Tatort Alpen. Michael Gerwien

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Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



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Weltuntergang glauben konnte. Das wusste Birne, stand ja auch in den Büchern, die sie verlegten, brauchte man ihm nicht zu erzählen und auch nicht, dass es sakrisch kalt war da oben um die Jahreszeit jetzt, dass es schneien konnte, teilweise bis auf 700 Meter runter. Es schneite manchmal auch noch in der Stadt um die Zeit trotz Klimawandel oder gerade wegen. Hier war man drauf eingestellt, hier kam sofort der Streudienst, aber auf dem Berg, da konnte es richtig eng werden. Birne kaufte, kaufte, kaufte. Er spürte keine Erregung, als er das Geld raushaute, er fühlte auch kein Bedauern, das mit dem Geld berührte ihn kaum, heute Abend konnte er schon mehr davon berühren; die Menschen, sie halten sich immer so am Materiellen fest, was sie doch nicht mit ins Grab nehmen konnten. Was wollten sie auch im Grab damit? Was wären das für Friedhöfe, würde man die Menschen mit ihrem Lieblingsramsch begraben? Natürlich wäre die Welt dann auch einen Haufen Dreck los.

      Birne schleppte schwer zum Büro zurück, aber er war froh dabei.

      »Und wie war’s?«, fragte Alexa mit einem spitzbübischen Grinsen.

      »Weiß nicht, ich bin ein bisschen konfus.«

      »Ich hab keinen erreicht.«

      »Wie?«

      »Na, ich wollt doch Schluss machen und hab dazu angerufen und dann war keiner da.«

      Die hatte er ganz schön auf seine Seite gebracht, die Kleine, so nah wollte er sie gar nicht dort haben.

      »Ich hab dir gesagt, lass es, wart ein bisschen, wahrscheinlich heiratet ihr noch, dann täte dir die Affäre Birne leid.«

      »Affären tun nie leid.«

      »Du spielst nur, hör mal auf mit dem Spielen.«

      »Was hast du da in den Tüten? Bist du wo ausgezogen?«

      »Nein, hab eingekauft.«

      »Schuhe, nehme ich an.«

      »Schuhe? Ja, Schuhe.«

      »Du, ich freu mich«, sagte Alexa.

      Birne hätte sich auch gern gefreut, er fand sie nett, aber die Zulauf-Sache drückte, die musste erst aus der Welt sein. Blöd, dass sich im Leben die Geschichten nicht aneinanderreihten, anfingen, wenn die vorige jeweils zu Ende war, sondern dass sich die Stränge so verwirrten.

      Im Geschäft blieb er nur noch eine Stunde. Am Freitag schaute einen keiner krumm an, wenn man mal früher ging. Werner war sogar schon ein Weilchen vor ihm weg. Tim nahm seinen Abgang zum Anlass, selbst zu verschwinden. Was wollte der Kerl von ihm? War er am Ende schwul? Konnte man da an einem Abend mal ein paar Bierchen spendiert bekommen?

      »Du hast ja fest eingekauft heute«, laberte er Birne an.

      »Du, ein bisschen Grundausstattung, ein bisschen was bleibt immer auf der Strecke, wenn man den Ort wechselt, das braucht man dann wieder.«

      »Verstehe. Gewürze.«

      »Gewürze?«

      »Na, wenn du wo raus musst, dann schmeißt du sie weg, dann kommst du an, willst dir das erste Schnitzel braten und du hast nicht mal scheißschwul Pfeffer.«

      »Schnitzel?«

      »Zum Beispiel.«

      Schmeißen Baden-Württemberger irgendetwas weg? War Tim eigenartig, aus der Art gefallen? Musste man aufpassen?

      »Wie gefällt es dir bei uns?«, bohrte er.

      »Passt.«

      »Was heißt passt?«

      »Passt.«

      »Hast Glück, hast ja eine nette Bürokollegin. Die kleine Praktikantin.«

      »Passt.«

      »Die ist schon nett.«

      »Ist es bei euch nicht nett?«

      »Doch, doch.«

      »Lad sie doch mal ein in der Mittagspause.«

      »Jetzt ist sie erst mal mit dir unterwegs.«

      »Woher weißt du das?«

      »Man redet halt.«

      »Gut. Ich geh jetzt heim. Schönes Wochenende.«

      »Tschüs, dir auch«, sagte er, und es klang nicht zu freundlich. Da trennten sie sich und ihre Wege auch.

      Birne ging heim, zum Ort seiner kommenden Tat, und erledigte blödsinnige Sachen, spülte ab, duschte, las im Wirtschaftsteil seiner Zeitung. Legte sie noch einmal so zusammen, wie er sie bekommen hatte.

