Der Pfeiler der Gerechtigkeit. Johanna von Wild

Читать онлайн.
Название Der Pfeiler der Gerechtigkeit
Автор произведения Johanna von Wild
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783839268988



Скачать книгу

sie eine Rippe nach der anderen ab. Hörbar sog Simon die Luft zwischen den Zähnen ein, hielt aber still.

      »Nur die Letzte ist wahrscheinlich gebrochen. Du kannst dich wieder anziehen. Arnikasalbe wird die Pein lindern. Ich werde später nach dir sehen und sie dir bringen«, sagte sie und wandte sich zur Tür.

      »Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll«, stammelte Simon.

      »Wer an seinem Nächsten vorübergeht, geht auch an Gott vorüber. Das hat einst Martin Luther gesagt.« Damit ließ sie ihn allein und verschloss die Tür.

      Simon blieb grübelnd zurück. Bedeuteten die letzten Worte, dass die Sterzings Protestanten waren? Und wenn schon. Teresa war ein netter und hilfsbereiter Mensch. Was kümmerte es ihn, ob sie protestantisch war oder der alten Lehre anhing. Bernbeck dagegen ging zwar zur Beichte, aber einen angenehmen Zeitgenossen machte dies wahrhaftig nicht aus ihm.

      *

      Die Zunft trat nur alle vier Wochen zusammen. Heute war es wieder so weit. Die Zunftmitglieder würden neben anderen Dingen auch über die Zukunft Simon Rebers entscheiden.

      Teresa Sterzing hatte sich bei ihrem Ehegatten noch am selben Abend für den Jungen starkgemacht. Mit ihrer Beichte, was oder vielmehr wer sich unter ihrem Hausdach befand, hatte sie gewartet, bis sie in ihre Schlafkammer gegangen waren.

      »Wie stellst du dir das vor? Simon muss zurück zu seinem Stiefvater. Auf keinen Fall wird er hierbleiben. Außerdem bin ich als sein Bürge verpflichtet, ihn zurückzubringen.«

      »Und wenn Bernbeck ihn noch übler zurichtet als dieses Mal? Was dann? Ich würde mich schuldig fühlen, wenn Simon etwas Ernsthaftes geschieht. Zumal Wulf ihn auch nicht leiden kann. Zwei gegen einen, Konrad.«

      »Er war in der Apotheke, ich habe das blaue Auge gesehen, Teresa, aber er hatte nur eine kräftige Ohrfeige bekommen«, winkte der Apotheker ab. »Und wenn du mich fragst, hatte er sie auch verdient.«

      »Bernbeck hat ihm die Nase und eine Rippe gebrochen. Simon kann von Glück sagen, dass es nur die eine war. Seine Nase hat er selbst wieder gerade gerückt. So wie sein unterer Rücken aussieht, bin ich sicher, Bernbeck hat ihm in die Nieren getreten. Auf die Frage, ob sein abgeschlagenes Wasser jetzt rötlich gefärbt ist, wurde er verlegen, bejahte aber. Ich möchte mir nicht ausmalen, was sein Stiefvater mit ihm anstellt, wenn er zurückkehrt.«

      Sterzing verzog das Gesicht und blies hörbar die Luft durch die Nase. »Ich gebe zu, Bernbeck hat es mit seiner Bestrafung übertrieben.«

      Teresa Sterzing setzte sich auf das gemeinsame Bett, hob die Hände hinter den Kopf und löste ihre Flechten. Sie wusste, Konrad konnte sich nie daran sattsehen, wenn ihre Haarpracht wie eine schwarze Flut über ihre Schultern floss, fast bis hinab zu ihren Lenden. Auch dieses Mal verfehlte ihr Tun seine Wirkung nicht. Konrad schlang seine Arme um ihre schmalen Hüften und zog sie an sich.

      »Du bist immer noch so schön wie damals. Keinen Tag älter scheinst du geworden zu sein«, raunte er heiser und schob ihr das Unterkleid über den Kopf.

      Teresa überließ sich seinen Händen, bis er sie schließlich um die Körpermitte packte und sie auf den Rücken drehte. Heftig atmend sah er mit glänzenden Augen auf sie hinab. Teresa wusste, nun konnte sie alles von ihm haben, und hob ihm ihr Becken entgegen. Konrad stöhnte.

      »Warte, Liebster, noch nicht«, flüsterte sie, legte ihm die Hand auf die Brust und schob ihn von sich.

      »Teresa, du kleine Hexe, bitte«, bettelte Konrad und zog sie an sich.

      »Lass ihn hier. Simon, meine ich.« Sie leckte sich langsam über die Lippen, tastete mit ihren Händen nach Konrads Gemächt.

      »Ja, ja, alles, was du willst«, keuchte er.

      Als er in sie glitt, stieß sie ein glucksendes Lachen aus. Teresa wusste, wie sie ihren Willen bekam.

