugehen. „Ich habe einen Geheimtipp. Das El-Jazair Royal. Dort gibt es tolle Musik und vor allem die schönsten Frauen Nordafrikas. Aber Superfrauen und keine Nutten, so wie hier.“

      Zwei Kameraden wollten nicht weiter. Sie strebten zu einer Kneipe mit fantastischen orientalischen Ornamenten in allen Farben bemalt und einer roten Laterne vor der Tür. Es war offensichtlich ihr Stammlokal, sie kannten sich dort aus, sie kannten die Frauen und es war ihnen recht so. Zu viert zogen die anderen weiter.

      Harry staunte, als sie durch ein kleines Villenviertel gingen. Protzige Villen im Kolonialstil, alle umgeben von einer halbhohen Mauer. Die Mauern waren etwa alle zwei Meter nach Geschmack der Besitzer unterschiedlich geschmückt mit kleinen Türmchen, stilisierten Ornamenten, Sternzeichen oder auch Engelsfiguren. Kunstvolle schmiedeeiserne Tore verwehrten Fremden den Einlass zu den meist mit protzigen Säulen versehenen Haupteingängen. Aus den Gärten wehte ein zarter, aphrodisierender Duft von den üppigen Blüten der Blumenpracht. Orangen-, Zitronen-, Feigenbäume und wunderschöne Dattelpalmen wechselten sich mit der blühenden Pracht ab. Fast übergangslos kamen sie dann durch einige Gässchen eines Berberviertels, so schmal, dass sie gerade zu zweit nebeneinander gehen konnten. Die Gassen waren zum Teil völlig ungepflastert oder mit grobem Kopfsteinpflaster versehene Berg- und Talbahnen. Zu beiden Seiten standen aneinandergefügt die Häuser, meist schäbig, mit tiefen Mauerrissen zwischen den groben Felssteinen, abgeblätterter Farbe und kleinen Türen und Fenstern, die alle verriegelt und verrammelt waren. Abrupt traten sie aus diesem etwas deprimierenden Viertel auf eine mit Palmen geschmückte Hauptstraße, eine prächtige breite Allee. Der Verkehr darauf beschränkte sich auf wenige Autos und einige elegante Pferdekutschen. Dann standen sie vor dem vornehm wirkenden, mit kunstvollen orientalischen Ornamenten umrankten Haupteingang des El-Jazair Royal. Vorbei an einem riesigen in operettenhafter Generaluniform gekleideten Portier betraten sie einen mittelgroßen Saal. Mehrere geradezu königlich vornehm wirkende Kronleuchter verbreiteten eine strahlende und doch angenehme Helligkeit. Im Saal war es leicht verräuchert, aber alles war überlagert von einem facettenreichen Duft vieler und offensichtlich edler Parfums. Gesprächsfetzen und Lachen wehten von den Tischen und den Paaren auf der Tanzfläche herüber. Der angenehme Geräuschpegel wurde von einer kleine Kapelle dominiert, die auf einem Podium in der Ecke des Saales sehr gekonnt Tanzmusik spielte. Sie fanden einen kleinen Tisch und bestellten. Andree trank Supernova, die beiden anderen Jungs, wohl animiert von der vornehmen Atmosphäre, bestellten eine Flasche Champagner. Harry blieb bei seinem Mineralwasser.

      Sie sahen sich um. Mein Gott, die Frauen waren wirklich wunderschön. Die meisten Gäste waren aber offensichtlich Paare. Die Männer waren unterschiedlich gekleidet. Teilweise sportlich, lässig, ähnlich wie die vier Legionäre in ihrer Zivilkluft. Einige elegante Typen trugen Abendgarderobe, meistens in Weiß. Sie wirkten sehr elegant. Genauso wie einige Algerier in ausgesuchter Berbertracht aus schneeweißer Seide. Ein paar Offiziere der regulären französischen Armee in Ausgehuniform nahmen sich dagegen fast wie Fremdkörper aus.

      Die holde Weiblichkeit, so weit Harry sich auch umsah, war wunderschön. Oder war es nur die tolle feierliche Beleuchtung, oder vielleicht auch die hohe Kunst des Schminkens? Aber es waren alles Paare. Nein, zum Glück doch nicht. Ein wenig entfernt, in der Nähe des Podiums für die Kapelle, sah Harry zwei kleine Tische mit jungen Frauen, die scheinbar solo waren. Misstrauisch fragte er Andree: „Schau mal da drüben, sind das vielleicht Bordsteinschwalben, die auf Kundschaft warten?“

      Andree lachte: „Nein, ganz sicher nicht, das hier ist ein vornehmes Lokal in erster Linie für Paare, meisten wirklich Ehepaare. Hier kommen nicht einmal Edelnutten zur Ausübung ihres Berufes rein. Dagegen würden sich die Damen, ob verheiratet oder ledig, schon wehren. Geh doch ruhig mal rüber, versuch dein Glück, fordere eine zum Tanz auf.“

      Harry überwand seine Unsicherheit und stand auf. Andree hielt ihn noch einmal zurück: „Eines solltest du allerdings bedenken: Alle Einheimischen, vor allem die jungen, egal, ob Mann oder Frau, sympathisieren mit den Rebellen. Also sei vorsichtig.“

      Harry schlenderte zu den beiden Tischen mit den sechs oder sieben hübschen Frauen. Als er etwas näher kam, sah er nur noch eine. Ihm stockte der Atem. Mein Gott, das war wirklich die schönste Frau, die er je in seinem Leben gesehen hatte. Glänzendes, schulterlanges, blauschwarzes Haar. Die Haut wie Samt und wie heller Milchkaffee. Dunkelbraune, intensiv strahlende Augen. Nein, nicht nur braun, da war noch ein glänzender grünlicher Schimmer. Eine überraschend schmale Nase über einem sinnlichen, etwas breiten Mund. Die roten Lippen so verlockend, dass Harry unwillkürlich an die verbotene Frucht, den Apfel im Garten Eden, denken musste. Dieses Wunder von einer Frau trug ein ärmelloses rotes Kleid mit einem dezenten Ausschnitt. Doch so dezent der Ausschnitt auch war, deutete er doch einen formvollendeten üppigen Busen an, der sich darunter verbarg. Harry war einen Moment staunend und ein wenig fassungslos stehen geblieben. Doch jetzt gab er sich einen Ruck. Da schlängelte sich elegant ein hochgewachsener Berber in einer eleganten weißen Djellaba an ihm vorbei und forderte dieses Wunder zum Tanz auf. Das Wunder schaute einen Sekundenbruchteil zu Harry und ließ ein kleines Lächeln aufblitzen. Harry bildete sich ein, es sei ein bedauerndes Lächeln. Aber erst einmal