Tatort Alpen. Michael Gerwien

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Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



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hatte nicht einmal versucht, seine Tat zu verwischen. Abraham spekulierte: Der Döner hatte sich nicht mehr so gut verkauft, die Allgäuer fraßen wieder mehr Leberkäs zu Mittag, das hatte die Familie in Bedrängnis gebracht – es waren noch zwei Kinder in Schulen unterwegs – und dann hatte er zur einfachen Lösung gegriffen: Die Nachbarin um vermeintliche Millionen im Strumpf unter dem Kopfkissen bringen. Dann hatte das Gewissen allerdings das Vorhaben zu Tode gezwickt. Jetzt hatten sie einen Verdächtigen, Beweise und eine halbwegs plausible Geschichte. Abraham hatte keine Lust mehr, sich von der Keiferin weiter die Zeit klauen zu lassen, hatte sie nun mal jahrelang das Bett mit einem Mörder geteilt, musste sie sich damit abfinden, immer noch besser, als selbst Opfer zu sein. Er hatte noch was vor. Er musste sich noch um den Enkel kümmern. Der sollte noch einmal in die Wohnung und schauen, ob ihm was auffällt, was vielleicht fehlten könnte. Bringt nicht viel, dachte sich Abraham, wahrscheinlich. Der war nicht dauernd da. Und dann hatte er sich noch um seine Müllsünder zu kümmern. Klingt nicht nur banal, ist es auch. Da stirbt eine Unschuldige und keine zwei Tage später reden sie wieder vom Abfall, keine zwei Tage später. Die Frau ist noch nicht einmal beerdigt.

      »Frau Kemal, ganz im Ernst: Was wollen Sie, dass ich für Sie tue?«

      »Lassen Sie meinen Mann zu seiner Familie zurück.«

      »Sie wissen genau, dass das nicht in meiner Macht steht, Sie wissen, dass es Beweise gibt, die ihn in den dringenden Tatverdacht eines Mordes bringen. Es steht nicht in meiner Macht, ihn freizulassen, das muss der Staatsanwalt beschließen. Aber ich sage Ihnen ehrlich: Viel Erfolg prophezeie ich Ihnen nicht. Zu groß ist die Fluchtgefahr.«

      Die Frau hatte ihn zum ersten Mal ohne aufzubrausen seine Sätze beenden lassen. Hatte er sie? Konnte er ihr jetzt Fragen stellen?

      »Aber Sie haben gar nichts gegen meinen Mann in der Tasche.«

      »Das stimmt nicht, Frau Kemal, wir haben eindeutige Fingerabdrücke.«

      »Ich habe Ihnen gesagt, dass wir einen Schlüssel haben. Frau Zulauf hat uns vertraut, wir sollten gelegentlich nach ihr sehen. Mein Mann war immer wieder bei ihr – ohne Handschuhe anzuziehen.«

      Sie wurde wieder lauter, wäre beinahe auch wieder aufgestanden, Abraham hob die Hand, um sie zurückzuweisen.

      »Dann erklären Sie mir, wie diese Fingerabdrücke auf die Mordwaffe kommen, dann erklären Sie mir, wie diese Mordwaffe in die Wohnung der Frau Zulauf gelangt ist.«

      »Man muss es uns geklaut haben.«

      »Das heißt, irgendjemand muss in Ihren Laden gekommen sein und, während Sie nicht aufgepasst haben, das Messer hinter der Theke hervorgeholt haben.«

      »So muss es gewesen sein.« Sie sagte das so leise, als ob sie jetzt vollends aufgab und einsah, dass sie ihren Gatten an ein deutsches Gefängnis verloren hatte für die nächsten 15 Jahre.

      »Wie bitte?«

      »So muss es gewesen sein.«

      »Wann, Frau Kemal, haben Sie denn das Messer vermisst?«

      »Gestern morgen.«

      »Das heißt, als Sie vorgestern Ihr Geschäft geschlossen haben, hing es an seinem Haken wie jeden Abend.«

      »Genau.«

      »Und Sie sind sich sicher, dass Sie die Tür verschlossen haben?«

      »Ganz sicher.« Frau Kemal fasste wieder Vertrauen, der Bulle ihr gegenüber redete zum ersten Mal wirklich mit ihr.

