Der Pfeiler der Gerechtigkeit. Johanna von Wild

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Название Der Pfeiler der Gerechtigkeit
Автор произведения Johanna von Wild
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783839268988



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Soße und ließ es genießerisch zwischen seinen Lippen verschwinden.

      »Hmmm, wunderbar. Brauchst du noch Hilfe?«

      »Nein, nein, das schaffe ich schon. Nun geh, ich hab noch zu tun«, sagte sie und scheuchte ihn hinaus.

      Simon saß zwischen seiner Schwester und Sibylla, ihnen gegenüber Wulf, Julia und ihre Mutter, an den beiden Tischenden hatten der Apotheker und Melchior Platz genommen. Das Tischgespräch führten die beiden Männer, während die Übrigen sich wortlos Suppe, Fleisch und Gemüse munden ließen. Ab und an trafen sich Simons und Julias Blicke für nur einen Lidschlag lang, und jedes Mal durchzuckte Simon ein wohliger Schauer. Schon den ganzen Tag über fragte er sich, warum sein Stiefvater die Familie Sterzing eingeladen hatte, doch er fand keine Erklärung.

      »Nun, da meine liebe Frau verstorben ist, müssen die Mädchen mehr mithelfen«, sagte Bernbeck gerade. »Sie sind alt genug, um Berta zur Hand zu gehen. Je früher sie lernen, wie man einen Haushalt führt, desto besser.«

      Teresa Sterzing nickte zustimmend.

      »Julia musste auch schon früh mit anpacken. Jetzt ist sie fünfzehn und weiß, worauf es in einem Haushalt ankommt.«

      Melchior Bernbeck atmete tief durch.

      »Nun, da Ihr die Apotheke erwähnt. Mein Sohn Wulf hat den Wunsch geäußert, nicht in meine Fußstapfen treten zu wollen. Was mich einerseits betrübt, andererseits möchte ich seiner Zukunft nicht im Wege stehen.«

      Konrad Sterzing lachte leise.

      »Guter Meister Bernbeck, sicher wisst Ihr, dass Wulf bereits mit mir gesprochen hat. Ich habe über sein Ansinnen nachgedacht. Euer Sohn ist ein ausgesprochen höflicher junger Mann und nicht auf den Kopf gefallen. Allerdings gibt es sehr viele Dinge, die er zu lernen hat, um sich einmal Apotheker nennen zu können.«

      Simon blieb das Stück Fleisch, das er gerade hinunterschlucken wollte, beinahe im Hals stecken. Wulf möchte Apotheker werden? Wenn er dafür so viel Ehrgeiz an den Tag legt wie in der Backstube, sterben die Leute wie die Fliegen, wenn er die Arzneien nicht richtig abwiegt. Und von ›höflich‹ kann nicht die Rede sein.

      »Ich bin bereit, Tag und Nacht zu lernen«, beeilte sich Wulf zu sagen. »Ich bitte Euch, verehrter Apotheker, mir die Möglichkeit zu geben, Euch zu überzeugen.«

      »Nun, Wulf, wie ist es bei dir mit Lesen, Schreiben und Rechnen bestellt? Und Latein? Beherrschst du Latein?«

      »Ego … dabo … meum optimum«, erwiderte Wulf zögernd und sah Sterzing erwartungsvoll an.

      Dieser lachte dröhnend. »Du wirst dein Bestes geben. Ich sehe, dir ist es ernst. Gut, du sollst die Gelegenheit bekommen und bei mir anfangen. Nach einem Jahr werden wir weitersehen.«

      Wulfs Gesicht leuchtete freudig auf. »Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet. Ich … Ich weiß gar nicht, was ich noch sagen soll«, stammelte er.

      Simon wurde beinahe übel, als er sich vorstellte, wie Wulf täglich Julia beäugen konnte.

      »Dann ist es beschlossene Sache?«, wandte sich Konrad Sterzing an Melchior.

      »In der Backstube wird mir mein Sohn sehr fehlen, geschickt und fleißig, wie er ist. All die Arbeit nur mit einem Lehrjungen zu bewältigen wird schwer«, erwiderte der Bäckermeister seufzend.

      Unwillkürlich stieß Simon einen verächtlichen Laut aus, und alle Gesichter wandten sich ihm zu.

      »Simon, du scheinst anderer Meinung zu sein«, sagte der Apotheker und zog fragend eine Augenbraue hoch.

      »Seine Meinung ist nicht von Belang«, fauchte Wulf. »Er ist nur neidisch und gönnt mir nichts. Seit er hier aufgetaucht ist, macht er mir das Leben schwer.«

      Wütend stand Simon auf, die Hände auf den Tisch gestützt, neigte er sich nach vorn.

