Tatort Alpen. Michael Gerwien

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Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



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können. Tina hatte wieder keine Zeit gehabt, sie war weg, als er ins Revier kam, er rief ihr nach aufs Handy, wollte sie einladen und sich den Tag retten. Sie redete von Kreislauf und sich hinlegen und maximal noch ein bisschen glotzen. Er hätte sich dazu gelegt, sagte das aber nicht, sondern wünschte einen schönen Abend – sie auch – und hoffte, dass sie nicht versuchte, mit ihm zu spielen, und ihn zwang, sie das bereuen zu lassen. Er war nach Hause gefahren und hatte seinen Sohn, seinen Oliver, wortkarg vor einem Computerspiel vorgefunden. Er hatte dagegen nichts. Wenn er sich hier abreagierte und auf Nazis und Zombies schoss, würde er draußen den Mitmenschen gelassener begegnen. Freilich widersprachen ihm da die Pädagogen, aber immerhin war er einer, der von wahrer Kriminalität auch ein bisschen Ahnung hatte; und als Fachmann konnte er sagen, dass er wenig Gewalttäter festnahm, die sich mit Computerspielen hochgeheizt hatten, dafür relativ viel Ausländer – wie bei seinem jüngsten Fall. Aber wehe, darüber redete man mal, dann hieß es gleich wieder, man sei Rassist. War Abraham nicht, aber dafür war er auch nicht, für die ganzen Ausländer überall.

      Sein Sohn hatte Probleme in der Schule, und eigentlich war das Abraham zu viel, er hatte selbst genug am Hals, sollte der Junge halt diese Klasse wiederholen, er hatte schließlich genug durchgemacht mit seiner Mutter, das dürfte jedem Personalchef als Entschuldigung genügen, und wenn nicht, dann könnte er immer noch zur Polizei gehen. Hauptsache, Abraham verlor nicht seinen besten Kameraden, seinen Sohn.

      Jetzt würde er etwas für seinen Körper tun und sich den Frust rausschwitzen, später würde er sich heillos und gründlich besaufen. Er wunderte sich, warum er sich nicht besser fühlte.

      *

      Birne hatte jetzt seinen einsamen Abend. Er schlief schlecht, irgendetwas kratzte im Hals, er schaute eine Stunde und 24 Minuten an seine Zimmerdecke. Die war furchtbar montiert. Sie war verzogen, Latten waren zu kurz geschnitten, sie war in zwei Farben, die dieselbe sein sollten, gestrichen. Birne verstand nichts davon, aber wer auch immer das gemacht hatte, war ein Pfuscher.

      Birne schlief ein, ohne einen Entschluss gefasst zu haben.

      Der letzte Tag der ersten Woche. Birne erwachte mit dem zufriedenen und guten Gefühl, einen kleinen Berg bestiegen zu haben. Was würde der Tag bringen? Birne konnte es schaffen, er konnte ein neues Leben haben, wenn er wollte. Nichts bereitete ihm Sorgen. Er hatte eine Zeitung, er hatte ein beinahe zwischenfallloses Frühstück: Ein bisschen Kaffee lief auf den Tisch. Was sollte es? Ein Lappen, nass gemacht, weggewischt und sich auf den Weg begeben.

      Es war halt ein Tag, ein Freitag. Er war angekommen.

      Ohne sich mehr zu denken, ging er zur Arbeit, zu seinem Büro, das sich zu seinem kleinen Reich entwickelte. Er wollte den Tag gemütlich beginnen, ein bisschen im Internet nach Neuem schauen, vielleicht eine aufregende Band entdecken oder eine schöne Videoseite, entspannt in den Tag hineinschaukeln und ihn vergehen lassen. Im Wesentlichen kümmerte sich niemand um das, was er tat, er ließ sich treiben und erschien in der Regel zur Mittagspause, um sich mit den Kollegen in Konversation und Mahlzeit zu ergehen.

      Eine Überraschung erwartete ihn, zwar eine, die seine Pläne, so man sie schon so bezeichnen durfte in ihrer Richtungslosigkeit, durcheinanderbrachte, aber nicht in einer von Haus aus unangenehmen Weise. Die Praktikantin war da, den ganzen Tag in seinem Büro, ihm gegenüber geparkt.

