Tatort Alpen. Michael Gerwien

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Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



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wählte. Der Enkel nahm das Messer von Birnes Kehle und wickelte ein Seil oder eine Schnur um Birnes Hände, stieß dabei zwischen seinen Zähnen »Ich warn dich, bleib bloß still!« hervor. Als Birne verschnürt auf dem Bett lag, stieß er ihm noch ein paar mit den Füßen in die Seite. Birne musste schreien vor Schmerz.

      Der Enkel sagte: »Sei bloß still.«

      Simone bekam eine Verbindung und fragte sehr aufgeregt: »Hallo? Hier Polizei?« Dem Enkel war das zu wirr, er riss seiner Freundin das Mobiltelefon aus den Händen und schilderte der Stimme am anderen Ende die Lage, ein Einbrecher sei gefasst – er nannte die Adresse und Birne hätte dazwischenbrüllen mögen, schwieg aber aus Angst vor neuen Tritten – der Einbrecher sei womöglich bewaffnet, sie seien nur zu zweit. Die Stimme sagte wohl, dass man warten solle, Rettung sei unterwegs. Der Enkel jedenfalls antwortete »alles klar« und legte auf.

      Jetzt fand Birne, dass es an der Zeit sein könnte, sich zu rechtfertigen. »Entschuldigung, das ist ein Missverständnis, ich bin ein Nachbar, ich habe Ihrer Großmutter geholfen …«

      Weiter kam Birne nicht, denn mit den Worten »Halt dein dreckiges Maul, du Arschloch!«, schlug der Mann auf ihn ein, auf sein Gesicht wie ein Wahnsinniger. Jetzt spürte Birne die Wärme des Bluts in seinem Gesicht, ein tiefroter Fleck breitete sich vor seinen schwellenden Augen auf dem weißen Laken vor ihm aus. Er war still, er hielt sein Maul nun, bis der Mann aufhörte. Er atmete schwer, seine Freundin sagte nichts, starrte ihn an und war ein bisschen entsetzt von dem, was ihr Freund anrichten konnte, wenn er in Wut geriet und ein wehrloses Opfer zwischen seinen Fingern hatte.

      »Was schaust mich so an? Die Sau hat’s nicht besser verdient. Wenn der erst im Knast ist, dann kann ich das nicht mehr machen. Ach, leck mich!« Sie hatte Angst bekommen, atmete schneller und laut. Er fuhr fort: »Weißt du was? Ich geh runter und wart auf die Bullen und du bleibst hier, und wenn er noch einen Mucks macht, rammst du ihm das Messer zwischen die Rippen, wie er es getan hat. Hast du mich verstanden?«

      »Ich denk schon.« Birne gefiel auch ihre kleine helle, eingeschüchterte Stimme.

      Er ging, ließ die Tür des Schlafzimmers laut zuknallen und erst recht die der Wohnung. Sie waren allein, und wäre die Situation nur ein wenig anders gewesen, Birne hätte es für seinen romantischsten Augenblick seit Langem halten mögen.

      »Geht’s?«, fragte sie ihn.

      »Geht schon«, antwortete Birne.

      »Was wollten Sie?«

      »Ich bin der Nachbar, ich heiße Birne, ich wollte nach dem Rechten sehen, ich habe einen Schlüssel, ich bin kein Einbrecher.«

      »Ha. Das können Sie der Polizei erzählen.«

      »Die brauchen wir nicht. Glauben Sie mir, das ist ein Missverständnis. Ich wollte nicht stehlen.«

      »Versuchen Sie nicht, uns zu täuschen.« Sie klang wieder nervöser, Birne konnte nur, wenn er sich sehr umständlich verdrehte, sehen, was sie tat, aber sie hatte das Messer, davon ging er aus, und sie war nervös, er hatte nicht vor, irgendetwas zu versuchen.

      »Sind Sie die Freundin vom jungen Zulauf?«

      »Bernd? Ja, bin ich.«

      Bernd? Sie sollte Bernd vergessen, ihn losbinden und sich mit ihm verbarrikadieren, hier in der Wohnung, das mit der Polizei würden sie regeln.

      »Wie lange schon?«

      »Weiß nicht. Vielleicht zwei Jahre. Was geht Sie das an?«

      »Nichts. Sie halten mich fest, ich will gern wissen, wer mich festhält.«

      »Sie sind hier eingebrochen.«

      »Bin ich nicht. Ich habe einen Schlüssel, ich wollte sehen, ob alles in Ordnung…«

      »Sie bluten viel mehr, wenn Sie reden. Das Bett. Bitte sagen Sie nichts mehr. Sie verbluten das Bett.«

      Birne schwieg. Wenn sie nicht wollte, dass er mit ihr redete, dann schwieg er eben. Wenn ihr das verschissene Bettzeug wichtiger war als sein Leben, dann blutete er eben weniger und leise, das konnte er, kein Problem für ihn, sie hatte das Messer.

