Tatort Alpen. Michael Gerwien

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Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



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ein Bohrer, der sich durch eine Maus schob. Er hatte seine Arbeit für erledigt gehalten, die Akte heute Vormittag, noch nach Hustenbonbons riechend, unterschrieben und geschlossen und an die Staatsanwaltschaft in Kopie weitergegeben, sodass die damit anfangen konnten, was sie wollten. Und irgendeiner von den Arschlöchern hatte dort auf die Gelegenheit gelauert, ihm das Bein vollzupissen, denn als er und Trimalchio vom Mittagessen wiederkamen, lag eine Notiz auf seinem Schreibtisch, eine Notiz mit Tinas traumhaft-eleganter Schulmädchen-Handschrift. Er solle kurz drüben in der Staatsanwaltschaft anrufen, man bitte um Rücksprache. Es ging um den Mord, den er so lehrbuchhaft innerhalb einer Arbeitswoche seiner Klärung zugeführt hatte.

      Was er beim Rückruf zu hören bekam vom Arschloch am anderen Ende der Leitung, war nicht schmeichelhaft. Man warf ihm vor, ein Dilettant zu sein, alles zu verstümpern, was ein Polizist falsch machen könne. Im ganzen Akt sei von drei Verhören die Rede, alle Beweise, die er im Moment habe, stützten sich auf Fingerabdrücke, er habe nicht einmal gewartet, bis die im Labor fertig gewesen seien, wo doch in der modernen Kriminalistik die DNA das A und O sei. Er habe den Deckel auf das oberste Blatt fallen lassen, bevor die eigentliche Arbeit angefangen habe.

      »Ich meine, Sie haben kein Geständnis aus Ihrem Mann kitzeln können. Das ist kein Verhör, was Sie da geführt haben – das ist höchstens ein Pseudoverhör. Wenn wir so vor Gericht treten mit Ihren Beweisen aus Papier und Mehl, dann ist das je nach Richter wie eine Münze zu werfen. Bei Kopf sind wir durch und Ihr Mann hinter Gittern« – der Staatsanwalt sagte dauernd »Ihr Mann«, und Abraham fand es blöd, warum sollte es sein Mann sein – »und bei Zahl haben wir verloren, die Justiz einen ihrer schwarzen Tage und Kempten einen Mörder mehr auf freiem Fuß – wir müssen warten, bis ihm danach ist, wieder zu töten – welch Armutszeugnis.«

      Bruno Abraham schluckte, statt zu antworten, ihm war schlecht, er wollte kotzen, sein Vortagesrausch wich einem Kater, der kein kleineres Arschloch war als das, das er gerade am Telefon hatte. Er hatte zum Mittag­essen in einer Stehmetzgerei mit Trimalchio eine Schweinshaxe, eine recht fette, zu sich genommen in der Hoffnung, dass sie ihn von seiner Magenrebellion befreie oder ihn ein Herzinfarkt ganz dahinraffe. Nichts davon war eingetreten. Er saß mit seinem Elend am Schreibtisch, telefonierte und betrachtete seinen Zustand als eine Art Strafe für seine verkorkste Existenz und fand es auf mysteriöse Weise auf einmal irgendwie in Ordnung.

      Das Schweigen auf der Seite Abrahams bewirkte, dass die Stimme des Arschlochs entspannter wurde, und sie davon sprach, dass er das verstehen müsse. »Wir gehen wie Sie davon aus, dass Sie den richtigen Mann verhaftet haben, aber verstehen Sie, wenn wir ihm vor Gericht den Strick drehen wollen, dann brauchen wir Säcke, die so gut verschnürt sind, dass aus ihnen kein Tropfen Wasser mehr sickert. Verstehen Sie?«

      »Ja, schon.«

      »Ich lasse Ihnen die Akte heute Nachmittag noch einmal zukommen und Sie überlegen sich, wie Sie sie noch ein wenig aufpeppen können. Legen Sie sie in einen Kübel mit Wasser und schauen Sie, wo noch Luftblasen aufsteigen, dort flicken Sie noch ein wenig nach und der ganze Käse ist gegessen. Verstehen Sie? Suchen Sie Nachbarn von der Alten, die sie mit Geldscheinen haben wedeln sehen, finden Sie Kebabkunden, die mit dem Messer bedroht wurden, nachdem sie versucht haben, mit zu großen Geldscheinen zu bezahlen. Und so weiter.«

      Der redete mit ihm wie in der Schule, das konnte Abraham nicht ausstehen, ihn wunderte nicht, dass sein Sohn, der Oliver, manchmal dort austickte. Verstand er jetzt einwandfrei.

      »Ist in Ordnung. Lassen Sie die Akte kommen, ich kümmere mich darum, persönlich.«

      »Das will ich hoffen. Nix für ungut.«

      »Nix für ungut.«

      Abraham legte auf und fühlte sich beschissen. Nachbessern. Wie demütigend. Ihm war schlecht.

