Tatort Alpen. Michael Gerwien

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Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



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zu werfen und dazu »Ich liebe Deutschland« zu grölen.

      Birne war überfordert, er musste jetzt was tun. »Hey!«, schrie er zu den drei Randalierern, die ihm mit einem Lachen antworteten. Sie schrien auch »Hey«.

      Der Dicke kam auf ihn zu, langsam, und wollte bedrohlich wirken, schaute sich aber immer wieder zu seinen Kameraden um, damit die nicht einfach abhauten.

      Eineinhalb Meter vor Birne baute er sich auf und fragte: »Was, hey?«

      »Lasst die Frau in Ruhe, die hat euch nichts getan.« Birne war nervös, während er das sagte, und man hörte ihm das auch an.

      »Lasst die Frau in Ruhe«, äffte der Dritte ihn nach; er war eine Art Aushilfs-Hip-Hopper mit einem goldenen Kettchen und einer schiefen Baseballmütze. In jeder normalen Situation, dachte Birne, hätte man ihn nur auslachen können ob seiner Erscheinung. Jetzt hatte Birne echte Angst und rechnete mit einer körperlichen Ausein­andersetzung.

      »Wir wollten doch nur auch etwas zum Trinken – so wie Sie«, sagte der Dicke.

      Der Blasskopf wurde plötzlich vernünftig und pfiff seinen Kumpel zurück: »Komm, die wollen jetzt vögeln, die Türkin und der deutsche Schlappschwanz. Lassen wir sie.« Die drei traten geschlossen ab, nicht, ohne dass der Blasse, der gerade so vernünftig war, mit einem kräftigen »Servus« den Papierkorb neben dem Eingang umtrat. Dann verschwanden sie, etwas Unverständliches murrend.

      Birne hätte heulen mögen wegen seines Versagens und überlegte kurz, ob er der Frau helfen sollte, den Müll aus Papierservietten und Essensresten wieder einzusammeln, entschied aber, dass nichts diesem Augenblick ein Stückchen Würde wiedergeben könnte.

      »Helfen Sie?«, kam die Frau auf ihn zurück.

      Birne schaute verlegen auf seinen Teller und schämte sich der Krautschnipsel, die darauf lagen, die er geschenkt bekommen und aus seinem Kebab fallen hatte lassen. »Was kann ich tun?«

      »Ich habe einen Schlüssel zu Frau Renate Zulaufs Wohnung. Sie hat mir vertraut.«

      Birne klaubte Kraut auf von seinem Teller und steckte es sich in den Mund.

      »Gehen Sie da rein und suchen Sie etwas, was meinem Mann helfen könnte, da wieder rauszukommen. Gehen Sie zur Polizei damit. Sie sind ein junger blonder Mann. Ihnen werden sie glauben.«

      Birne wollte seine Ruhe, er wollte keine Hilfe, von niemandem, und er wollte niemandem helfen müssen. Er wollte dafür lieber wegschauen. Aber jetzt konnte er nicht wegschauen, nicht auf seinen Teller, nicht auf die andere Seite, er war angesprochen worden und er musste reagieren. Er wollte kein schlechter Mensch sein, er hielt sich für keinen, er hielt sich für einen normalen.

      »Also gut. Ich mach was. Aber versprechen Sie sich nicht zu viel davon. Erwarten Sie nichts von der Polizei, die sind auch schlecht.«

      »Oh«, freute sie sich und holte ihm ein süßes Stückchen, das Birne schwer kauend unter ihren verliebten Blicken und begeistertem Schweigen zu sich nahm.

      Als er dankend gehen wollte, sagte sie: »Treffen wir uns morgen bei meinem Bruder, er wird Sie auf einen Tee einladen.«

      »Wo?«

      »Sie kennen die Bahnhofstraße?«

      »Ja.«

      »Bevor sie zur Fußgängerzone wird, gibt es rechts zwei türkische Imbisse, der vordere ist der von meinem Bruder. Dort treffen wir uns.«

      »Geht in Ordnung. Vielen Dank.«

      »Ich danke.« Sie machte ihm die Tür auf zum Hinausgehen.

      Auf dem Weg zurück zum Geschäft wurde Birne unwohl, weniger im Bauch als im Kopf. Er hätte sich darauf nicht einlassen sollen. Was sollte er in der Wohnung finden? Er war kein Detektiv, er hatte keine Erfahrung im Suchen von Hinweisen in fremder Umgebung. Er war nicht professionell. Sie mussten noch mal darüber reden, worauf er aufpassen sollte, wenn er drin war. Sie sollten es am besten ganz abblasen. Das würde nichts bringen. Auf der anderen Seite klammerte man sich nun mal an die letzte Hoffnung, wenn der Mann wegen Mordes im Gefängnis saß.

