Tatort Alpen. Michael Gerwien

Читать онлайн.
Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



Скачать книгу

dachte, dass sie jetzt eine Deutsche aufgefahren hatten, damit alles glaubwürdiger rüberkam. Aber Birne hatte keine Lust mehr.

      »Erzählen Sie«, gab er ihnen noch eine Chance.

      »Nun, ich kann nicht viel erzählen, das würde uns hier auch nicht weiterhelfen. Glauben Sie mir einfach: Wir haben Feinde an ziemlich hoher Stelle, die uns was reinwürgen wollen. Deshalb ist der Mann meiner Schwägerin unter Mordverdacht eingesperrt. Deswegen will man ihm den Prozess machen. Aber er ist unschuldig.«

      »Warum ist man da oben gegen Sie?«

      »Das sind sehr private Gründe. Die kann ich Ihnen nicht verraten.«

      »Gerade deshalb sollten Sie sie mir verraten.«

      »Das geht Sie wirklich nichts an«, mischte sich der Bruder wieder ein.

      »Wissen Sie was, dann geht mich die ganze Sache nichts mehr an. Suchen Sie sich einen anderen Idioten, ich bin aus der Sache draußen.« Birne war so wütend, dass er aufstand.

      Die Braut des Bruders: »Sie sind wirklich ein Idiot, Sie sind genau so wie die.«

      Frau Kemal: »Sie sind ein Nazi.«

      Der Bruder: »Sie haben uns enttäuscht.«

      Das war das Letzte, was Birne hörte. Er haute die Tür zu und lief in seine Wohnung, riss sich noch im Flur seine Kleider vom Leib und würde sich nun eine heiße Dusche schenken. Als er sich der Hose entledigte, fiel ihm der Schlüssel zur Wohnung der Zulauf auf den Badboden. Den hatten sie ihm auf dem Revier wiedergegeben und nicht mal wissen wollen, wofür der war. Deppen, dachte sich Birne. Und auch Kemals war er egal geworden, anscheinend. Nun hatte er ihn, und er beschloss, ihn mit einer Mischung aus Stolz und Trotz zu besitzen.

      Er schmierte sich nach der heißen Dusche zwei Brote mit Nutella und legte sich in sein Bett, weil er Schmerzen in den Gliedern verspürte. Hatte er sich doch erkältet? Es war ein aufregender Tag gewesen. Kurz bevor er in den Schlaf fiel, überlegte er sich noch, ob er sich vor denen da unten jetzt fürchten sollte. Dann wurde er aber schläfrig und döste ein.

      Birne schlief tief und lange, er träumte nicht. Um 8 Uhr des nächsten Tages öffnete er seine Augen und stellte fest, dass seine Nase nicht lief und sein Hals nicht kratzte: Er war nicht krank, er war gesund.

      Er schwang sich auf, draußen hatte sich alles beruhigt, er holte sich Semmeln und fand auf dem Rückweg im Briefkasten seine Zeitung. Alles war in Ordnung. Im Briefkasten der alten Frau steckten die Allgäuer Zeitungen der vergangenen Tage und die heutige: er quoll über. Birne widerstand der Versuchung nicht. Offensichtlich kümmerte sich niemand darum. Der Zeitungsausträger musste sich ärgern, der blöde Bernd sollte das ausleeren. Er tat das nicht. Birne übernahm das jetzt, er hatte sich das verdient.

      Er frühstückte intensiv und warf sich danach auf das Sofa, um alles in seiner Zeitung zu studieren, was ihn interessierte, und dann nahm er sich die der Toten vor und das konnte ruhig bis 18 Uhr dauern. Mehr brauchte an diesem Tag nicht passieren.

      Nix ging schief, nix fiel ihm aus der Hand, er hatte sein Leben im Griff. Er blätterte auf seinem Sofa, las zudem noch Dinge, die ihn nicht interessierten, und fand die Welt so, wie sie ihn an diesem Samstagvormittag behandelte, in Ordnung.

      Fast hatte er sein großes Thema der vergangenen Tage vergessen, als er im Bayern-Teil, den er nicht verschmähte, sondern sich als Schmankerl aufgehoben hatte, unter der Überschrift »Mord in Rekordzeit aufgeklärt« fett Kempten las. Sein Fall! Seine Zeitung.

      Da stand:

      Er sieht nicht aus, wie man sich die Helden aus dem Fernseh-Tatort vorstellt, und er möchte auch nicht, dass man ihn als einen solchen anspricht: Bruno Abraham ist Kriminalkommissar in Kempten und hat etwas zustande gebracht, wovon die Hercule Poirots, Columbos und Miroslav Nemec‘ dieser Welt träumen – er hat einen Mord innerhalb von einer Woche aufgeklärt. Er ließ dem Blut des Opfers kaum Zeit zu trocknen.