      »Elender Lügner! Du bist faul und taugst zu nichts. Wie oft schon habe ich deine Fehler ausmerzen müssen.«

      »Raus!«, donnerte Melchior. »Auf der Stelle! Wie kannst du es wagen, so über Wulf zu reden.«

      Simon zuckte mit den Schultern. »Weil es die Wahrheit ist, und du weißt es.« Damit machte er auf dem Absatz kehrt, stürmte aus der Stube und ließ die Tür hinter sich krachend ins Schloss fallen.

      *

      »Wulf? Wieso soll er in der Apotheke lernen?«, wagte Julia ihren Vater zu fragen, als sie nach Hause kamen.

      Sie war entsetzt gewesen, hatte kaum ihren Schrecken verbergen können. Schon beim Leichenschmaus nach der Beerdigung von Simons Mutter war ihr Wulf unangenehm aufgefallen. Seine schmalen, eng stehenden Augen hatten sie gemustert, als wäre sie ein Pferd, das er zu kaufen gedachte. Einmal hatte er es sogar gewagt, unter dem Tisch ihr Knie zu berühren.

      »Julia, ich brauche irgendwann einen Nachfolger in der Apotheke. Wulf ist jung und nicht glücklich damit, sein Leben als Bäcker zu verbringen. Das hat er mir gestanden. Er lernt eifrig Latein, und das zeigt mir, es waren nicht nur leere Worte, als er mich gebeten hat, ihn anzunehmen.«

      »Ich mag ihn nicht«, erwiderte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen.

      »Schluss damit, Julia. Wulf wird hier ausgebildet, ob es dir gefällt oder nicht. Er wird mit uns essen, aber schlafen wird er zu Hause, weil er keinen weiten Weg hat. Und du wirst dich benehmen und nett zu ihm sein.«

      »Aber …«

      »Julia, lass gut sein«, warnte ihre Mutter, »vielleicht lernst du ja, Wulf zu mögen, wenn du ihn besser kennenlernst. Er ist bestimmt kein schlechter Kerl.«

      »Kann nicht Simon anstelle von Wulf zu uns kommen?«

      Konrad Sterzing wechselte einen schnellen Blick mit seiner Frau und rollte die Augen. »Geh zu Bett, Julia, ich will nichts mehr davon hören.«

      Spät in der Nacht wurde Simon plötzlich aus dem Schlaf gerissen. Melchior packte ihn an den Haaren und schleuderte ihn gegen die Wand. Bevor Simon sich aufrappeln konnte, war der Bäckermeister über ihm und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Er hörte seine Nase krachen, Blut schoss heraus. Ein Schlag in den Bauch ließ ihn sich zusammenkrümmen, gefolgt von einem Tritt in die Nieren. Ein lauter Schrei entfuhr ihm, und die Esel begannen, unruhig zu wiehern. Weitere Schläge und Tritte hagelten auf ihn ein. Melchior Bernbeck war rasend vor Zorn.

      »Merk dir ein für alle Mal: Nie wieder wirst du dich in meinem Haus so benehmen!«

      Er schlägt mich tot, fuhr es Simon durch Kopf.

      Der nächste Hieb ließ alles schwarz werden.

      Wie lange er besinnungslos gewesen war, vermochte er nicht zu sagen, als er langsam wieder zu sich kam. Durch die Ritzen der Stalltür konnte er fahles Licht erkennen. Er erinnerte sich, dass Vollmond war. Mühsam wollte er sich aufrichten, doch sein Schädel schien bei jeder Bewegung zerplatzen zu wollen, und jede Handbreit seines Körpers schrie vor Schmerz. Stöhnend blieb er liegen. Selbst das Atmen tat weh, vermutlich hatte Bernbeck ihm eine Rippe gebrochen. Auch sein Sehvermögen war beeinträchtigt, das linke Auge war zugeschwollen. Ganz vorsichtig hob er die rechte Hand und fasste an seine Nase, spürte ihre Schiefe unter seinen tastenden Fingern. Simon schloss die Augen, nahm seine Nase zwischen die gekrümmten Zeige- und Mittelfinger. Mit einem beherzten Ruck richtete er das gebrochene Nasenbein und unterdrückte einen Schmerzensschrei.

      Seine Gedanken schwirrten. Keinen Tag wollte er hier länger bleiben. Aber was sollte er tun? Er könnte die Zunft anrufen. Meister Schlichting mochte ihn. Bestimmt würde er ihm helfen, eine andere Lehrstelle zu finden. Die Zunftordnung sah vor, dass bei übermäßiger Gewalt, zu langen Arbeitszeiten und Tätigkeiten, die mit der Ausbildung nichts zu tun hatten, ein Lehrling sich an das Schiedsgericht wenden konnte.

      »Bernbeck hat mich übel zugerichtet, und ich schufte jeden Tag zu lange. Zudem lässt er mich andere Arbeiten verrichten, wie sich um die Esel zu kümmern, nur weil er zu geizig ist, einen Knecht einzustellen. Nicht, dass ich die Esel nicht mag, aber all dies sollte ausreichen, von der Zunft einen anderen Lehrmeister zugeteilt