      »Frau Kemal, das ist jetzt ganz wichtig: verschlossen oder geschlossen?«

      »Verschlossen.«

      »Kennen Sie den Unterschied?«

      »Ich spreche diese Sprache seit mehr als 20 Jahren, ich bin praktisch hier geboren, ich habe hier meine Schule abgeschlossen – abgeschlossen, verstehen Sie?«

      »Ist in Ordnung. Wie lange haben Sie Ihr Geschäft schon in Kempten?«

      »Fünf Jahre.«

      »Und wie lange kennen Sie Ihren Mann schon?«

      »Immer schon, wir sind miteinander aufgewachsen.«

      »Sind Sie verwandt?«

      »Nein, wie kommen Sie darauf?«

      »Standardfrage. Frau Kemal, wo war Ihr Mann, nachdem Sie gestern gemeinsam Ihr Geschäft verlassen haben?«

      »Er war die ganze Zeit bei mir.«

      »Und Sie waren nicht in der Wohnung der Frau Zulauf?«

      »Nein, waren wir nicht.« Jetzt war sie eine starke Frau, sie sagte das bestimmt und laut. Sie hatte verstanden, dass sie mit ihm kooperieren musste, um noch irgendetwas zu erreichen, was ihr freilich wenig bringen würde: Abraham war sich sicher, den Richtigen verhaftet zu haben.

      »Würden Sie diese Aussage unter Eid vor Gericht wiederholen?«

      »Würde ich.«

      »Wissen Sie, was ein Eid nach Deutschem Gesetz bedeutet?«

      »Weiß ich. Behandeln Sie mich nicht wie eine Idiotin.«

      Das überraschte Abraham, er hatte gedacht, die Türken hätten ihren Frauen das Aufbegehren ausgetrieben. Er musste wieder strenger mit ihr reden.

      »Frau Kemal, haben Sie finanzielle Schwierigkeiten?«

      »Wie kommen Sie darauf?«

      »Beantworten Sie bitte meine Frage.«

      »Nein.«

      »Wie läuft Ihr Geschäft?«

      »Wir sind zufrieden.«

      »Keine Probleme, die Miete aufzubringen, keine Mühe, die Zulieferer zu bezahlen?«

      »Die Räume gehören uns.«

      »So? Ihnen. Dürfte ich Sie dort einmal aufsuchen, vo­rausgesetzt, es ist Ihnen nicht zu viel, nachdem Sie ja nun allein im Laden sind.« Das sollte ein kleiner Hieb sein. Er traf aber nicht.

      »Wir können sofort hingehen.«

      Abraham hatte keine Lust. »Frau Kemal, wir haben hier auch noch andere Fälle, es geht jetzt wirklich nicht. Sollen wir für heute Nachmittag einen Termin ausmachen?«

      »Sie wollen uns gar nicht helfen. Sie wollen nur einen Schuldigen und dann normal weitermachen. Mein Mann ist unschuldig.«

      »Ich habe mittlerweile mitbekommen, dass Sie dieser Meinung sind, doch glauben Sie mir: Die Deutsche Justiz arbeitet sauber und gründlich. Wenn Ihr Mann unschuldig ist, wird er schneller frei sein, als Sie glauben. Frau Kemal, ich bin nur ein kleines Rädchen, und ich habe meine Umdrehung gemacht.«

      Sie resignierte. »Wann kommen Sie?«

      »Heute Nachmittag. Sind Sie einmal nicht da?«

      »Nein, ich bin immer da, kommen Sie, wann Sie wollen. Auf Wiedersehen.«

      »Auf Wiedersehen, ich tue, was ich kann.«

      Die Frau schlurfte gebückt zur Tür. Sie war wieder älter geworden.

      Als sie weg war, schaute Abraham zu Tina, die ihn ratlos und lange anstarrte. Er hätte gern gewusst, was sie jetzt dachte. Irgendwie ließ ihm die Angelegenheit keine Ruhe.

      *

      Birne hatte sich auf die Straße gestohlen und kam sich doof dabei vor. War er nicht ein freier Mensch, der einmal keine Lust hatte, mit jedem Idioten zu gehen? Egal jetzt, er war allein auf der Straße und konnte machen oder lassen, wozu er Lust hatte. Er spazierte ein Stück und lobte das Spazierengehen, wie man dabei Zeit bekam für seine Gedanken; Gedanken, die einem, wäre man nicht spazieren gegangen, vielleicht nie gekommen wären. Schade um die Gedanken, wenn man etwas für Gedanken, eigene, übrig hatte, dachte Birne.

      Der Nebel war weg und ließ die Sonne unbehindert mit zarter Kraft die Straßen anheizen. Das schlug auf die Stimmung der Leute, sie wurden freundlicher.