      Dann fielen ihm die bescheuerten Fingerabdrücke ein. Er war auch ein Mensch, er hinterließ auch welche, er musste etwas unternehmen. Er stand unter der Dusche, als er das dachte, deswegen konnte er nicht sofort in seinen Kleidern wühlen nach Handschuhen. Kaum trocken, noch in den Unterhosen, stellte er fest, dass er welche aus Wolle und alte, abgegriffene aus Leder, besaß. Beides keine richtigen für Einbrecher, was er streng genommen aber nicht war – er hatte einen Schlüssel. Vielleicht war das gar nicht mal Unrecht, was er beging, wenn es nur nach der Moral und nicht nach dem Gesetz ging, schon gar nicht.

      Er zog sich schwarz an, unbewusst, es fiel ihm erst auf, als er in den Spiegel im Hausgang blickte, im Begriff, den nahen Baumarkt aufzusuchen und dort Aids-Handschuhe zu besorgen. Waren die sicher, konnten die reißen? Eine Spur von Finger, wenn er ein Möbelstück berührte, konnte das Aus seines blütenreinen Führungszeugnisses bedeuten.

      Im Baumarkt lief bescheuerte Musik aus den 80ern von Phil Collins. Dabei hatte Birne schon gerechnet und gehofft, nie wieder an einen Ort zu kommen, wo man so etwas spielte. Um nicht allzu verdächtig zu wirken – er hatte nicht einmal ein Auto – kaufte er zu den Handschuhen noch zwei Dreifachstecker. Die waren nicht teuer, und die konnte man immer brauchen. Den Kassenzettel zerriss er mehrmals, bevor er ihn in den Papierkorb warf. Die trennen hier am Ausgang den Müll, sagenhaft, dachte Birne, und erschrak, weil er fürchtete, dass niemand auffälliger war als einer, der seinen Kassenzettel zerreißt, bevor er ihn auch noch in den richtigen Müll warf. Birne, Birne.

      Daheim schaute er lange die Haustür der Toten an, hinter seiner steckte er seine neuen Stecker zusammen. Sie passten. Jetzt hatte er nichts mehr zu tun. Jetzt musste er los.

      Birne kannte sich aus, er hatte einen Schrank hierher getragen, er hatte einen Schnaps getrunken. Er hatte sich die Handschuhe über- und dann seine Wohnungstür zugezogen und war schnell und ohne zu stolpern die zwei Treppenabsätze zur Alten hinuntergerannt. Vor der Tür hatte er nicht gezögert, wie einer auf dem Zehnmeterturm nicht zögern darf, wenn er wirklich springen will: Er hatte den Schlüssel in das Schloss gesteckt, und als er passte, war er hineingeschlüpft und hatte sich schwer schnaufend zwei Minuten an die geschlossene Haustür gelehnt. Er war drin. Die Tat war praktisch vollbracht.

      Im Hausgang war es dunkel, obwohl es auf der Straße noch nicht dämmerte. Es roch ähnlich wie beim ersten Mal nach alter Frau, nur irgendwie unbewohnter. In der Küche tickte eine Uhr, es war still, Birne hörte Autos auf der Straße. Die Uhr tickte, die Autos fuhren, er war drin, sein Herz schlug, trotzdem fühlte er sich sicher. Hier war zwei Tage lang keiner mehr gewesen, wer sollte jetzt kommen? Das war keine Falle. Wie sollten die Türken wissen, wann er hier eindrang? Er hatte zum Wohnzimmer zu gehen, auf dem Fernseher stand ein Bild, dahinter eine Keksdose mit Geld, das wäre der Beweis, damit wäre der Herr Kemal frei; er könnte direkt mit der Dose zur Frau Kemal gehen und mit ihr zu den Bullen. Die Sache in dieser Wohnung würde keine zwei Minuten dauern.

      Birnes Augen gewöhnten sich an das Halblicht, er konnte sehen, dass er auf einen Teppich trat, er konnte einen kleinen Telefontisch erkennen, der ihm im Weg war, als er den Schrank trug, das Telefon darauf blieb stumm, vielleicht schon abgemeldet. Birne bewegte sich langsam und achtete sehr auf den Weg, er wollte nicht fallen, er wollte keine Geräusche machen. Am Ende des Gangs führte die linke Tür ins Wohnzimmer, da musste er rein; ein Stockwerk höher lag hinter der Tür das Zimmer, in dem sein Bett stand. Die rechte Tür führte in die Küche, dorthin wollte er nicht, denn dort hatte sie gelegen, dort klebten vielleicht noch die Spuren ihres Bluts auf dem Boden. Birne