Harrys geträumtes Leben. Hans H. Lösekann

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Название Harrys geträumtes Leben
Автор произведения Hans H. Lösekann
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783957442116



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Po, der sich dezent unter dem Kleid abzeichnete, und traumhaft schöne Beine in roten hochhackigen Schuhen. Von den Beinen, die Harry sofort als traumhaft eingestuft hatte, sah er zwar nur die Waden, aber auch die versprachen viel.

      Erneut gab er sich einen Ruck. Du kannst hier nicht wie eine erstarrte Salzsäule stehen bleiben. Möglichst unauffällig machte er einen kleinen Kurswechsel und forderte die nächste Dame zum Tanzen auf. Mit einem unverkennbar amüsierten Lächeln ging sie mit Harry zur Tanzfläche. Nach den ersten Tanzschritten lächelte sie ihn erneut an, wieder amüsiert und auch gleichzeitig herausfordernd. Dann zwitscherte sie: „Sei ehrlich, Fremder, du wolltest gar nicht mit mir tanzen, du wolltest Yamalia auffordern. Du hattest doch nur Augen für sie.“

      Harry gab sich entrüstet: „Natürlich wollte ich mit dir tanzen. Ich weiß doch gar nicht, wer Yamalia ist.“

      „Komm, schwindle nicht. Den ganzen Weg zu unserem Tisch hast du sie fasziniert angestarrt. Yamalia ist meine Freundin, die neben mir saß und die dir ein anderer weggeschnappt hat, weil er etwas schneller war. Aber ich kenne das und bin es gewohnt, dass alle begeistert von ihr sind. Schließlich ist sie unsere Schönheitskönigin. Also nicht nur unsere, sondern die einzige, die echte, die wahre. Yamalia ist die offizielle Miss Algeria des letzten Jahres. Aber mach dir keine großen Hoffnungen. Yami macht sich nicht viel aus Fremden.“

      Mit lockerem Geplauder drehten sie sich weiter. Harry bemühte sich, allerdings ohne großen Erfolg, auch über andere Themen als Yamalia zu sprechen. Nach drei Tänzen endete das Set und sie schlenderten langsam zum Tisch zurück. Harrys Wunder hatte sich gerade wieder gesetzt, als er sich dankend vor seiner Tanzpartnerin verbeugte. Wieder blitzte von, wie er ja nun wusste, der Schönheitskönigin ein kleines Lächeln auf. Hinterher war Harry erstaunt über seinen Mut, aber dieses kleine aufblitzende Lächeln bracht ihn dazu, spontan zu fragen: „Würden Sie den nächsten Tanz für mich reservieren, Yamalia?“

      Sekundenlang blickte sie ihn mit ihren wunderschönen Augen erstaunt an. Dann kam ein herzliches, freimütiges Lächeln. „Ja, gerne.“

      Harry war selbst erstaunt über seinen Mut und vor allem über seine Spontaneität. Das war sonst nicht seine Stärke. Mit dem guten satten Gefühl, der Anfang sei gemacht – du warst ja richtig gut –, schlenderte er zu seinem Tisch zurück. Andree sah ihn verschmitzt lächelnd an. „Na, Harry, du hast doch nicht etwa Feuer gefangen?“

      Jovialer als nötig und als wahrhaftig lachte er seine Verlegenheit weg. Dann meinte er ziemlich leise: „Na ja, sind schon verdammt hübsche Mädchen.“

      „Ja, Harry, das sind sie, aber vergiss nicht, vergiss nie, wir sind hier in Feindesland. Die Mädels sind hübsch. Vielleicht bist du ihnen auch wirklich sympathisch, aber in erster Linie sind sie Töchter ihres Landes, sind sie Sympathisanten der Freiheitskämpfer – und du bist der Feind.“

      Irgendetwas in Harry war schizophren. Er wusste, dass die sachlichen Argumente von Andree richtig waren. Aber nichts, absolut nichts auf der Welt hätte ihn davon abhalten können, alles, und zwar wirklich alles zu versuchen, um dieses Wunder Yamalia näher kennenzulernen. Gebannt starrte er zur Kapelle. Als er sah, dass die Musiker ihre Instrumente ergriffen, sprintete er los. Rechtzeitig beim ersten Ton stand er vor seinem Wunder. „Darf ich bitten?“ Alle Gedanken waren ausgeschaltet, als Harry, ihren Arm in seinem verspürend, zur Tanzfläche schritt.

      Als sie die ersten Tanzschritte machten, waren da nur noch solche Gedanken: Mein Gott, ist die schön, aber du musst was sagen. Du kannst nicht stumm sein wie ein Ölgötze. Sag was! Ihm fiel nichts ein. Er spürte sie nur. Sie lag in seinen Armen, er war selig, aber ihm fiel nichts ein. Bevor es peinlich wurde, platzte er heraus: „Yamalia, du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Du bist, ja, du bist ein Wunder.“

      Aus seinem Wunder platzte ein spontanes, schallendes Gelächter heraus. Obgleich ein solches Gelächter auf der Tanzfläche etwas unpassend war, sah Harry sie nur verzaubert an.