      Das Opfer, von dem die Rede ist, war eine Frau von 86 Jahren. Sie hatte nichts als ein gutes Herz und ein einsames Heim – und ein paar Euro zu viel im Sparstrumpf. »Wir gehen davon aus, dass es sich um einen Raubmord handelt. Motiv: Habgier«, erläuterte der pfiffige Kommissar aus der Voralpenmetropole die Lage. Der Täter weigert sich bisher zu gestehen. Dabei ist die Beweislage übermächtig. »Wir haben Fingerabdrücke an der Tatwaffe, in der Wohnung, am Opfer, überall.« Der mittlerweile verhaftete und ungeständige Mann ist 42 Jahre alt, Türke und betreibt mit seiner Gemahlin einen türkischen Imbiss an einer Kemptener Ausfallstraße, an der wenige Hungrige vorbeikommen, geschweige denn halten. »Die waren finanziell gehörig am Rudern«, sagte ein Ortsansässiger aus. Und weil der Mann die Miete nicht bezahlen konnte und seine beiden Kinder nach immer mehr Markenklamotten brüllten, griff er wohl zur Waffe und vollbrachte das Unfassbare: Er drang bei der Nachbarin ein und tötete sie mit 17 Stichen in die Brust. »Dann wurde ihm wohl klar, was er da eben Entsetzliches getan hatte, und er floh, ohne etwas zu entwenden, vom Tatort«, beschreibt Kommissar Bruno Abraham den mutmaßlichen Tathergang. Die Verwandten der armen Frau hätten jedenfalls nicht feststellen können, dass etwas Wesentliches aus der Wohnung gestohlen worden war.

      »Wir hatten natürlich Glück, dass wir die Spur aufgenommen haben, als sie noch ganz frisch war«, so Abraham und wirkt nun doch etwas stolz auf seine Arbeit. Der Imbissbudenbetreiber bleibt bis auf Weiteres in Haft. »Sobald die Formalitäten, die unser Recht nun einmal verlangt, erledigt sind, wird der Prozess eröffnet. Das könnte sich je nach der Menge der Komplikationen einen Monat bis eineinhalb Jahre hinziehen«, meint der Polizeibeamte, der gerade einen so großen Triumph gefeiert hat, und wendet sich wieder seiner normalen Arbeit zu – es geht um die Verfolgung von Müllsündern. Irgendwie ist die Welt hier im Allgäu doch noch ein bisschen sauberer als anderswo.

      Birne musste grinsen. Er hatte dazu wenig beigetragen, war aber trotzdem irgendwie stolz auf Bruno, dass er den Fall so professionell gelöst hatte und dass er zu seinen ersten Freunden hier zählte. Wenn der das las, war er bestimmt in Hochstimmung und gab ein paar Tropfen im Korbinian aus. Birne beschloss, heute einfach mal auf gut Glück vorbeizugehen. Später, am Abend. Vorher nicht ins Fitnessstudio, das musste er sich noch überlegen, ob das schlau war, dieses Hobby fortzusetzen. Gern hätte er Simone wieder getroffen, wenn dieser blöde Zwischenfall gestern nicht geschehen wäre. So war es ihm nur peinlich. Er hoffte, dass irgendwann einmal ein Zeitpunkt kommen würde, an dem er ihr das alles würde auseinandersetzen können.

      Dann blätterte er durch die Zulauf-Blätter, wunderte sich, wie langweilig der Regionalteil war, wie wenig ihn das betraf. Auch da war die Rede vom Fall, weniger aufgeblasen, dafür mehr Bilder, einmal war sogar Bruno drin. Im Interview. Da wurde gefragt, wie es denn aussehe mit der Sicherheit in der Stadt, ob jetzt jeder damit rechnen könne oder besser solle, ein Messer reingerammt zu bekommen oder einen lieben Angehörigen demnächst in seiner Wohnung und Blutlache zu finden. Bruno antwortete: »Die Polizei, meine Kollegen und ich, leisten hervorragende Arbeit. Die Sicherheit der Bürger ist uns nicht nur Beruf, sondern auch Berufung. Aber 100 Prozent können wir allein von der Polizei nicht garantieren, da werden wir zu sehr von anderen Aufgaben eingenommen. Der Gesetzgeber wäre gefragt.« »Was wünschen Sie sich?« »Wir bräuchten mehr – mehr Leute, mehr Geld, mehr Befugnisse. Wir sind nur Menschen hier. Unsere Leistungsfähigkeit ist beschränkt, auch wir sind mal krank oder haben privat Probleme und dennoch wird eigentlich von uns erwartet, dass wir 24 Stunden am Tag die Augen offen haben. Ich bin stolz, in einem freien Land zu wohnen. Die Freiheit ist für uns selbstverständlich, wir sind mit ihr geboren und deshalb vergessen manche – es sind nur ein paar, aber die genügen – dass Freiheit auch Grenzen braucht, Grenzen, die man dringend verstärkt in den Schulen vermitteln sollte. Das halte ich für wichtiger als Griechisch und Latein. Damit will ich nichts gegen unsere Schulen sagen. Die sind nicht schlecht. Wenn jemand nicht das Glück hatte, unsere Erziehung zu genießen, dann fehlen dem oft völlig die Schranken und das kann fatal werden.« »Sprechen Sie von den Menschen, die erst in unser Land gezogen sind als Erwachsene?« »Ich will nicht pauschalisieren, sonst hat man gleich wieder seinen Ruf weg. Aber ein bisschen was ist schon dran. Seien wir ehrlich, die bringen