      Ihr wurde unwohl von der Stille, das hatte sie davon. »Wenn Sie wirklich unschuldig sind, dann wird sich das klären, dann gibt es ein Verhör bei der Polizei, und Sie sind wieder draußen.«

      Birne erwiderte nichts, er hatte keine Lust mehr, Liebe war sein einziges Verbrechen, Liebe, und jetzt blutete er dafür, Liebe zahlte sich nicht aus.

      Schritte auf der Treppe. Mehr als eine Person. Aufgestoßene Türen. Polizisten, die Birne sehr unsanft packten, ihn zu Boden schleuderten, als hätte er wirklich was angestellt, als ginge wirklich eine Gefahr von ihm aus. Birne, der all das mit sich geschehen ließ, der resigniert hatte, seine Liebe dahinschwimmen sah wie einen Eisblock im Polarmeer, der sah, wie Bernd, der Affe, seine Simone in die Arme nahm, ihr wieder Trost spendete aus denselben Händen, die ihm gerade Blut beschert hatten.

      Die zwei Polizisten steckten in grünen Uniformen, waren jung, nahmen alles noch sehr wichtig und so, wie sie es auf der Polizeischule gelernt hatten. Es war allerdings nur ein Streifenwagen. In München wären es mindestens sieben gewesen, dazu Kombis, und nicht nur, wenn er womöglich ein gefährlicher Mörder gewesen wäre, nein, auch beim Schwarzfahrer, der aufmuckte, oder beim Fahrradfahrer ohne Licht.

      Birne wurde gefragt, ob er Handschellen wolle oder lieber keinen Widerstand. Birne entschied sich gegen den Widerstand. Einer, der Blonde, der fast eine Glatze rasiert hatte, warf ihn auf die Rückbank und setzte sich neben ihn. Der andere, der hatte fast schwarze Haare und trug diese länger, saß vorne und lenkte den Wagen. Sie fuhren schweigend. Sie hatten halt jetzt einen Einbrecher festgenommen, brachten ihn aufs Präsidium, damit die dort sich um ihn kümmern konnten. Von den Anrufern wollten sie auch nichts mehr wissen. Was wäre gewesen, wenn die die Einbrecher gewesen wären und er der, der zu Recht in der Wohnung war? Dann hätten die ihn und die Polizei sauber an der Nase herumgeführt. Dann hätte Birne allerdings auch einen Aufstand geschoben. So saß er nur da, sah aus dem Fenster, wie er durch die Stadt gefahren wurde, und blutete ein bisschen. Er hatte immer noch das Gefühl, kein großes Unrecht begangen zu haben und nicht viel befürchten zu müssen. So kam er zum ersten Verhör in seinem eigenen Fall. Immerhin.

      Für diese Jahreszeit unpassend, begann es, draußen unendlich grau zu werden und nach wenigen Augenblicken zu schneien, als ob der Himmel nur noch diese eine Möglichkeit hätte, etwas von sich zu geben. Im April. Erst heute hatte er sich die Schuhe zum Wetter besorgt. Es war, als zögen die Schuhe das Wetter erst an.

      Im Revier kam es ihm vor, als ob sie ihm eine Show vorführten. Er musste lange auf einem unbequemen Holzstuhl warten. Ein paar Mal reklamierte er wegen der Schmerzen. Er verlangte nach einem Aspirin, das ihm irgendwann auch gegeben wurde, damit er still war. Er verlangte daraufhin einen Arzt, und weil er ignoriert wurde, einen Anruf bei seinem Anwalt, was ebenfalls still übergangen wurde. Dann wartete er geduldig, da er hoffte, durch sein Mitspielen den Vorgang beschleunigen zu können. Sie ließen ihn dennoch relativ lange mit seinen Wunden sitzen. Einige davon waren Platzwunden und hörten auch die lange Zeit über nur unwesentlich auf zu bluten. Birne überlegte sich, eine Ohnmacht vorzutäuschen, und musste dann lachen, als er weiterdachte, ob es nicht besser und wirkungsvoller wäre, eine Marienerscheinung zu simulieren.

      Als ihn endlich der muffige Beamte hereinbat, war bereits eine Dreiviertelstunde vergangen. Er ließ sich Birnes Personalien herunterbeten. Birne war kooperativ und dachte: Zwischen hier und Bananenstaat sind es nur drei Kilometer.

      Wieder warten, wieder keine Antworten auf Fragen. Birne überlegte, ob er aufs Klo gehen sollte, dann kam ein großer Moment, an sich ein kleiner, aber für diesen Tag etwas Gewaltiges: Er wurde hereingebeten zum Kommissar.

      *

      Arschlöcher. Alles Arschlöcher, da oben, an ihren fetten Schreibtischen, Arschlöcher. Das war ihm jung mal passiert, ganz jung, und seitdem nicht mehr. Unerhört. Der eine Arm des Gesetzes hielt den anderen fest, wenn er nicht aufpasste, haute er ihn ab, der eine den anderen.

      Bruno Abraham hatte keine