Der Pfeiler der Gerechtigkeit. Johanna von Wild

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Название Der Pfeiler der Gerechtigkeit
Автор произведения Johanna von Wild
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783839268988



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steckst du also«, herrschte eine raue Männerstimme ihn an.

      Simon fuhr herum, ließ Julias Hand los und sah sich seinem Stiefvater gegenüber. Hinter diesem stand Wulf mit vor Anstrengung gerötetem Gesicht und schnaufte.

      »Warum bist du nicht längst zu Hause und kümmerst dich um deine kranke Mutter? Stattdessen treibt sich der junge Herr herum«, fuhr Bernbeck fort.

      »Es geht ihr besser, wie du weißt. Außerdem ist die Magd da, falls meine Mutter etwas braucht«, erwiderte Simon trotzig.

      »Widersprich mir nicht! Du gehst jetzt auf der Stelle nach Hause. Auch in der Backstube gibt es zu tun.«

      »Ich werde zuerst Julia begleiten.«

      »Wulf kann das machen. Du kommst jetzt mit mir.«

      Melchior Bernbeck packte Simon am Arm, seinen Zorn nur mühsam unterdrückend, und zerrte ihn den Hang hinunter.

      »Meister Bernbeck«, rief Julia, »so haltet ein! Es ist meine Schuld, dass Simon hier ist. Er wollte zu seiner Mutter, aber ich habe ihn überredet.«

      »Lass gut sein, Mädchen«, entgegnete Bernbeck unwirsch. »Geh mit meinem Sohn.«

      »Ich will aber, dass Simon mich begleitet. Mein Vater ist der Apotheker Sterzing, nur damit Ihr’s wisst.«

      Julia legte die Stirn in Falten und sah den Bäckermeister finster an, die Arme in die Hüften gestemmt. Simon war hingerissen. Was für ein mutiges Ding sie war.

      »Was fällt dir ein, mir zu widersprechen, du rotzfreches, eingebildetes Gör! Du wirst jetzt tun, was ich sage!«

      Doch Julia blieb bockig. »Sonst?«

      »Sonst kannst du allein durch die Stadt gehen. Das wird dir nicht gefallen, bei all dem Gesindel in den Gassen.«

      Stur schüttelte sie den Kopf.

      Wulf nahm sie am Arm, auch ihm schien das Mädchen mit den schwarzen Haaren außerordentlich gut zu gefallen.

      »Nun komm schon, übertreib es nicht. Ich bringe dich nach Hause.«

      Sie versuchte, ihn abzuschütteln.

      »Wenn du nicht augenblicklich mitkommst, dann werde ich dafür sorgen, dass Simon es noch bitter bereuen wird, mit dir gegangen zu sein«, raunte Wulf ihr ins Ohr.

      Julias Widerstand erlahmte. Sie warf Simon einen bedauernden Blick zu und folgte Wulf, der nun ihren Arm freigab.

      Kaum waren sie außer Sichtweite, versetzte Bernbeck seinem Stiefsohn eine schallende Ohrfeige.

      »Wag es nie wieder, dich mir zu widersetzen. Hast du verstanden?«

      Simons Wange brannte, von seiner aufgeplatzten Lippe rann warmes Blut, das er mit dem Handrücken abwischte. Er hasste diesen Mann und seinen Sohn. Doch sein Entschluss stand fest. Er würde die Zähne zusammenbeißen und die drei Jahre Lehrzeit hinter sich bringen. Der Tag seiner Freisprechung würde der letzte sein, den er in Würzburg zu verbringen gedachte.

      1574

      Würzburg

      Das neue Jahr war gerade erst wenige Monate alt, da bereuten bereits einige der Domherren, ihre Stimme Julius Echter gegeben zu haben. Solch einen sittenstrengen Fürstbischof hatten sie nun doch nicht haben wollen, ebenso wenig wie der Großteil der Würzburger. Anhänger des alten Glaubens und Protestanten lebten bislang gut und vergnügt miteinander. Warum sollte sich das ändern? Der Mensch war nicht dafür gemacht, sich die wenigen Lustbarkeiten, die das ohnehin schon harte Leben zu bieten hatte, zu versagen. Immer mehr bekannten sich sowieso zum lutherischen Glauben. Und wen störte es, wenn Mönche und Nonnen beieinanderlagen und Priester und Domherren sich Mätressen hielten? Außer dem neuen Fürstbischof offenbar niemanden.

      Julius Echter war zwar gewählt worden, aber bestätigt durch den Papst und den Kaiser war die Wahl bisher nicht. Auch seine Priesterweihe hatte er noch nicht empfangen. Manche Hoffnung ruhte auf dem jetzigen Kaiser, denn Maximilian II. war dem Protestantismus nicht abgeneigt. Ganz anders als seine Vorgänger, sein Onkel Karl und sein Vater Ferdinand. Sollte Kaiser Maximilian tatsächlich zum neuen Glauben übertreten, konnte Julius Echter mit dessen Zustimmung nicht rechnen. Sicher, Papst Gregor würde Echter bestätigen, doch was, wenn der Kaiser sie ihm versagte? Dann besäße Echter nur die geistliche Macht in Würzburg, aber nicht die weltliche. Was würde dann geschehen?