      Wer der Zusammenkunft der Zunft fernblieb, musste zwei Pfennige in die Zunftkasse zahlen, und zudem bekam er für acht Tage ein Backverbot auferlegt. Einzig wer ernsthaft krank war, wurde nicht mit einer Strafe belegt.

      Simon stand vor dem langen Tisch, an dem die beiden Zunftmeister saßen, Sebastian Schlichting, der die Weißbäcker vertrat, und Robert Wachter für die Roggenbäcker. Rechts und links von ihnen weitere Zunftgenossen, andere hatten sich an zwei in der Nähe stehenden Tischen verteilt. Heute hatte Simon keinen Blick für die fein gedrechselten Stühle mit ihren kostbaren Schnitzereien in den Lehnen, die das Backhandwerk darstellten. Zahlreiche Kerzen erhellten den Zunftsaal und tauchten ihn in ein warmes Licht. Auch Simons Bürgen hatten sich eingefunden, der Apotheker Konrad Sterzing und der Schreinermeister Johann Stamitz. Nach und nach füllte sich der Raum mit den letzten Zunftgenossen.

      Robert Wachter ergriff das Wort, als alle Platz genommen hatten, und das Scharren der Stuhlbeine auf dem Holzboden verstummte.

      »Heute werden wir darüber abstimmen, ob Simon Reber Lehrjunge bei Bäckermeister Melchior Bernbeck bleiben soll oder nicht. Melchior, ich erteile dir das Wort, lass uns hören, was sich zugetragen hat.«

      Bernbeck stand von seinem Platz auf. »Mein Lehrjunge Simon Reber, der auch mein Stiefsohn ist, hat sich in unziemlicher Weise benommen, während ich in meinem Haus Gäste bewirtete. Er hat meinen Sohn Wulf aufs Höchste beleidigt. Nachdem ich ihn dafür gerügt habe, ist er heimlich davongelaufen. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass jeder Lehrling auf das Zunftbuch schwört, nicht zu stören und nicht zu entlaufen. Simon hat sich beidem schuldig gemacht, und daher fordere ich seinen Ausschluss aus der Zunft.«

      Ein Raunen ging durch den Saal, als Melchior sich wieder hinsetzte.

      »Gibt es noch jemanden unter den Genossen, der dazu etwas sagen möchte?«

      Sebastian Schlichting hob die Hand und schob seinen Stuhl zurück. »Nur so viel: Unser geschätzter Meister Bernbeck hat mich aufgesucht, nachdem sein Lehrjunge entlaufen war. Er hat mir den Vorfall genauso geschildert und ihn mir als Zunftmeister angezeigt. Ich habe keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln.«

      Simon stand der Schweiß auf der Stirn. Wenn er ausgeschlossen wurde, was dann? Natürlich wollte er nicht zurück zu Bernbeck, andererseits, welcher Bäckermeister würde ihn annehmen, damit er seine Lehre beenden konnte?

      Unerwartete Hilfe kam von Lois, Schlichtings Geselle.

      »Der Junge kam in die Backstube meines Meisters. Von einer Rüge, wie Melchior Bernbeck behauptet, kann nicht die Rede sein. Simon ist schwer verprügelt worden. Das ist ein Vergehen seitens des Meisters, das nicht geduldet werden kann.«

      Alle Köpfe wandten sich Bernbeck zu, dessen Gesicht sich vor Zorn rötete.

      »Ein paar Ohrfeigen habe ich ihm verpasst, von verprügeln kann nicht die Rede sein. Wer weiß, mit wem er sich auf dem Weg zu Meister Schlichtings Haus angelegt hat? Mein Sohn Wulf kann ein Lied davon singen. Kaum ein Tag, an dem Simon nicht auf ihn losgegangen ist.«

      Lautes Stimmengewirr setzte ein, und Simons Beine begannen zu zittern. Melchior verdrehte die Tatsachen, und er, Simon, konnte nichts dagegen tun, außer die Wahrheit zu erzählen.

      »Junge, was hast du dazu zu sagen?«, wandte sich Wachter an ihn.

      »Ja, ich habe meinen Stiefbruder beleidigt, und ja, ich bin abgehauen, aber nur, weil ich Angst hatte, mein Meister schlägt mich tot. Und nein, ich bin keiner, der Händel sucht. Wulf hat immer den Streit angefangen.«

      »Aber du bist auch nachlässig, was keinen guten Lehrjungen aus dir macht. Warst du nicht bei mir und hast um Anstellgut gebeten, weil du es hast ausgehen lassen?«

      Simon ließ seine Augen durch die Menge gleiten, hoffte, den Gesellen Jörg zu entdecken, damit dieser ihm zu Hilfe kam. Jörg hatte gleich gewusst, wessen Schuld es gewesen war. Doch der Geselle war nirgends zu entdecken.

      »Aber Ihr wisst, dass das nicht wahr ist. Wulf hat den Sauerteigansatz …«, erwiderte Simon verzweifelt.

      »Es scheint, du schiebst deine Fehler immer auf andere«, schnitt Wachter ihm das Wort ab.