      Sie sagte »hi« und »ich bin die Alexa.« Und er sagte »hi« und »ich bin der Birne.«

      »Birne? Einfach Birne.«

      »Für dich einfach Birne.«

      Sie wurschtelten eine Weile vor sich hin, sie bot sich an, Kaffee zu kochen für die Mannschaft, die Mannschaft nahm dankend an und schlürfte dann kräftig.

      Sie schrieb E-Mails, als Birne fragte: »Wie war’s mit dem Chef unterwegs?«

      »Nett.«

      »Nett?«

      »Nichts Besonderes.«

      »Wie lange bist du da?«

      »Jetzt schon oder wie lange noch?«

      »Beides.«

      »Also, ich bin jetzt zwei Wochen da und bleib noch vier.«

      »Dann bist du ja länger da als ich. Und? Wie gefällt’s dir?«

      »Gut.«

      Sie hatte zahnfleischige Lippen und kleine Zähne, das störte Birne ein bisschen in seiner Konzentration, so ein Mädchen.

      »Was machst du?«

      »Also, ich hab jetzt mein Abitur fertig und dann hab ich eine Weile gearbeitet und werde jetzt dann anfangen zu studieren. Hier. Tourismus.«

      »Bist du von hier?«

      »Kann man sagen, aus der Gegend.«

      »Und willst nicht fort?«

      »Nein, niemals, hier sind alle meine Freunde und die Gegend ist am schönsten.«

      »Deswegen Tourismus.«

      »Wir haben hier viel Tourismus. Ich hab mir auch überlegt, eine Lehre zu machen, dann hab ich aber nicht gewusst, was ich machen soll und dann hab ich mir gedacht, dass ich vielleicht zu alt bin, wenn’s mir nicht gefällt und ich doch noch studieren will.«

      »Ist logisch. Die Zeit ist kostbar.«

      »Ich kenne halt viele, die ihre Zeit im Studium vertrödeln und später, wenn sie fertig sind, fast nichts finden, weil sie zu alt sind, und das will ich gar nicht: irgendwas machen, was ich gar nicht will, nur weil ich zu alt bin. Und dann bin ich halt eine Frau, Stichwort Kinder kriegen und so weiter, das spielt auch eine Rolle.«

      »Klar. Hast du denn einen Freund?«

      Sie zögerte. »Nein. Ja, der ist grad weg.«

      »Zivildienst?«

      »Nein, auch Praktikum, die haben ihn doch ausgemustert, weil sie nicht so viele brauchen zurzeit.«

      »Ist ja auch kein Spaß mehr heutzutage, muss man ja immer damit rechnen, dass man ins Ausland zum Einsatz muss und da kann es immer sein, dass sie dich in die Luft sprengen, auch wenn du nur Wehrdienst leistest. Andererseits ist die Bezahlung auch gut und gleich noch viel besser, wenn du nur ein Vierteljahr hinhängst.«

      »Hast du das gemacht?«

      »Nein.«

      »Kennst dich aber gut aus damit.«

      »Hat mir jemand genau erzählt«, sagte Birne, weil ihm Reden im Moment gefiel, weil egal war, was er sagte. »Und dann will dein Freund das Gleiche studieren wie du?«

      »Nein, der will weg, vielleicht nach Kiel.«

      »Nach Kiel? Leck mich, das ist ganz das andere Ende.«

      »Jetzt weiß ich halt nicht, was ich tun soll, weil ich keine Lust auf Fernbeziehung habe.«

      »Kann ich gut verstehen. Das geht schief, eher früher als später.«

      »Meinst du?«

      »Sicher, ich kenne niemanden, bei dem das lange gehalten hat. Immer große Worte und dann war die Liebe schnell überschätzt, gerade wenn die Sprüche und Versprechen besonders groß waren.«

      »Da ist was dran.«

      »Was will er denn studieren?«

      »Volkskunde.«

      »Volkskunde?«

      »Ja.«

      »Scheiße.«

      »Scheiße?«

      »Scheiß Volkskunde.«

      »Wieso Scheiß Volkskunde? Weil das so brotlos ist?«

      »Quatscho. Volkskunde ist nicht brotlos, nicht für einen, der wirklich was will, da musst du dir keine Sorgen machen. Aber Volkskunde: Mensch, viel zu viele Frauen, da hat jeder was laufen,