      Simon kümmerte es nicht, wer das Hochstift nun regierte. Seine Tage bestanden aus Arbeit, Arbeit und Arbeit und der Erduldung von Wulfs Bösartigkeiten. Kaum ein Tag verging, an dem Wulf nicht irgendetwas ausheckte, um Simon das Leben so schwer wie möglich zu machen oder, was er am liebsten tat, die Schuld, wenn etwas schiefgegangen war, auf ihn zu schieben. Simons Mutter hörte kaum hin, wenn er sich bei ihr über seinen Stiefbruder beschwerte. Seit Jahresbeginn schlief er in einer Ecke des Lagerhauses, nachdem Melchior darauf bestanden hatte, Simon solle sich das Zimmer mit Wulf teilen, damit die beiden Mädchen in einer Kammer schlafen konnten.

      Wortlos hatte er Strohmatratze, Decke und Kissen genommen, war in den angrenzenden Hof gegangen und hatte sich im Lager eingerichtet. Anna hatte ihn angefleht, es doch mit Wulf zu versuchen, und dabei sogar ein paar Tränen vergossen.

      »Simon, kannst du auch einmal an mich denken? Ich bin zu jung, um bis an mein Lebensende ein Witwendasein zu führen, deshalb habe ich wieder geheiratet. Melchior ist ein guter und angesehener Mann, wir hätten es schlechter treffen können. Er behandelt Barbara und dich wie sein eigen Fleisch und Blut, ich verstehe nicht, was du gegen ihn hast.«

      Ihre Worte hatten ihn nur verächtlich auflachen lassen.

      »Lass gut sein, Mutter. Lieber schlafe ich bei den Eseln, als mit Wulf eine Kammer zu teilen.«

      Die Turmuhr schlug dreimal. Simon rieb sich den Schlaf aus den Augen und schälte sich aus seiner Decke. Er stieg in seine Kleidung, ging nach draußen zum Brunnen und wusch sich das Gesicht. Das eiskalte Wasser vertrieb die Müdigkeit, und er fröstelte.

      Heute mussten sie noch mehr Brote backen als sonst, denn Fürstbischof Julius hatte Gesandte geladen, die er nach Rom schicken wollte, um die Bestätigung seiner Wahl durch den Papst zu erhalten. Am morgigen Abend würde auf der Burg ein fürstliches Bankett für die Gesandten, Domdekan Neidhart von Thüngen, Chorherr Georg Fischer vom Stift Neumünster und alle Domherren stattfinden. Eine stattliche Anzahl von sechsundfünfzig Männern, die zu verköstigen der Koch und seine Gehilfen allein nicht bewältigen konnten. Daher war die Order ergangen, ein Bäcker aus der Stadt sollte zusätzliches Brot backen. Die Zunft hatte das Los entscheiden lassen, wer den fürstbischöflichen Auftrag erhalten möge, und Bernbeck war der glückliche Gewinner gewesen.

      Vor einigen Tagen war Simon zur Brauerei gegangen, um sich Hefe zu besorgen. Eigentlich war es Wulfs Aufgabe, doch dieser hatte sich einmal mehr davor gedrückt. Ächzend hob er einen Sack Roggenmehl an und verteilte einen Teil des Inhalts auf mehrere hölzerne Wannen. Die Hefe, die er mit Sauerteig und Wasser vermischen wollte, gab er in eine Schüssel.

      »Verdammt, Wulf, wo ist der Sauerteig?«, fluchte er leise vor sich hin und sah sich suchend um.

      »Redest du mit mir?« Wulf stand plötzlich in der Backstube. Die Arme vor dem Körper verschränkt lehnte er am Durchgang zum Hof.

      »Ja. Wo ist der Sauerteigansatz? Ich brauche ihn, um den Teig fertigzustellen.«

      »Hab ich gestern aufgebraucht«, erwiderte Wulf leichthin.

      »Bist du noch bei Trost? Wieso hast du einen Teil davon nicht weitergezüchtet? Es dauert Tage, bis wir wieder einen Sauerteig haben!«

      »Hüte deine Zunge, Schwachkopf, es geht auch ohne Sauerteig. Los, bring Wasser!«, zischte Wulf und gab Salz und Hefe in die Holzwannen.

      »Du kannst das Wasser selbst holen. Ich gehe zu Meister Wachter und werde ihn um Sauerteig anbetteln.« Simon riss sich die Schürze vom Leib und stürzte aus der Tür.

      »Was fällt dir ein?«, schrie Wulf wütend hinter ihm her, doch Simon kümmerte es