Der Pfeiler der Gerechtigkeit. Johanna von Wild

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Название Der Pfeiler der Gerechtigkeit
Автор произведения Johanna von Wild
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783839268988



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er durch die noch dunklen Gassen, wich einer zwielichtigen Gestalt aus, die nach ihm griff, und erreichte schließlich schwitzend und mit rasendem Herzschlag Wachters Backstube. Der Meister und sein Geselle kneteten die Teige in den Wannen und sahen erstaunt auf, als plötzlich Simon auftauchte.

      »Meister Wachter, Ihr müsst mir helfen!«

      »Dein Benehmen lässt zu wünschen übrig. Solltest du uns nicht zunächst begrüßen?«, spottete der Geselle gutmütig.

      »Verzeiht, natürlich, Gott zum Gruße, verehrter Zunftmeister und Geselle Jörg«, antwortete Simon mit hochrotem Kopf.

      »Schon gut, Junge. Was treibt dich um diese Zeit zu uns?«, brummte Wachter, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.

      »Könnt Ihr mir mit etwas Sauerteig aushelfen?«

      Wachter runzelte die Stirn. »Wie kann es sein, dass in Bernbecks Backstube kein Sauerteig vorhanden ist? Hast du ihn etwa ausgehen lassen? Du bist schon lang genug dabei, um zu wissen, dass dies nicht geschehen sollte. Dein Meister sollte dir die Ohren lang ziehen.«

      »Es war nicht meine Schuld. Könnt Ihr mir nun aushelfen oder nicht?« Er klang patzig.

      »Jörg, gib ihm etwas Sauerteig. Und du, Simon Reber, bist nur ein Lehrjunge und solltest es in Zukunft nicht an Höflichkeit und Respekt fehlen lassen. Hast du mich verstanden?«

      Der Geselle reichte Simon eine kleine irdene Schale gefüllt mit Sauerteig.

      »Ja, Meister. Und habt Dank.« Er wandte sich zum Gehen, doch Wachter hielt ihn auf.

      »Wenn es nicht deine Schuld war, wie du sagst, wessen war es dann?«

      Simon blieb stumm. An seiner Statt antwortete Jörg.

      »Es war Wulf, Melchiors Sohn, nicht wahr?«

      Das darauffolgende Schweigen war Antwort genug.

      »Nun geh schon«, entließ ihn der Zunftmeister seufzend.

      Als Simon zurück zu Bernbecks Haus kam, empfing ihn sein Stiefvater mit einer Ohrfeige und riss ihm die Schale aus der Hand. »Wie oft hab ich dir eingebläut, dass der Sauerteig immer weitergezüchtet werden muss.«

      Wulf stand feixend daneben, nahm seinem Vater das Gefäß ab und verschwand in der Backstube.

      »Hast du nichts zu sagen?«

      Simon schüttelte den Kopf. Melchior würde die Wahrheit nicht hören wollen und sicher auch nicht glauben.

      »Zur Strafe wirst du die Sauerteigbrote allein fertigen. Und nun verschwinde.«

      Wulf hatte während Simons Abwesenheit den Roggenteig geknetet. Immerhin hatte er den Ofen angefacht, denn es dauerte eine Zeit, bis die Backsteine die richtige Temperatur besaßen. Stirnrunzelnd beobachtete Simon seinen Stiefbruder. Offenbar hatte Wulf zu viel Wasser genommen und gab nun Mehl nach. Wusste er denn nicht, dass der Teig das gar nicht mochte? Doch er hütete sich, Wulf zurechtzuweisen. Nachdem dieser mit seiner Arbeit fertig war, verließ er ohne ein Wort die Backstube. Die hölzernen Wannen, in denen der Roggenteig geknetet worden war, hatte er einfach stehen lassen. Wie jeden Tag kümmerte er sich nicht darum, sie sauber zu machen. Dafür gab es ja schließlich den Lehrjungen.

      Simon war es nur recht, dann hatte er wenigstens seine Ruhe. Sorgfältig schrubbte er die Wannen und bereitete alles für seinen Teig vor. Nicht einmal ein halber Sack Roggenmehl war übrig. Für zwanzig Laibe würde er nicht ausreichen. Zischend stieß er die Luft aus. Nun musste er auch noch zum Mehllager gehen und die schweren Säcke vom Dachboden hinunterschleppen. Zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass kein Roggenmehlsack mehr dort war. Nur noch Weizenmehl. Nun gut, dann würde er eben mischen. Ächzend warf er sich den Sack über die Schulter und stieg die steile Treppe hinab.

