Der Pfeiler der Gerechtigkeit. Johanna von Wild

Читать онлайн.
Название Der Pfeiler der Gerechtigkeit
Автор произведения Johanna von Wild
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783839268988



Скачать книгу

Julius Echter erfreute sich an der Bestätigung seines Amtes durch den Papst. Eine weitere Gesandtschaft war, vier Wochen nach dem Aufbruch der ersten nach Rom, zu Kaiser Maximilian nach Prag gereist. Es würde wohl noch dauern, bis er auch seitens des Kaisers seine Anerkennung erhielt.

      Julius Echter schlief wenig und arbeitete viel. Das ganze Bistum litt seit Jahren unter unfähigen oder faulen Männern und hatte einen immensen Schuldenberg angehäuft. Das riesige Gebiet reichte bis an die Landgrafschaft Hessen im Norden, erstreckte sich nach Osten bis zum Hochstift Bamberg und nach Westen bis zum Neckar. Im Süden grenzte es an die Fürstpropstei Ellwangen. Unterteilt war das Bistum in zehn Archidiakonate und diese wiederum in Landkapitel mit ihren Pfarreien.

      Es wurde Zeit, Ordnung zu schaffen. Nahezu täglich erließ Echter neue Gesetze und Verordnungen, und oftmals erschien er ohne Ankündigung in den Amtsstuben, um sich zu vergewissern, ob die Amtsleute sich an die Neuerungen hielten und sie umsetzten. Dank ihm wurden wieder peinlich genau Akten geführt, nachdem diese Arbeit jahrelang vernachlässigt worden war. Der junge Fürstbischof bestimmte die Arbeitszeiten und verfügte, die Amtmänner dürften keinerlei Geschenke oder Gefälligkeiten annehmen. Aus gutem Grund. Viel zu lange hatten seine Vorgänger es durchgehen lassen, dass manche Domherren reiche Pfarreien an ihre Verwandten vergaben oder gar verkauften. Es wurde Zeit für Julius, sich zum Priester weihen zu lassen, um nicht nur in den Amtsstuben für Ordnung zu sorgen, sondern auch in den Archidiakonaten. Doch er würde damit warten, bis er die Bestätigung des Kaisers für sein fürstliches Amt erhielt.

      »Exzellenz, neue Schriften sind angekommen«, berichtete Johann Voit von Rieneck, »und der Zimmermeister wünscht Euch zu sprechen.«

      Julius Echter unterbrach seine Aufzeichnungen und legte die Feder beiseite. »Nur herein mit ihm. Die Schriften lasst zur Hofbuchbinderei bringen.«

      Kurz nach seinem Amtsantritt hatte der Fürstbischof begonnen, die Hofbibliothek zu erneuern, da sie ein Jahr zuvor ein Raub der Flammen geworden war. Seither arbeiteten Steinmetze und Zimmermänner daran, den zerstörten Südflügel der Burg wiederaufzurichten. Echter kaufte keine Bücher, stattdessen ließ er sich gedruckte Seiten von den Messen liefern, welche seine Buchbinder in Bänden zusammenfügten, denn Julius war ein Schöngeist und wollte einheitlich aussehende Bände. Gebunden zwischen hölzernen Deckeln, überzogen mit hellem, fast weißem Schweinsleder, die Buchrücken mit goldenen Lettern und Jahreszahlen versehen und die Buchdeckel geprägt mit dem Wappen der Echterfamilie, sahen die Bücher wahrhaftig fürstlich aus. Einer der Buchbinder hatte sich mächtig ins Zeug gelegt, um eine der begehrten Stellen im fürstbischöflichen Haushalt zu bekommen.

      Gregor Schenks ungewöhnliches Buch hatte den Fürstbischof verzückt. Zwischen zwei kreisrunden, mit Kalbsleder bezogenen und mit Ornamenten verschönerten Holzdeckeln befanden sich Drucke in lateinischer Sprache, unter anderem De Sacramentis Ecclesiae. Die Deckel waren geviertelt und konnten unabhängig voneinander aufgeklappt werden, und der umlaufende Goldschnitt der Seiten war mit Blumenranken und den Wappen der Stadt und der Familie Echter verziert. Zwischen den Ranken konnte man die Gestalt des Bischofs erkennen, samt Stab und Schwert. Ein unglaubliches Kunstwerk.

      Julius hatte sich vorgenommen, die Festung Marienberg zu einer prachtvollen Residenz auszubauen und sie bis weit über die Grenzen des Hochstifts bekannt werden zu lassen. Jedermann sollte ihn, den Fürstbischof von Würzburg, für seine Bauwerke rühmen. Bauwerke von solcher Kunstfertigkeit und Pracht, wie er sie in Italien zu seiner Studienzeit gesehen hatte. Er brauchte nur noch einen geeigneten Baumeister für seine Vorhaben.

      »Was führt Euch zu mir, Meister Heber?«, fragte Julius, als der Zimmermann, den schwarzen krempigen Hut in Händen haltend, hereintrat.

      »Eure Exzellenz, soeben haben die Dachdecker die letzte Schindel aufgelegt. Wir können mit dem Innenausbau beginnen.«

      »Das sind gute Nachrichten, Heber«, ein seltenes Strahlen legte sich auf Echters Gesicht. »Ich werde den Hofkämmerer und den Hofmeister benachrichtigen, sie sollen sich um alles kümmern. Doch nun lasst mich Euer Werk betrachten.«

      Die Zimmerleute, Dachdecker und Steinmetze hatten gute Arbeit geleistet. Der Südflügel war größtenteils wiederhergestellt, in welchem Echters Hofbibliothek Einzug halten sollte. Der Fürstbischof nahm Meister Heber beiseite.

