Tatort Alpen. Michael Gerwien

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Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



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anhatte.

      Und duschen und sich sauber machen innen und außen und warten. Sie klingelte um 19.30 Uhr und holte ihn ab. Sie wusste was, wo man nett was trinken konnte, wenn er nichts Besseres wüsste. Wusste er nicht, ob das, was er wüsste, was Besseres wäre als das, was sie wusste und ließ sich auf sie ein. Sie führte ihn – sie konnten zu Fuß gehen – an den Rand der kleinen Fußgängerzone in eine Kneipe, die im Sommer eine Terrasse zum Draußensitzen hatte. Jetzt im Frühjahr, nachdem erst gestern noch Schnee gefallen war, setzten sie sich rein. Das sah ein bisschen nach alternativ aus, ein bisschen so, wie man es hier nicht erwartet hätte: Kahle Wände waren bunt angestrahlt, im großen offenen Raum standen Sitzgruppen aus verschiedenen Sesseln, Sofas und Stühlen, die nie die gleichen waren. Das Bier oder den Cocktail, zu dem sie ihn einladen wollte, musste man sich selbst holen an einer langen Theke an der Frontseite, über die man außer den Getränken stolz und aller Political Correctness trotzend Drehtabak verschiedener Arten verkaufte. »Tabaccherie« stand auf einem Neon leuchtenden Schild über der Kasse und den gespülten Gläsern. Es lief eine elektronische leichte Musik. Die Kneipe hieß Künstlerhaus, ein Schild wies eine Wendeltreppe nach oben zu einer Ausstellung. Simone führte Birne zu einem Mosaikrundtisch, ließ ihn auf einem Korbsessel Platz nehmen, ließ sich damit einen stoffbezogenen Bauernstuhl frei und fragte Birne, was er wolle. Birne wollte keine Experimente, er wollte ein Bier. Sie verschwand für einen Moment Richtung Theke zu einem schwarzhaarigen, ziemlich jungen, mageren und hübschen Mädchen. Birne schaute sich um und fand die meisten hier ziemlich jung und hübsch und fühlte sich wohl hier bei dem Sound und in Erwartung eines Biers mit Simone.

      Der Mann sagte: »Servus« und »Darf ich mich da hinsetzen?«

      Der Fremde war aus dem Nichts aufgetaucht. Was hätte er ihm verbieten können. Hilflos suchte er Simones Blick und Einverständnis. Sie stand da an der Theke, wurde bedient, wippte im Takt der Musik und lächelte zu ihm herüber.

      »Bitte.«

      Der Mann ließ sich nieder. Abgestandener Tabak- und Schweißdunst wehte zu Birne herüber. Der Mann war nicht mehr ganz jung, sah aber relativ frisch aus. Er schonte sich und seine Ressourcen, das sah man.

      »Wie geht’s?«, wollte er wissen.

      »Passt«, antwortete Birne kurz, weil er sich nicht mit dem unterhalten wollte, wenn Simone wieder da war.

      Als sie zurückkam, fragte er sie, während sie sich auf einen Stuhl setzte, den sie von einem anderen Tisch holte: »Viele Studenten hier, oder?«

      »Nein, weiß nicht, eher weniger«, antwortete sie ihm in ihrem leichten Ostakzent, der durch die Zeit, die sie hier verbracht hatte, hörbar am Schwinden war.

      »Nicht?«

      »Die Studenten hier sind nicht so drauf, die sind sehr zielstrebig und wollen keine Kneipen wie die hier. Die wollen einmal im Semester eine Party, bei der sie sich besinnungslos saufen können und den Rest der Zeit lernen und Praktika machen. Lass dich nicht mit denen ein, außer du willst langweilig werden.« Sie streckte ihm ihre Halbe entgegen, um anzustoßen. Birne fand es sympathisch, dass sie wie er Bier trank.

      »Hast du studiert?«

      »Ja, eine Zeit lang, bis ich es langweilig fand. Chemie in Greifswald. Aber die wollten uns keine Freude lassen im Leben, dann habe ich mir gedacht: Das ist doch die Zeit, die wilde im Leben, wenn man studiert, und das ist mir zu stressig; also hab ich abgebrochen und bin hierher.«

      »Und was machst du hier?«

      »Ich hab mich zur MTA ausbilden lassen.«

      Da meldete sich der Fremde: »Es sind eine Menge Studenten, so wie du: die herausgefallen sind, aber das ist gut, ist eh ein blödes System, da ist es gescheiter zu scheitern.« Er unterdrückte seinen einheimischen Akzent, wenn er ins Philosophische abschweifte.

      Simone und Birne ignorierten ihn beide, ohne sich abzusprechen, fanden es blöd, belästigt zu werden, aber auch cool, sich gemeinsam abzuschirmen, keinen mehr reinzulassen zu sich in ihre junge Gemeinschaft.

