Der Pfeiler der Gerechtigkeit. Johanna von Wild

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Название Der Pfeiler der Gerechtigkeit
Автор произведения Johanna von Wild
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783839268988



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weil ich es gewagt habe, die Wahrheit über seinen lausigen Sohn auszusprechen. Das ist geschehen.«

      »Ich glaube dir, was du über Wulf gesagt hast. Die Worte kamen so plötzlich, dass sie einfach die Wahrheit sein mussten. Ich mag Wulf nicht, er ist zwar freundlich, aber er mustert mich, als ob ich ein Stück Vieh auf dem Markt wäre.«

      »Er sagt, ihr beide hättet sehr viel getanzt und er hätte dich geküsst …«

      Sie winkte ab. »Einen Tanz. Und der Kuss ist gelogen. Du warst nicht da, und ich habe dich vermisst. Warum bist du den Feierlichkeiten ferngeblieben?«

      Die dunklen Augen sahen ihn fragend an, und Simon glaubte sich in ihnen zu verlieren. Wie in tiefen ruhigen Seen.

      »Wir hatten Streit, Wulf und ich. Nicht zum ersten Mal. Bernbeck kam dazu und hat mir befohlen, die Arbeit allein zu machen, und verboten, zur Feier zu gehen.«

      Mitfühlend nahm sie seine Hand. Warm und tröstlich fühlte sie sich an. Es tat gut.

      »Was hast du nun vor?«, fragte sie und strich sich eine Locke hinter ihr linkes Ohr.

      »Ich werde den Zunftmeister anrufen, vielleicht kann er mir helfen. Er war nicht in seiner Backstube, der Geselle sagte, ich solle morgen wiederkommen.«

      »Und bis dahin? Wo willst du bleiben? Du wirst doch sicher nicht nach Hause wollen.«

      Immer noch hielt sie seine Hand, und er wünschte, sie würde nie wieder loslassen.

      »Irgendwo werde ich ein Plätzchen zum Schlafen finden, gut, dass es nachts nicht mehr so kalt ist.«

      Mit ihrer Linken zupfte sie an ihrer Unterlippe. Dann strahlte sie ihn plötzlich an. »Komm mit«, sagte sie. »Ich bringe dich auf unseren Dachboden, dort bewahren wir die Vorräte auf und trocknen die Kräuter.«

      »Damit handelst du dir viel Ärger ein, Julia. Ich komme schon zurecht.«

      »Das lass mal meine Sorge sein. Nun komm schon.« Sie packte seine Hand fester und zerrte ihn hinter sich her.

      »Und wie sollen wir ungesehen an deinem Vater vorbeikommen?«, zischte er.

      »Es gibt eine Außentreppe«, entgegnete sie augenzwinkernd.

      Während Julia Simon ein behagliches Plätzchen in einer Nische auf dem nach Kräutern und Gewürzen duftenden Dachboden einrichtete, eilte Melchior Bernbeck durch die Gassen der Stadt. Sein Weg führte ihn am Ziehbrunnen vor dem Rathaus mit dem gewaltigen Grafeneckart vorbei. Der Turm beherbergte Glocken, die bei Sturm und Feuer geläutet wurden, um die Bürger zu warnen, und tief in seinem Inneren befand sich das Lochgefängnis. Im Wenzelsaal, im Seitenflügel des Turms, fanden die Ratsversammlungen statt, und just in dem Augenblick, als die Turmuhr elfmal schlug, öffnete sich die Tür. Die Ratsherren traten hinaus in die Sonne, lüpften die Hüte zum Abschiedsgruß und zerstreuten sich. Melchior entdeckte die gedrungene Gestalt des Zunftmeisters und rief: »Sebastian, das trifft sich gut, ich war auf dem Weg zu dir.«

      Schlichting rückte seine Kopfbedeckung zurecht. »Was kann ich für dich tun?«

      Bernbeck zog ein missmutiges Gesicht.

      »Mein Lehrjunge ist wie vom Erdboden verschluckt. Dieser elende Bengel bringt mir nur Ärger ein.«

      »Lass uns ein paar Schritte gehen, mir schmerzt der Rücken nach dem langen Sitzen auf den Ratsstühlen«, schlug der Zunftmeister vor. »Hast du eine Ahnung, warum er sich aus dem Staub gemacht hat?«

      »Ich habe ihn bestraft, weil er Wulf vor meinen Gästen unmöglich gemacht hat. Einen Lügner und Taugenichts hat Simon ihn genannt. Es steht ihm nicht zu, über meinen Sohn so zu reden. Und dies auch noch vor anderen.«

      Schlichting hob die Augenbrauen. »Und wegen einer Ohrfeige ist er abgehauen?«

      »Zwei. Zwei Ohrfeigen«, Bernbeck grinste schief. »Ich wollte dir als Zunftmeister sein nicht hinnehmbares Verhalten anzeigen. Wenn er wiederauftaucht, wünsche ich, dass er aus der Zunft ausgeschlossen wird.«