      Wenn er das Geld fände, wäre wirklich bewiesen, dass es kein Raubüberfall gewesen war. Aber wieso sollte dann jemand die alte Frau Zulauf umbringen? Wieso stieg nicht der Bruder ein, fand das Geld und brachte es zu Birne, der damit ja dann zur Polizei laufen könnte? Waren die Türken am Ende gerade dabei, ihm eine Grube zu graben, damit er als Verdächtiger dastünde? Birne habe die Alte ermordet, das Geld aber nicht finden können. Nun, da ein Unschuldiger im Gefängnis sitze, suche er noch einmal in Ruhe nach der Beute.

      Die Frau sah ehrlich aus, wenn man Birne aufrichtig danach fragte.

      »Hoi, warst du doch beim Essen?« Tim hatte ihn erwischt und war ebenfalls auf dem Rückweg.

      »Unterzucker plötzlich, hab unbedingt was holen müssen. Kommt bei mir ganz oft, weiß auch nicht, wieso. Sollte vielleicht wirklich mal zum Arzt gehen. Am Ende ist es was Ernstes.«

      Tim schaute auf die Uhr. »Wird schon nicht so schlimm sein. Du, wir könnten noch ein Weilchen. Hast du noch Lust auf einen Kaffee?«

      »Den können wir auch im Büro. Heute ist das Wetter eh nicht so.«

      Birne hatte gewonnen, sie gingen schweigend zurück. Den einsamen Abend und die einsame Nacht hatte er vor sich, um die Sache zu überdenken.

      Er wollte noch etwas für den Körper tun; wenn auch nicht mit Leibesertüchtigung, so konnte er es vielleicht brauchen. Er würde in eine fremde Wohnung einsteigen, das erforderte Kraft und körperlichen Mut. Allerdings würde er einen Schlüssel haben.

      Er würde nicht in eine Wohnung einsteigen, wer war er?

      Er war, die Sporttasche geschultert, auf dem Weg ins Studio. Er wollte zurück, heim zu Weizen und Zeitung. Ihm war eingefallen, dass er den Kommissar Bruno treffen könnte, er wollte den nicht treffen, der nahm ihm seinen Fall weg.

      Er war wieder wichtiger geworden in dem Fall, er würde vielleicht entscheidende Hinweise liefern, die der faule Bulle nicht hatte. Er würde ihm ganz anders entgegentreten diesmal, er war nicht mehr neu, er wusste, wie der Hase lief.

      Es war weniger los an diesem Tag. Birne durchlief ein Programm, das sie ihm als Anfänger empfohlen hatten, und hatte es dann eilig rauszukommen. Die blonde Schöne war ihm nicht begegnet, die anderen Frauen hatten ihn nicht interessiert, er wollte Bruno nicht sehen.

      Er kam, als er ging, grüßte ihn nebenbei nickend. Birne war ihm wurst.

      Jetzt ließ er es krachen und sprach ihn an: »Bist auch öfters hier?«

      »Ja, ab und zu.«

      »Ich auch.«

      »Willst danach mal was trinken gehen?«

      »Gern. Wenn es dir nicht zu früh ist mit dem Schnaps.«

      »Für Schnaps ist es nie zu früh, aber oft zu spät.« Er lachte. Birne auch, sie würden nie was trinken gehen, schwor er sich.

      »Wann soll ich denn zum Verhör kommen?«

      »Ach, du«, antwortete der Kommissar. »Wir melden uns dann. Deine Nummer haben wir, nicht?«

      »Ja.«

      »Also dann, bis dann. Ich muss rein, ich bin verabredet nachher, du verstehst.«

      »Freilich. Schönen Abend.«

      »Ebenfalls.«

      Schöner Abend, Scheiße schöner Abend. Die Begegnung mit dem Wichtigmacher und Kollegen von Werner hatte gefehlt. Den würde er bestimmt so wenig verhören, wie er mit ihm Schnaps trinken würde nach dem Studio. Der Fall nervte ihn, den würde er so schnell wie möglich zu den Akten legen. Der Besuch bei der Türkin hatte nichts gebracht außer neuem Geschrei. Er hatte sich den Platz zeigen lassen, wo die Messer hingen, er hatte sich zeigen lassen, wie die Frau und ihr Mann den Laden abends verließen, wie sie ihn absperrten. Alles aufregend wie ein verkaterter Sonntagnachmittag vor dem Fernseher. Dann hatte sie wieder