      Birne konnte mit Abkürzungen nichts anfangen, er wusste, was USA bedeutet und SPD, und dass man sich einen Haufen Zeit im Leben sparen konnte, wenn man diese Wörter nie ganz aussprach, aber alle anderen Abkürzungen regten ihn auf, weil er immer überlegen musste, was die anderen damit meinten und damit die Zeit mit Überlegen wieder einbüßte, die er sich selbst mühsam gewonnen hatte durch das Verwenden von Abkürzungen. MTA.

      »Was ist MTA?«

      »Medizinisch-technische Assistentin.«

      »Ach so. Und da arbeitest du jetzt auch?«

      »Ja.«

      »Klinikum? Labor und so?«

      »Genau. – Und du? Was machst du so? Außer in fremden Wohnungen wühlen?« Sie lachte dabei, und das bedeutete, dass sie ihm verziehen hatte, was Birne gut fand. Er hatte sich zu etwas Albernem hinreißen lassen und hatte dafür das Rendezvous mit dieser wunderbaren Frau geerntet. Birne erzählte ungern von sich, wenn sein Leben so wenig aufregend war wie zurzeit; er ließ sich mühsam rausziehen, was er hier trieb, was er vorher in München gemacht hatte. Dass er hier war, weil ihm diese Stadt wegen einer anderen Frau zu klein geworden war, verschwieg er.

      »Bist du da in einem Labor?«, wiederholte der wildfremde Mann Birnes Frage an Simone. Er hatte halb zugehört und halb nicht, wollte aber auf jeden Fall in ihr Gespräch eindringen. Warum? War er einsam? Wahrscheinlich. Birne war überfordert. Hätte ihm jetzt gerne eine reingesemmelt, um Simone zu beeindrucken. Sie sagte: »Ja.« Und der Mann darauf: »Aha.«

      »Was machst du da?«, wollte Birne wissen.

      »Untersuchungen.«

      Der Fremde lachte, lachte, als ob er gefragt werden wollte, warum er lachte.

      »Warum lachen Sie?«, fragte Birne.

      »Sag du«, sagte der Mann.

      »Du.«

      »Was sollen sie sonst machen im Labor? Untersuchungen halt. Ich bau doch auch keine Kegelbahn, damit die Besucher dann drauf Schach spielen.« Klar. Simone lachte laut. »Entschuldigung.« Hand vor den Mund, böser Blick von Herrn Birne.

      Jetzt Gelegenheit für den Mann für Lebensgeschichte: »War auch mal in einem Labor, hat mir nicht gefallen, wirklich nicht. Ich brauch was anderes, bin dann raus auf die Straße – im wörtlichen Sinn: Ich wurde Kraftfahrer. Ich weiß nicht, wie alt ihr mich schätzt – ihr seid ja noch jung – aber ich habe nun 25 Jahre auf dem Bock eines Schleppers verbracht. Dann war das auch Scheiße wegen dem Kreuz und so und immer dasselbe hirnlose Gelaber aus dem Radio, ganz egal, ob Bayern 1 oder Antenne, immer dasselbe und die Lieder, ich sag’s euch, kein Cash, immer nur Retortengruppen, vom Bohlen gecastet, von RTL über einen Sommer verheizt und du sitzt und fährst und denkst: Mit dieser Musik wirst auch du verheizt, ruinierst dich für irgendeinen Spediteur, der für einen anderen Unternehmer Vieh durch die Gegend transportierten lässt, eine auf den Deckel bekommt, wenn ihm eine Henne verreckt und dieselbe bekommst du auch auf den Deckel mit dem Ergebnis, dass du eine Nacht mehr eine Stunde weniger schläfst, dich für den Kapitalisten aufbrauchst. Nein, hab ich mir gesagt, wann soll das System denn zusammenbrechen, wenn du nicht aussteigst. An dir ist es, geh da raus aus dem System.« Jetzt zupfte er Simone am Ärmel und die sah aus, als hätte sie im Augenblick unterschrieben, hätte er ihr einen Zettel hingehalten, auf dem stand: »Ich steig aus aus dem System.« Aber wohin steigen wir aus? Wovon sollen wir dann leben? Wer bezahlt uns das Nutella aufs Brot und wer uns das Brot?

      »Was machst du dann jetzt?«, fragte Birne.

      »Wie, was mach ich jetzt? Ich sitz mit euch hier und red.«

      Simone lachte.

      »Wovon lebst du?«

      »Von Luft und Liebe. Liebe. Für euch ist das immer so entscheidend: Wer du bist, ist definiert durch das, was dir das Geld bringt. Du isst kein Geld, du bist nicht dein Geld, Alter. Kapier das.«

      Endlich Simone: »Aber wenn gar keiner mehr arbeitet, dann gibts auch nichts mehr, das ist doch dann