      „Also, weißt du, Fremder, schöne Frauen haben wir hier sehr viele. Wie meine Freundin mir sagte, weißt du inzwischen, dass ich letztes Jahr zufällig Schönheitskönigin geworden bin. Das hat nichts zu bedeuten. Das hätten genauso gut hundert andere werden können. Aber wer bist du?“

      Irgendwo im Hintergrund meldete sich Harrys Gehirn. Es schellten die Alarmglocken. Denk dran, was Andree dir gesagt hat. Wenn du bei diesem Wunder was erreichen willst, kannst du dich nicht als Feind und Unterdrücker offenbaren. Außerdem könnte es gefährlich werden, wenn sie mit den Rebellen zu tun hat. Die sind fanatisch und erbarmungslos.

      „Ach, ich bin nur ein deutscher Soziologiestudent. Ich möchte gerne etwas über euer Land kennenlernen, über eure Probleme, eure Gedanken, eure Gefühle. Jedenfalls war das bis vorhin so. Jetzt aber möchte ich nur noch dich kennenlernen, die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Yamalia, du bist wunderbar …“

      So ging es auch bei den nächsten beiden Tanzsets weiter. Harry baggerte, so gut er es konnte. Er wusste gar nicht, wie gut er es konnte, er übertraf sich selbst.

      „Harry, mir ist heiß und ich habe Durst.“

      Lachend und Arm in Arm schlenderten sie durch das Gewühl festlich und farbenfroh gekleideter Menschen, inmitten einer Atmosphäre fröhlicher, feiernder Menschen verschiedenster Nationalitäten. Wer könnte in diesem Saal, in dieser Stimmung glauben, dass unweit dieser Umgebung Hass, Gewalt und bitterste Armut dominierten.

      Mit strahlenden Augen nahm Yamalia ein Glas perlenden Champagner entgegen. Harry prostete ihr mit einem Glas Mineralwasser zu. „Auf dich, die schönste Frau, die ich je gesehen habe, und vielleicht auch auf uns beide. Ich möchte dich so gerne ein wenig näher kennenlernen.“

      Yamalia sah ihn einen Moment ernst mit ihren wunderschönen Augen an, unergründlich tief und von dunkelbraun bis intensiv grün schimmernd wie ein Gebirgssee im Sonnenschein. Durstig tranken sie. Dann lachte sie auf. Ihre strahlend weißen Zähne waren wie ein Sternenkranz in dem Goldglanz ihrer Haut. Diese Haut in der Farbe wie Kaffee, in den man großzügig dicke weiße Sahne gerührt hatte. Ihre Lippen waren voll, von dunklem Rot und schimmerten feucht. Einen Moment lang wurde sie wieder ernst. „Ja, vielleicht könnten wir uns kennenlernen.“ Dann kam wieder ihr perlendes Lachen. „Sag mal, Harry, spielen wir hier verkehrte Welt? Ich bin Moslem und trinke Champagner und du trinkst Wasser. Oder bist du ein deutscher Moslem? Ich glaube ja auch nicht, dass Allah etwas dagegen hat, eine so schöne Atmosphäre und eine so fröhliche Stimmung mit einem Glas Champagner noch etwas zu verschönern.“

      Harry versuchte, sein Wunder nicht allzu auffällig anzuschmachten. „Nein, ich vertrage einfach keinen Alkohol“, meinte er kurz, um dann wieder ein bisschen zu baggern: „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Allah der Welt eine so schöne Frau schenkt, um dann bei einem Glas Champagner kleinlich zu sein.“

      „Danke, das hast du schön gesagt. Könnte ich dann vielleicht noch ein zweites Glas haben?“

      Harry brachte ihr ein neues Glas und sah sie fasziniert an, als sie mit sichtlichem Genuss trank. Ihr leicht gewelltes Haar war tiefschwarz und schimmernd, sodass es aussah, als fiele ein Vorhang aus Onyx auf ihre Schultern. Auch ihre langen Wimpern und ihre weich geschwungenen Augenbrauen zeigten dieses tiefe Schwarz. Ein schwarzer Panther, so schoss es Harry durch den Kopf. Er hatte vor einiger Zeit diese Großkatzen bei Hagenbeck in Hamburg bewundert. Die geschmeidigen Bewegungen und die rassige Schönheit Yamalias weckten Erinnerungen daran.

      Locker plauderten sie miteinander. Yamalia studierte Literatur an der Universität von Algier. Sie sprach begeistert von ihren Lieblingsautoren und fragte Harry wiederholt, ob er dieses oder jenes Buch von diesem oder jenem Autoren kenne. Fast immer musste Harry passen. „Nein, ich interessiere mich mehr für die Menschen selbst, für ihr Verhalten, für das, was sie gerne leben möchten, und für das, was sie aufgrund der Lebensumstände oft leben müssen. Eigentlich ist das ja erst mein Vorstudium. Ich versuche, Menschen, Umstände, Mentalitäten kennenzulernen. Mein eigentliches Studium beginnt erst in einigen Monaten. Ich habe mich um einen Studienplatz in Valencia in Spanien beworben“, meinte er, um wenigstens teilweise die Wahrheit zu sagen.

      Zwischendurch strebten sie immer wieder zur Tanzfläche