Tatort Alpen. Michael Gerwien

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Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



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Ja, ja, ich glaub, da kommt was, ja, ja, oh nein, das war wieder nur mein Magen. Scheiße. Aber lass es uns nach dem Mittagessen noch mal probieren. Mit leerem Bauch verliebt es sich so schlecht.«

      »Kann ja sein, dass es jetzt klappt, ich wünsch dir das Beste.«

      »Und wenn das Beste ist, dass ich nach dem Essen noch frei bin?«

      »Das Beste.«

      »Du kannst ja schon mal Schluss machen.«

      »Mal sehen.«

      Sie ließ ihn aufbrechen.

      Der andere Laden, der des Bruders, war ein bisschen größer, ein bisschen mehr Wirtschaft. Die Frau Kemal wartete auf ihn, und Birne fragte sich, wer denn ihren Laden gerade hütete.

      »Unser ältester Sohn kann das übernehmen. Kann ich Ihnen meinen Bruder vorstellen?« Frau Kemals Bruder war groß und stämmig, hatte riesige Augenbrauen und ein lachendes Gesicht. Er trug ein schwarzes Unterhemd und eine dicke Kette darüber. Birne mochte ihn irgendwie.

      »Hallo«, sagte er mit lauter Stimme und deutete auf einen Tisch mit drei Stühlen. »Setzt euch, ich komm gleich.«

      Frau Kemal sagte leise, als ob es niemand hören dürfte. »Mein Bruder hat eine deutsche Frau, sie hilft manchmal hier im Geschäft, sonst geht sie zur Arbeit.«

      Birne überlegte, was er mit dieser Information anfangen sollte. Der Bruder kam, stellte ein Tablett mit drei kleinen Teegläsern hin und setzte sich dazu.

      »So«, sagte er. »Haben Sie sich entschieden, Herr Birne?« Sie mussten seinen Namen vom Briefkasten abgelesen haben.

      »Ich weiß immer noch nicht genau, was Sie von mir wollen.«

      »Herr Birne, wir sind in gewisser Weise in einer Not­situation. Aber selbstverständlich würden wir uns erkenntlich zeigen.« Frau Kemal schaute Birne groß an und war zur Verstärkung neben ihren Bruder gerückt, während der Daumen und Zeigefinger aneinander rieb, um Birne klarzumachen, dass Geld dabei rausspringen würde.

      »Verstehen Sie mich nicht falsch, es geht mir überhaupt nicht um Geld. Wenn ich Ihnen wirklich helfen kann, dann will ich dafür nichts annehmen, verstehen Sie?«

      »Ich will niemanden anderen jetzt mehr fragen. Ich will Sie, Herr Birne«, sagte der Bruder, als wäre das irgendeine Antwort auf Birnes Bedenken. »Wir Türken haben es nicht leicht in Ihrem Land, so schön Ihre Politiker auch reden. Ich will mich nicht beklagen, man kann sich hier einrichten.« Er schaute sich in seinem Gastraum um. »Trotzdem fühlt man sich gelegentlich als Mensch zweiter Klasse, verstehen Sie.« Birne nickte. »Es heißt immer typisch Türke, wenn irgendwas war. Gerade in dieser Stadt, die sehr schön ist, das mag ich gar nicht abstreiten, aber ich komme hier ungern in Schwierigkeiten.« Er schaute Birne groß an.

      »Wie kommen Sie ausgerechnet auf mich?«

      Frau Kemal mischte sich wieder ein: »Das kommt vom Eindruck. Sie sind sympathisch. Ich habe Sie helfen gesehen.«

      Das stimmte, sie hatte ihn vorher nur der Frau Zulauf den Schrank hochtragen sehen. »Es ist auch für die arme Frau Zulauf«, fuhr sie fort. »Ich will, dass ihr Mörder gefunden wird.«

      »Sehen Sie, ich habe selbst eine deutsche Frau.« Birne fragte sich wieder, was der Bruder ihm damit sagen wollte.

      »Wieso macht die das dann nicht?«

      »Machen Sie es«, sagte Frau Kemal, beugte sich weit zu ihm vor und hätte beinahe ihre Hand auf seine gelegt.

      Birne war irgendwann in der Nacht schon mal näher dran gewesen, ja zu sagen. Im Moment kam ihm das alles wieder eigenartig vor.

      Frau Kemal begann, in ihrer Handtasche zu kramen und nebenbei Birne zu beobachten, auch der Bruder schaute fest auf ihn. Birne war das unangenehm, er trank seinen Tee, der lauwarm wurde, sagte »Ich weiß nicht.«

      Der Bruder lächelte ein ungeheuer gewinnendes Lächeln und sagte überhaupt nicht bittend: »Bitte.«

      Birne wäre gern woanders gewesen. Frau Kemal hatte gefunden, wonach sie gewühlt hatte, und legte einen Schlüsselbund auf den Tisch: »Hier sind sie, die Schlüssel.«

      »Können Sie vielleicht heute schon rein? Mein Schwager hat eine sehr ungute Zeit im Gefängnis.«

      »Oh ja«, bestätigte Frau Kemal ihren Bruder in einer Unterwürfigkeit, die ihm neu an ihr war. Die versuchten, ihn kleinzukriegen. Birne hatte generell ein Problem mit dem Neinsagen, hier war es besonders schwer.

