Der Pfeiler der Gerechtigkeit. Johanna von Wild

Читать онлайн.
Название Der Pfeiler der Gerechtigkeit
Автор произведения Johanna von Wild
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783839268988



Скачать книгу

teilten seine Hände den Teig in gleichmäßig dicke Stränge, die er mit der Füllung bestrich, und flocht daraus einen Zopf. Mit den restlichen Rosinen bildete er den Buchstaben ›J‹ auf der Mitte seines Werkes ab. Im Milchkrug befand sich noch ein Rest, den er auf die Oberfläche des Gebäcks strich, bevor er es in den Ofen schob.

      Am frühen nächsten Morgen spannte Simon die Esel vor den Karren, lud die Brotlaibe in Körben darauf, und in einem Leinenbeutel verstaute er seinen süßen Zopf. Seine Arme schmerzten noch von der harten Arbeit des vorigen Tages, ebenso wie die blauen Male an seinem Körper. Todmüde war er gestern auf sein einfaches Lager gesunken. Nachdem er die Brote in der Burg abgegeben hatte, wollte Simon sein süßes Backwerk zu Julia zu bringen. Wenn er schon nicht mit zu den Maifeierlichkeiten konnte, wollte er sie wenigstens damit überraschen. Kurz kamen ihm Zweifel, ob das Gebäck auch wirklich schmeckte, doch der Teig war gut gewesen, also was zum Teufel sollte schiefgegangen sein?

      Der steile Anstieg zur Festung ließ die Esel schnaufen, und Simon begann, in der Maisonne zu schwitzen. Die Luft war erfüllt vom Summen der Bienen, von Vogelgezwitscher und dem zarten Duft der Apfel- und Birnenblüten. Einen Augenblick hielt Simon inne, um sich umzusehen. An den Hängen blühten die Obstbäume in voller Pracht, der Main am Fuße des Marienberges glitzerte blausilbern, die Dachziegel der Häuser in der Stadt glänzten, und die Kreuze auf den Turmspitzen des Doms funkelten in der Sonne. Ob es noch ein schöneres Fleckchen Erde als dieses hier gab? Simon konnte es sich nicht vorstellen.

      Die Wachen ließen ihn durch, nachdem er ihnen die Brotkörbe gezeigt hatte. Er war nicht der Einzige, der Waren brachte. Weinhändler, Bierwagen, Jäger mit kürzlich erlegtem Wild, Metzgerkarren beladen mit deftigen Würsten und gepökeltem oder geräuchertem Fleisch. Fürstbischof Echter ließ es seinen Gästen an nichts fehlen, obwohl er bekannt dafür war, sich selbst meist zu kasteien. Julius Echter kniete lieber vor einem Altar, betete, um die Dämonen der Versuchungen zu vertreiben.

      Eine lange Wagenschlange hatte sich im Innenhof gebildet. In der lauen Frühlingsluft wartete jeder geduldig darauf, dass seine Waren Gnade vor den Augen des Hofmeisters fanden. Simon lehnte sich an den Karren, schloss schläfrig die Lider und dachte an Julia. Vor seinem inneren Auge erschien ihr von dunklen Locken umrahmtes Gesicht, und sie lächelte ihm zu.

      »Junge, lass sehen, was du hast«, riss ihn die schnarrende Stimme des Hofmeisters aus seinem Tagtraum.

      »Ja, Herr«, antwortete Simon und schlug eilig das große Leinentuch zurück, unter welchem sich die Körbe mit den Broten befanden.

      Der Hofmeister nahm eines der Brote heraus, befühlte die Kruste und roch daran. Zufrieden nickte er und legte den Laib auf eine Waage. Die römische Schnellwaage pendelte im Lot. Genau ein Pfund. Der Mann nahm noch drei weitere Brote aus den verschiedenen Körben, alle hielten der Prüfung stand.

      »Stell dich dort drüben an«, er wies mit dem Kinn auf eine weitere Schlange, »die Knechte werden abladen, und der Kämmerer zahlt dich aus.«

      Simon nahm die Zügel und führte seine Esel in die angegebene Richtung. Hinter ihm hörte er den Hofmeister aufstöhnen.

      »Glaubst du, Eure Exzellenz duldet, dass dieses Fleisch aufgetischt wird? Das ist gerade gut genug für die Hunde!«

      »Aber Herr, mein Meister …«

      Der Rest ging im Stimmengewirr unter, als Simon sich weiter vom Hofmeister entfernte. Er musste nicht lange warten, denn die Knechte arbeiteten schnell und entluden die Karren in Windeseile. Der Kämmerer saß hinter einem Tisch, vor ihm eine Liste, auf der er akribisch alles aufzeichnete.

      »Der Nächste.«

      Kurz sah der Mann mit dem Spitzbart hoch.