      Allmählich knurrte sein Magen, doch das Frühstück musste noch warten. Simon verteilte die Mehle in die Wannen, gab Sauerteig und warmes Wasser dazu und begann zu kneten. Es war eine anstrengende Arbeit, doch in den letzten Monaten hatten seine Hände so viel Kraft bekommen, dass sie ihm kaum mehr etwas ausmachte. Simon liebte inzwischen das Gefühl des Teiges zwischen seinen Fingern. Ganz anders als Wulf, von dem er wusste, dass er das klebrige Gemisch verabscheute.

      Während der mit einem Leintuch zugedeckte Teig ruhte, ging er über den Hof zum Stall, wo die beiden Esel schon auf ihn warteten und ihre langen Ohren spitzten.

      »Ihr habt Hunger, so wie ich, nicht wahr?« Simon rieb den beiden Grautieren die Stirn, nahm die Heugabel und schob einen ordentlichen Haufen Futter in die Box. Während die Tiere fraßen, mistete er aus, streute frisches Stroh und füllte die Wassereimer nach.

      Als er endlich in die Küche kam, um sich seinen Gerstenbrei zu holen, war es längst hell geworden. Seit er im Lager hauste, aß er nur noch selten mit der Familie. In der Küche traf er auf seine Mutter, die Berta, der Magd, Anweisungen erteilte.

      »Simon, dein Vater …«

      »Mein Stiefvater.«

      Anna wischte den Einwand mit einer Handbewegung unwirsch beiseite. »… ist außer sich. Du beschämst ihn als Meister, sagt er, wenn du den Zunftmeister um Anstellgut bitten musst, weil du nicht aufgepasst hast.«

      »Wer nicht aufgepasst hat, ist Wulf. Er hat den Sauerteigansatz aufgebraucht, nicht ich«, erwiderte Simon und schlang den Brei hinunter.

      »Wulf ist kein Lehrling«, entgegnete seine Mutter, »er weiß, dass das nicht geschehen darf.«

      »Ach, ist das so? Nur weil ich in die Lehre gehe, bin ich an allem schuld, was dieser Taugenichts falsch macht? Melchior sollte ihm mal die Ohren lang ziehen. Es vergeht kein Tag, an dem Wulf nicht irgendeinen Fehler macht. Zudem ist er faul und hochfahrend«, schleuderte Simon ihr wütend entgegen.

      »Das glaube ich nicht. Wulf ist höflich und fleißig und bei der Zunft sehr beliebt. Du solltest dankbar sein, dass du solch eine Familie hast.«

      Simon war fassungslos. War seine Mutter so blind, oder wollte sie die Wahrheit nicht wissen?

      »Glaub, was du willst, Mutter, ich weiß es besser. Und wenn Melchior sich weniger in den Wirtshäusern und mehr in der Backstube aufhalten würde, wüsste er es auch.« Mit diesen Worten ließ er sie stehen und ging zurück in die Backstube, wo Wulf gerade dabei war, Laibe zu formen. Wie immer gab er sich nicht sonderlich Mühe, gleichmäßige Laibe zustande zu bringen.

      »Los, sieh nach der Glut und rühr sie durcheinander, damit der Ofen eine gleichmäßige Hitze bekommt«, blaffte Wulf ihn an.

      »Sieh doch selbst nach.«

      Wulf trat drohend auf ihn zu. »Willst du Prügel? Kannst du haben.« Er hatte kaum ausgesprochen, als seine Faust Simon am Kinn traf und ihn an die Wand schleuderte.

      Simon schüttelte sich und ging mit gesenktem Kopf auf Wulf los, rammte ihm seinen Schädel in die Magengrube und schlug ihm mit der geballten Rechten in die Nierengegend. Sein Stiefbruder sackte zusammen und krümmte sich vor Pein. Just in diesem Augenblick erschien Meister Bernbeck. Mit einem Wutschrei packte er Simon am Kragen und prügelte auf ihn ein. Simon riss die Hände nach oben, um seinen Kopf zu schützen. Erst als er mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden lag, ließ Bernbeck von ihm ab, jedoch nicht ohne ihm zuvor noch einen Tritt zu verpassen.

      »Verfluchter Bengel! Totschlagen sollte ich dich wie einen räudigen Hund!«, spie Bernbeck aus. »Wulf, mein guter Junge, ist alles in Ordnung mit dir?«

      »Mein Bauch schmerzt. Wie gut, dass du rechtzeitig gekommen bist. Wer weiß, ob er mich nicht umgebracht hätte.«

      »Weswegen seid ihr in Streit geraten?«

      »Ich habe ihn gebeten, nach der Glut im Ofen zu sehen, weiter nichts. Und plötzlich hat er auf mich eingeschlagen.«

      Melchior Bernbeck schüttelte den Kopf. »Geh ins Haus und ruh dich etwas aus. Ich werde Simon die Flausen schon austreiben.«

      Als Wulf verschwunden war, schnappte Bernbeck seinen Stiefsohn am Arm und riss ihn in die Höhe.

      »Du wirst