      Schlichting seufzte. »Ich nehme deine Anzeige zur Kenntnis, du weißt, die gesamte Zunft hat darüber zu entscheiden, nicht nur ich. Aber erzähl mir, was genau sich zugetragen hat.«

      Zwischen all den Trockengestellen, Korbgefäßen, Krügen und Schränkchen mit Schubladen war Simon, den Kopf an einen Balken gelehnt, eingenickt. Plötzlich schrak er hoch, als er Schritte auf der knarrenden Holztreppe hörte, die zum Dachboden führte. Es gab keinen Schlupfwinkel, wo er sich hätte verstecken können, und so atmete er ganz flach und rührte sich nicht.

      Teresa Sterzing kam auf den Dachboden, leise vor sich hinmurmelnd.

      »Lavendel, Borago, was noch? Süßholz.«

      Simon hörte, wie eine Schublade aufgezogen und wieder zugeschoben wurde, gefolgt vom leisen Rascheln getrockneter Kräuterbündel. Staub kitzelte seine Nase. Er hielt den Atem an. Der Schmerz in seiner rechten Seite nahm zu, dafür verschwand der Niesreiz. Simon schickte ein stummes Dankesgebet zum Himmel.

      »Ah, bist du endlich in die Falle gegangen«, sagte Teresa, Befriedigung lag in ihrer Stimme. »Du warst eine schlaue Maus, aber nicht schlau genug. Dem vergifteten Speck konntest du dann doch nicht widerstehen.«

      Julias Mutter öffnete das kleine Fenster im Giebel und warf das tote Nagetier hinaus. Mit Schwung schloss sie das Fenster, und der Luftzug wirbelte feinsten Kräuterstaub auf. Simon entfuhr ein kräftiges Niesen, sodass die Apothekerfrau mit einem spitzen Aufschrei herumfuhr.

      »Heiliger Jesus!«, stieß sie hervor, als sie Simon erblickte. »Wie kommst du denn hierher?«

      Simon kroch aus seiner Nische, krümmte sich erneut vor Schmerz und hielt sich die Seite.

      »Julia hat mich hierhergebracht«, presste er hervor, den Kopf zwischen die Schultern gezogen.

      Teresa Sterzing krauste die Stirn, wartete stumm auf seine Erklärung.

      »Ich war beim Zunftmeister, aber er war nicht da, und dann hatte ich gehofft, Euer verehrter Gatte, als mein Bürge, würde mir vielleicht helfen …«

      »Helfen? Wobei?«

      »Bitte, ich kann nicht mehr zurück. Bernbeck schlägt mich tot«, flehte Simon.

      Teresa ließ sich seufzend auf eine Holzkiste sinken. »Er hat dich sicher so zugerichtet, weil du seinen Sohn vor aller Augen gedemütigt hast.« Sie erwartete keine Antwort. »Das hast du dir selbst eingebrockt.«

      »Ich weiß, aber ich habe nur die Wahrheit gesagt. Wulf ist faul, und gewalttätig ist er auch. Wie sein Vater«, erwiderte Simon zerknirscht und lehnte sich vorsichtig an die Wand.

      »Und was, denkst du, soll ich jetzt tun?«

      »Ich werde verschwinden. Alles, um was ich Euch bitte, ist, vergesst, dass Ihr mich gesehen habt.«

      »Unsinn. Wo willst du denn hin, und was glaubst du, wie weit du ohne Geld kommst? Nichts da, du bleibst hier, und ich versuche, eine Lösung zu finden.«

      »Wirklich? Ihr wollt mir helfen?«

      Teresa lächelte und deutete ein Kopfnicken an.

      »Warum wollt Ihr das tun? Euer Gatte wird nicht begeistert sein.«

      »Du bist ein guter Junge, Simon, und meine Tochter mag dich sehr. Und ich dich auch. Dein Bruder behagt mir nicht …«

      »Stiefbruder. Wulf ist mein Stiefbruder.«

      »Ja, dein Stiefbruder. Mir gefällt nicht, wie er Julia beäugt. Und wie er Konrad dazu gebracht hat, ihn als Apothekerlehrling anzunehmen …« Sie zuckte mit den Schultern. »Zieh dein Hemd aus. Dass du Schmerzen hast, ist nicht zu übersehen.«

      Vorsichtig und mit zusammengebissenen Zähnen zog Simon sich das Hemd über den Kopf und drehte ihr seine rechte Körperhälfte zu. Die Apothekerfrau stand auf und beäugte den dunklen rotblauen Fleck auf Simons Haut.

      »Darf ich?«, fragte sie und streckte die Hand aus, um ihn zu berühren. »Keine