      »Was bringst du?«

      »Zwanzig Brotlaibe, Herr.«

      »Wer ist dein Meister?«

      »Melchior Bernbeck, Herr.«

      Der Mann tauchte die Feder in das Tintenfässchen und schrieb eine weitere Zeile auf den Bogen Papier. Dann öffnete er ein Kästchen und fischte einige Münzen hervor, die er Simon vorzählte.

      »… neununddreißig, vierzig.«

      Simon nahm die Pfennige und verstaute sie in einem kleinen Lederbeutel, den er am Gürtel trug.

      »Danke, Herr.«

      Der Kämmerer brummte und bedeutete Simon, Platz für den Mann hinter ihm zu machen. Das Geld klimperte im Beutel, als er die Esel mit dem Karren durchs Tor führte.

      »So, ihr beiden Hübschen, auf geht’s zu Julia«, frohlockte Simon und stellte sich das hübsche Gesicht der Apothekertochter vor. Bestimmt würde sie sich über sein Geschenk freuen und sein Gebäck gebührend loben. Plötzlich fiel es ihm ein. Verdammt, der süße Zopf war in einem der Brotkörbe verstaut gewesen! Er musste umkehren und versuchen, den Leinenbeutel wiederzubekommen. Doch die Esel stellten sich stur und wollten nicht wieder den steilen Berg hinauf.

      »Nun kommt schon, bitte, ich verspreche euch einen großen Haufen Heu«, bettelte er und zog an den Zügeln. Doch Betteln und Drohen half nichts, ebenso wenig wie ein Hieb mit dem Stock, den er dem linken Esel versetzte. Das Einzige, was er damit bewirkte, war, sich den Unmut des Tieres zuzuziehen, denn es legte die langen Ohren an.

      Verzweifelt seufzte Simon auf. »Es tut mir leid, das hätte ich nicht tun sollen, aber ich muss wieder zur Burg«, redete er auf die Tiere ein.

      »Junge, mach den Weg frei«, dröhnte es hinter ihm.

      Ein großer Bierwagen, gezogen von zwei mächtigen Braunen, näherte sich. Simon blieb nichts anderes übrig, als seinen Weg nach unten fortzusetzen, denn es gab nicht genügend Platz, damit das Fuhrwerk an ihm vorbeiziehen konnte. Bergab war genau im Sinne der Esel, und zügig schritten sie aus. Simon bildete sich ein, ein spöttisches Grinsen auf ihren Gesichtern zu sehen.

      Nachdem sein Geschenk für Julia auf der Burg geblieben war, verzichtete er auf einen Besuch und kehrte nach Hause zurück. Als er die Esel ausgeschirrt und versorgt hatte, stapfte er in die Küche. Den Münzbeutel knöpfte er vom Gürtel und legte ihn auf einen Mauervorsprung am Fenster. Später würde er das Geld Bernbeck geben. Doch jetzt musste er seinen hungrigen Magen beruhigen. Er fand einen Käse, von dem er großzügig abschnitt und ihn zusammen mit einem Kanten Brot in sich hineinschlang. Erst jetzt fiel ihm auf, wie eigenartig still es war. Sollten alle bereits zu den Maifeierlichkeiten aufgebrochen sein? Selbst Berta war nirgends zu sehen.

      Simon stieg die Treppe nach oben.

      »Mutter?«

      Er konnte sich kaum vorstellen, dass sie mit zur Feier gegangen war. Gestern war ihr noch sterbenselend gewesen.

      »Mutter?«, rief er erneut und blieb vor der Tür ihrer Schlafkammer stehen.

      Das Ohr an die Tür gelegt, lauschte er für einen Augenblick, klopfte. Nichts. Gerade wollte er sich wegdrehen, als ein leises Stöhnen an sein Ohr drang. Simon drückte die Tür auf und betrat das Zimmer, wobei er beinahe über die am Boden liegende Gestalt gestolpert wäre. Seine Mutter lag mit bleichem Gesicht auf dem Rücken, die Augen geschlossen, auf ihrem weißen Nachtgewand hatte sich im Schoß ein großer Fleck gebildet. Unter ihr hatte sich eine dunkel schimmernde Lache ausgebreitet. Blutgeruch stieg in Simons Nase.

      »Heiliger Vater im Himmel!«, entfuhr es Simon. »Mutter, kannst du mich hören?«

      Sanft tätschelte er ihre Wange, doch Anna Reber zeigte keine Regung. Behutsam schob Simon die Hand unter ihren Nacken, versuchte, seine Mutter aufzurichten. Sie stöhnte und ließ sich gegen seinen Körper sinken.

      »Simon«, flüsterte sie, »ich habe das Kind verloren, geh und hol einen Priester. Schnell, eil dich! Ich will nicht ohne Beichte sterben.«

      »Nein!«, stieß Simon erstickt hervor. »Ich helfe dir aufs Bett. Du musst dich nur ausruhen.«

      Schwach bewegte sie den Kopf hin und her. »Ich war dir keine gute Mutter, mein Junge, nachdem ich Melchior geheiratet habe. Verzeih mir. Und jetzt geh!«

      Langsam