      »Ich will es probieren«, sagte er.

      »Wunderbar«, lobte der Bruder. Und Frau Kemal wurde konkreter: »Wenn Sie in der Wohnung sind, sehen Sie auf den Fernseher, dort steht ein Bild von einem Kind, das ist der Enkel, dahinter steht eine Dose, darin müsste das Geld sein. Seien Sie vorsichtig, ich denke, es ist nicht wenig.« Sie schob den Schlüsselbund zu ihm herüber, daran hingen ein Haustürschlüssel, den hatte er selbst, ein Briefkasten- und ein Wohnungsschlüssel. Zögernd griff er danach.

      »Kann ich Ihnen noch etwas ausgeben?«, fragte der Bruder, um Birnes Entschluss zu beschleunigen.

      »Nein, danke; ich muss zurück ins Geschäft, meine Mittagspause ist vorbei.«

      »Vielen Dank.«

      Sie ließen ihn aufstehen und sich verabschieden, schauten ihn fest an, wie er die Schlüssel in die Hose schob und sich langsam hinaus. Benommen trat er an die Sonne und ging zurück. Was hatte er getan? Musste er den zweiten Schritt gehen? Wem hatte er sich verpflichtet? Hatte er etwas unterschrieben? Er wusste nicht einmal, ob das so richtig illegal war, was er da tun sollte. Und während er ging, kam was Neues in seine Nase, das war der Geruch von Abenteuer. In die Wohnung einer Ermordeten eindringen, in ihren Resten wühlen – und einen Unschuldigen aus den Ketten einer ungerechten Justiz loseisen.

      Birne wurde aufgeregt, er wollte irgendwie gleich los, er wollte da rein, er wollte was tun. Ihm fiel der Sonntag ein, am Sonntag hatte er schon was vor, am Sonntag sollte er auf den Berg. Einfach so ging das nicht. Einerseits war er nicht sonderlich trainiert – er hatte eben erst angefangen. Das bereitete ihm keine Sorgen, Fettere hatten es auf andere Berge geschafft. Andererseits fehlte es ihm an Material. Er brauchte Schuhe, die Schuhe waren das Wichtigste. Im Prinzip war das in Ordnung. Er wollte raus aus dieser Stadt in ihre Umgebung, die sich lohnen sollte, wenn man den Menschen glaubte. Er kam aus einer großen Stadt und hatte gelernt in ihr zu leben, gut zu leben, jetzt musste er es mit dieser kleinen Stadt aufnehmen. Sie hatte ihre Reize und ihre Fallen und die Herausforderung war, hier genauso König zu werden wie anderswo. Ein Scheitern wollte er sich nicht erlauben. Es waren alle Spießer hier, und wenn es nur zehn Gerechte gab, galt es, sie zu finden.

      Diese Mittagspause würde er noch nutzen, sich auszurüsten. Läden gab es genug. Nur der, in dem man nicht versuchte, ihm Ramsch anzudrehen, war nicht leicht zu finden.

      »Bergsportgeschäft.«

      Rucksäcke, Wanderstöcke, ein Zelt, Rucksäcke und Schuhe im Schaufenster. Keine Frau, die bediente, sondern ein Mann, der ihn ein bisschen an Werner ohne Bauch oder jünger erinnerte.

      »Das sind die besten. Guter Mann, ich geh jeden Tag auf’n Berg. – Glaubst mir nicht? Kannst mir ruhig glauben.«

      »Glaub ich doch.«

      »Drücken sie?«

      »Kaum.«

      »Die musst jetzt einlaufen, dann gehen sie gut. Hast einen Rucksack?«

      Birnes war zu klein, er musste dem Mann einen neuen abkaufen, der nicht ganz billig war, das nicht, aber er würde halten die »nächsten 30 Jahre«. Dann konnte man es machen. Wenn man dann 30 Jahre keinen mehr kaufen musste. Kaufte man sich einen nur halb so guten, musste man in 15 Jahren schon wieder einen neuen kaufen und mit der Inflation konnte man das nie mehr einsparen. 30 Jahre Ruhe, nie mehr einen neuen Rucksack kaufen. Geil. Die Trinkflasche gehörte dazu, die war nicht mehr teuer im Vergleich zum Beispiel zum Regencape, ohne das es bescheuert wäre, auf einen Berg zu gehen. Das Wetter schlug