Der Pfeiler der Gerechtigkeit. Johanna von Wild

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Название Der Pfeiler der Gerechtigkeit
Автор произведения Johanna von Wild
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783839268988



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Güte. Hast du mich verstanden?«

      Simon nickte schwach, sein Kopf dröhnte, und ihm wurde speiübel. Nur mit Mühe unterdrückte er den Brechreiz. Bernbeck warf ihm noch einen warnenden Blick zu, bevor er mit zorngerötetem Gesicht die Backstube verließ.

      Morgen würde Simons Körper mit blauen Flecken übersät sein und ihm noch mehr Schmerzen bereiten als jetzt. Es war nicht das erste Mal, dass sein Stiefvater ihn windelweich prügelte. Mehr denn je wünschte sich Simon, die Lehrzeit ginge endlich zu Ende. Doch davon war er noch weit entfernt.

      Vielleicht konnte er ja den restlichen Teig noch retten. Allerdings bezweifelte er dies. Teige hatten ein Eigenleben, wie er schnell gelernt hatte, und man musste sie mit Sorgfalt behandeln. Tat man es nicht, nahmen sie es einem übel. Er griff in den Teig. Viel zu zäh. Missmutig gab er Wasser hinzu, knetete es unter, aber das Ergebnis war ernüchternd. Das konnte er spüren. Simon leckte seinen Zeigefinger ab und verzog das Gesicht. Wulf hatte viel zu viel Salz in den Teig gemischt, kein Wunder, dass der Teig nichts taugte. Bestimmt hatte er das Salz nicht abgewogen, was er aber unbedingt hätte tun müssen, denn zu viel davon ließ den Teig nicht richtig aufgehen. Wütend brachte er den unbrauchbaren Teig nach draußen und vergrub ihn unter dem Misthaufen. Am liebsten hätte er seinen Stiefbruder gleich mitverscharrt. Nur seinetwegen musste er auf die Maifeierlichkeiten der Zünfte verzichten, denen er seit Wochen entgegenfieberte.

      Die wenigen Apotheker der Stadt besaßen keine eigene Zunft, aber sie waren in der Gewürzhändlerzunft eingebunden, und Simon hatte sich schon mit der Apothekertochter Julia tanzen sehen. Daraus wurde nun nichts. Mit hängenden Schultern schlurfte er zu den Eseln und klagte ihnen leise sein Leid, unterdrückte ein Schluchzen. Die Tiere schienen seine Traurigkeit zu spüren und bliesen ihm tröstend ihren warmen Atem ins Gesicht. Er verweilte eine Zeit lang bei den Grautieren, bis er sich wieder beruhigt hatte, und ging zurück in die Backstube, um neuen Teig anzusetzen.

      Später formte er sorgfältig die Laibe, gab jeden für sich in einen geflochtenen Weidenkorb, damit sie dort noch eine Weile ruhten, und bestäubte sie mit Mehl. Während die Laibe auf Gare waren, säuberte Simon die Wannen und ging nach draußen, um auf Vorrat Holz zu spalten. Die Scheite stapelte er ordentlich in der Scheune und fegte anschließend die Späne zusammen.

      Als er wieder hereinkam, waren die Buchenscheite inzwischen vollständig heruntergebrannt, und der Ofen strahlte eine enorme Hitze aus. Schnell fegte er die Asche in einen metallenen Kasten und spießte einen nassen Lappen auf den Feuerhaken, um den Großteil des Aschestaubs aus dem Ofen zu entfernen. Mit geübten Handgriffen stülpte er die Laibe aus den Körben auf ihre bemehlte Seite, ritzte mit einem Messer ein Kreuz hinein, damit der Teig Platz hatte, um im Ofen aufzugehen, und die Brote später gleichmäßig aussahen. Dann schoss er flink einen Laib nach dem anderen mit dem Schieber in den Ofen. Eine knappe Stunde würde es dauern, bis die Brote fertig gebacken waren. Simon rieb sich die Augen und gähnte herzhaft, ein kleines Schläfchen käme ihm jetzt gelegen. Doch er verwarf den verlockenden Gedanken, als er sich vorstellte, was geschehen würde, sollten Wulf oder sein Stiefvater ihn dabei erwischen.

      Sein Blick fiel auf den kleinen Beutel feinsten Weißmehls, den der Müller ihm letztes Mal geschenkt hatte, als Simon in der Grabenmühle gewesen war. Ein Sturm hatte Äste und Blattwerk in die Kürnach befördert und den kleinen Fluss behindert, der die Mühle antrieb. Simon hatte wortlos mit angepackt und dem Müller und seinen Gesellen geholfen.

      »Bist ein guter Junge, Simon, hier, nimm das Weißmehl zum Dank für deine Hilfe. Ich bin sicher, du wirst etwas Besonderes daraus machen«, zwinkerte der Müller ihm zu und klopfte ihm auf die Schulter.

      Nun, vielleicht war heute der Tag, an dem er das feine Mehl verarbeiten sollte. Etwas Süßes würde er daraus machen, so süß wie Julias Lächeln.