      Er hatte sieben Tassen Kaffee getrunken und dazu nichts gemacht als trübe geschaut. Er war aufs Klo gegangen und hatte sich übergeben. Er hatte zunächst versucht, leise zu würgen, um unauffällig zu bleiben, als dann aber nichts kam als Speichelwasser, hatte er laut geschrien über das Ungeschick auf der Welt zu sein, und die Schweinshaxe war ihm vom Mund gefallen, war dem Ruf den Weg aus dem Magen über die Speiseröhre gefolgt, hatte Säure und Galle mitgebracht und fiel nun laut platschend als Brunos Kommentar zur Lage in die Schüssel, deren Rand mit jedem Schwall mehr Spritzer aus kleinen unverdauten Speisefetzen zierten.

      Auf dem Rückweg schauten sie ihn an, doch er schritt, ohne sie eines Blickes zu würdigen, zurück an seinen Arbeitsplatz. Dort trank er noch eine Tasse und überlegte nur, ob er gleich noch einmal kotzen gehen sollte, oder versuchen, sich zusammenzureißen vor den anderen im Revier – in seinem Revier.

      Dann war die wunderschöne Tina erschienen, nicht weniger als engelsgleich, und hatte in der Hand ein Stück Unglück, diese kleine schnucklige Pandora.

      »Soll ich’s dahin legen?«

      »Gib gleich her. Danke.«

      »Brauchst du eine Tablette?«

      »Nein, das hilft alles nichts, das Einzige, was mir noch helfen könnte, ist ein Rasseweib wie du.«

      Sie stand kurz an seinen Türrahmen gelehnt und wusste nicht, wie sie reagieren sollte, ob sie sich beleidigt umdrehen und gehen sollte. Sie sagte: »Putz dir erst mal die Zähne, bevor ich mir überlege, ob ich dich küsse.«

      Das war kein klassischer Korb. Abraham schenkte ihr zwei Stoßlacher und beugte sich über die Akte, die sie ihm vor die Nase gelegt hatte, sodass sie, ohne von ihm angestarrt zu werden, den Raum verlassen musste. Abraham schaute freilich gleich wieder hoch, nur um keinen Blick auf ihren geilen Hintern herschenken zu müssen. Keine Frage, sie wusste, wie sie wirkte, und er war so nah dran, sie zu knacken.

      Freitagnachmittag. Das Revier leerte sich nach und nach. Die Kollegen winkten kurz rein und schenkten ihm ein bedauerndes Lächeln, bevor sie abhauten. Trimalchio wollte solidarisch wissen, ob er noch was tun könne. Abraham winkte ab und blätterte lustlos in seinen Papieren und konnte sich nicht entschließen, was zu unternehmen. Ein paar Mal hatte er den Telefonhörer in der Hand, aber noch, bevor er drei Ziffern gewählt hatte, legte er jedes Mal auf. Er stand auf und ging in das Vorzimmer, wo Tina immer noch geschäftig war oder nur so tat und wartete, bis sie allein waren. Er ging zur Kaffeemaschine, blieb dort hinter ihr in ihrem Nacken so lange stehen, bis sie sich umdrehen und fragen musste: »Gibt’s was?«

      »Nein, nein, ich denke nur. Hast du heute so viel Arbeit?«

      »Ich bin am Freitag öfter so lang hier, da ist es ruhig, weißt du.«

      Abraham musste sich beherrschen, um vor Glück nicht loszuzittern. Außer ihnen beiden waren nur noch drei Beamte von der Bereitschaft auf dem Revier.

      »Hast du Ärger wegen dem Mord bekommen?«

      »Kann man so nicht sagen – ich meine, die Frau war 86. Wer soll da noch Ärger machen? Ein paar Kleinigkeiten. Bürokratenkram. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich nicht damit belästigen.«

      Zu dem Satz »Macht mir nichts, keine Sorge« schenkte sie ihm das süßeste Lächeln, das er, hätte ihn jemand gefragt, je bekommen hatte.

      Er schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und kehrte an seinen Schreibtisch zurück, den Kaffee ließ er nach dem ersten Schluck stehen und kalt werden. Der Spätnachmittag brach herein, das Wetter wurde schlechter, wurde sogar richtig übel. Aber sein Kater wurde kleiner, verschwand sogar ganz gegen 17 Uhr, als ein Anruf reinkam, ein Notruf, er bekam’s aus dem Vorraum mit. Ein Einbrecher. Den wollte er noch sehen, bevor er heimging.

      Zwei Beamte fuhren los mit einem Streifenwagen, er war fast allein mit Tina und wurde nervös. Jedes Blatt hatte er schon zig Mal studiert und dennoch hörte er nicht auf, in der Akte zu blättern. Gleich würde er rausgehen zu ihr und sie zum schönsten Wochenende ihres Lebens einladen. Gleich.

      Die Streife war nicht lange aus, ein Unwetter war über der Stadt hereingebrochen, es schneite wieder. Abraham konnte hören, wie sie den Einbrecher brachten: Sie ließen ihn eine Weile zappeln vor der Tür. Das war in Ordnung, das machte den Gauner kleiner. Am Anfang maulte er, dann wurde er still. Sie ließen ihn seine Taschen leeren, nahmen Fingerabdrücke