      »Ich habe vor, die Burg weiter auszubauen. Ein fürstliches Schloss soll daraus entstehen, dessen Pracht über ganz Würzburg und darüber hinaus erstrahlen soll. Ihr kommt viel herum, wart Ihr jemals in Italien und habt die Paläste und Kirchen dort gesehen? Für mein Vorhaben brauche ich Meister, die ihr Handwerk nicht nur verstehen, sondern es lieben wie ihr eigenes Kind.«

      »Ich bedaure, Exzellenz. Allerdings habe ich auf der Baustelle in der Grafschaft Schwarzburg gearbeitet, und ich kann mir vorstellen, was Ihr mit ›Pracht‹ meint. Graf Albrecht lässt in Rudolstadt die Burg zu einer Residenz ausbauen, ein Schloss mit drei Flügeln, mehrgeschossig mit unzähligen Fenstern, klaren Linien und hohen Bögen. Federführend ist der Baumeister Joris Robijn. Ein außerordentlicher Baumeister aus Flandern.«

      Julius Echter rieb sich den rötlich-braunen Bart. »Es scheint, ich habe genau den richtigen Mann gefragt. Nun, Meister Heber, es gibt hier genügend Arbeit für Euch, sofern Ihr nicht bereits einen anderen Auftrag in Aussicht habt.«

      »Das Angebot nehme ich gerne an, Eure Exzellenz.«

      »Dann ist es beschlossene Sache. Wir werden einen neuen Vertrag aufsetzen, sobald alle Arbeiten hier an Südflügel und Sonnenturm abgeschlossen sind.«

      Als Echter zurück in seiner Kanzlei war, gestattete er sich einen Moment der Ruhe und richtete seinen Blick auf das fein geschnitzte Kreuz an der Wand. Stumm hielt er Zwiesprache mit seinem Schöpfer, wie er es oft tat, um sich bei Gott zu vergewissern, das Richtige zu tun. War er nur prunksüchtig, und sein Stolz war die treibende Kraft hinter dem Vorhaben, die Festung zu erweitern? Nein. Die zukünftige Residenz sollte eben genauso über die Grenzen des Frankenlandes bekannt sein wie das Spital, das er zu gründen gedachte. Eine Einrichtung für Kranke, gleich, ob arm oder reich, ausgestattet mit den besten Ärzten. Ein Ort des Gesundens für alle, die von Krankheiten niedergestreckt wurden, und ein Ort, der auch nach seinem Tod sich auf ewig erhalten sollte. Ein großer Akt der Nächstenliebe, der ihm einen Platz im Himmel sicherte. Nur einen passenden Ort hatte er noch nicht dafür gefunden. In der Stadt war es zu eng für ein Vorhaben dieser Art. Doch das bereitete ihm keine Kopfschmerzen, er hatte in seinen jungen Jahren schon so vieles erreicht und zustande gebracht.

      Echters Gedanken schweiften zurück in die Vergangenheit. Vor seinem geistigen Auge erschien seine Heimat, Schloss Mespelbrunn. Ein fast verwunschener Ort in den Wäldern des Spessarts, gelegen in einem Tal und umgeben von einem durch den Krebsbach gespeisten Gewässer. Als er sechs Jahre alt gewesen war, hatten es sich seine Eltern in den Kopf gesetzt, die seit mehr als hundertfünfzig Jahren in Familienbesitz befindliche Burg wohnlicher zu machen. Aus dem eher finsteren, kalten Gemäuer war nach achtzehn Jahren Bauzeit ein verträumtes Wasserschloss aus gelbem Sandstein geworden. Er war der Zweitgeborene von insgesamt neun Geschwistern, und seine Mutter hatte manchmal darüber gescherzt, dass sie nur Knaben zustande brächte, nachdem der dritte Sohn geboren worden war. Doch sie sollte nicht recht behalten, Julius bekam noch vier Schwestern und einen Bruder.

      Echter liebte seine Familie über alles, und es war zunächst nicht einfach gewesen, als sein Vater ihn mit neun Jahren ins Kollegiatstift nach Aschaffenburg sandte. Die Trennung von seinen Geschwistern hatte ihm das Herz schwer werden lassen, doch die brüderliche Aufnahme in St. Peter und Alexander und die gemeinsamen Gebete halfen Julius über das Heimweh hinweg. Drei Jahre war er dortgeblieben, dann zog er nach Würzburg und zwei Jahre später nach Mainz, wo er dem Domstift angehörte. Im selben Jahr folgte er seinem älteren Bruder Adolf nach Köln, um die Jesuitenschule zu besuchen.

      Julius sog Wissen in sich auf wie ein Dürstender Wasser in der Wüste. Gemeinsam mit seinem Bruder Sebastian, der nur ein knappes Jahr jünger war, führte ihn sein Weg von Köln nach Flandern. Beide verschrieben sich dem Studium der Rechte. Unzertrennlich waren sie in den nachfolgenden Jahren gewesen, reisten von Flandern nach Frankreich und weiter nach Italien, um dort ihre Studien abzuschließen. Als sie schließlich zurückkehrten,