      »Simon!« Aufgeregt platzte Barbara in die Backstube.

      Das Gesicht seiner Schwester war bleich, ihre blauen Augen mit den ungewöhnlichen Sprenkeln darin vor Furcht geweitet. Genauso blass erschien Sibylla, die ihr wie immer auf dem Fuß folgte.

      »Du musst Mutter helfen, es geht ihr nicht gut!«

      Simon wischte sich die Hände an seiner Hose ab. »Was ist denn? Ich hab keine Zeit, die Brote …«

      Barbara packte ihn am Handgelenk und zog ihn mit sich. »Seit dem Morgenmahl spuckt sie nur …«

      »Sie wird sich den Magen verdorben haben, da kann ich nichts machen«, gab Simon barsch zurück.

      »Aber jetzt ist sie ohnmächtig geworden!«

      »Wo ist dein Vater, Sibylla? Sollte er sich nicht um Anna kümmern?«

      Sibylla zuckte mit den Schultern. »Er ist mit Wulf weggegangen, wohin, weiß ich nicht.«

      Simon seufzte und folgte den Mädchen zu den Wohnräumen im Obergeschoss. Im Schlafzimmer seiner Mutter roch es säuerlich nach Erbrochenem. Anna Reber lag auf dem Bett, die Augen geschlossen, die Wangen fahl. Ihre Lider flatterten, als Simon ihre Hand nahm.

      »Mutter, kannst du mich hören?«

      Anna schlug die Augen auf und nickte schwach. »Ich habe schrecklichen Durst«, krächzte sie.

      »Barbara, Sibylla, holt ihr einen Becher verdünnten Wein«, befahl er den Mädchen, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Mutter schenkte.

      »Was ist mit dir? Hast du etwas Verdorbenes gegessen?«

      Seine Mutter schloss einen Lidschlag lang die Augen.

      »Nein. Ich bin schwanger. Simon, ich habe solche Angst, das Kind zu verlieren. Melchior wünscht sich so sehr einen weiteren Sohn«, flüsterte sie.

      Simon ließ abrupt ihre Hand los. »Das ist alles? Dann kann ich beruhigt nach meinem Ofen sehen. Ich kann mich noch erinnern, wie schlecht es dir ging, als du mit Barbara schwanger warst. Wochenlang hast du gespien, aber meine Schwester kam gesund und munter zur Welt.«

      »Du bekommst ein Geschwisterchen, Simon. Freust du dich denn nicht?«

      Er sah auf sie hinunter, sah das Flehen in ihren Augen. Wortlos wandte er sich ab und verließ die Schlafkammer. Beinahe wäre er mit Barbara zusammengestoßen.

      »Es ist nichts Schlimmes, Schwester, unsere Mutter bekommt nur ein Kind.« Er strich ihr über den Kopf und eilte zurück in die Backstube, ohne sich weiter zu kümmern.

      Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Ein weiterer Stiefbruder. Trotzig schüttelte er den Gedanken ab und gab das Weißmehl in eine Schüssel. Etwas ganz Besonderes wollte er daraus backen. Dafür würde er kein Wasser nehmen. Milch sollte es sein. Simon stahl sich in die Vorratskammer und nahm sich Milch, Butter und Eier. Seine Augen schweiften umher, wanderten die Regale auf und ab. Rosinen, Haselnüsse, Zimt und Zucker. Letzteres ein teurer Schatz, selbst wenn die Preise nicht mehr ganz so hoch waren, seit aus den fernen Ländern immer mehr des weißen Goldes hierhergelangte. Noch teurer allerdings war Zimt. Wozu hatte Melchior Zimt gekauft? Er buk keine süßen Brote oder Kuchen.

      »Da du das Erbe meines Vaters verprasst, brauche ich wenigstens kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mir einen Teil davon zurückhole«, murmelte er vor sich hin und griff nach dem Gefäß mit dem stark duftenden Gewürz.

      Simon erwärmte einen Teil der Milch, gab sie dann in die Schüssel zu Mehl und Hefe. Salz und Zucker schüttete er dazu und schnitt kleine Stückchen von der Butter, die er auf dem Mehl verteilte. Nach einer Weile schlug er die Eier auf, vermengte alles und rührte die Masse kräftig mit einem Holzlöffel, bis ein gleichmäßiger Teig entstand. Während der Teig ruhte, kochte er die Milch zusammen mit den zerstoßenen Haselnüssen, dem Zimt, weiterem Zucker und den Rosinen auf. Nachdem die Mischung etwas abgekühlt war, steckte Simon den Zeigefinger hinein und leckte ihn ab. Mit geschlossenen Lidern spürte er mit der Zunge der süßen Masse nach. Wundervoll.

      Es war Zeit, die Brote aus dem Ofen zu holen und auskühlen zu lassen. Er klopfte auf den Boden eines Laibes. Der hohle Klang zeigte ihm an, dass das Brot durchgebacken war. Melchior Bernbeck mochte ein Trinker und ein Weiberheld sein, doch sein Handwerk verstand er. Simon beobachtete stets genau, was sein Stiefvater tat. Als er