Der Kessel der Götter. Jan Fries

Читать онлайн.
Название Der Kessel der Götter
Автор произведения Jan Fries
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783944180328



Скачать книгу

Pferdekulte und –opfer, was einigermaßen spaßig ist. Sie erwähnen kaum je, dass Gerald niemals in Donegal war, Donegal zu seiner Zeit seit sechs Jahrhunderten christlich war und dass die Leute, die diese Geschichte überlieferten, dem fraglichen Königshaus nicht sonderlich wohlgesonnen waren.

      Ob die gallischen Kelten an Schutzgöttinnen glaubten, mit denen der König verheiratet werden sollte, steht zur Debatte; als Cäsar nach Gallien kam, war die Einrichtung des Königtums schon lange durch einen permanent zankenden Adel ersetzt worden. Die britannischen Kelten scheinen sich von den Iren darin unterschieden zu haben, dass sie eine Anzahl von Königinnen hatten. Das wirft ein zweifelhaftes Licht auf die Frage, ob der Regent mit der Göttin des Landes verheiratet wurde. Heirateten diese Königinnen dann eine männliche Gottheit, oder war diese Symbolik von untergeordneter Bedeutung oder unbekannt? Für andere keltische Länder gibt es überhaupt kein Beweismaterial. Wir könnten unsere Spekulation noch eine Weile fortsetzen, ohne hinterher irgendwie schlauer zu sein.

       Cernunnos

      Kommen wir zu dem zur Zeit beliebtesten keltischen Gott. Es handelt sich um eine häufig dargestellte Gottheit mit Hörnern. Diese wird gerne als Cernunnos bezeichnet, was aber recht spekulativ ist. Eigentlich ist der Name nämlich gar nicht überliefert. Es gibt nur eine einzige Abbildung eines gehörnten Gottes (auf einem Altar aus Paris), die eine Namensinschrift hat. Der erste Buchstabe fehlt, der Rest liest sich ’ernunnos‘. Jetzt wird gerne behauptet, der fehlende Buchstabe wäre ein C, was uns einen Gott namens Cernunnos einbringt. Und Cernunnos bedeutet angeblich ’der Gehörnte‘. Dummerweise sind die Sprachforscher anderer Meinung. Alles was mit Hörnern zu tun haben soll, müßte ’Carnunnos‘ geschrieben werden. Als ’Cernunnos‘ ist der Name schlicht nicht übersetzbar. Oder handelt es sich um einen Schreibfehler? Wie dem auch sei, wir haben also einen Gott namens ’?ernunnos‘ der sich durch Hörner auszeichnet. Es können Hirsch-, Stier- oder Widderhörner sein. Oft ist der Gott im gallo-römischen Stil dargestellt, und hat einige Ähnlichkeit mit Pan. Wobei wir zur nächsten Frage kommen. Handelt es sich um einen Gott oder um mehrere? Ist der mit dem Geweih identisch mit den Hörner tragenden? Und wieder gibt es keine Antwort. Wir können nur raten. Noch spaßiger wird es, wenn wir die Bedeutung der Gottheit verstehen wollen. Einige gallo-römische Darstellungen zeigen ihn mit einem gefüllten Beutel, manche auch mit einer Maus. Beides sind Attribute von Mercurius, dem Gott der Händler (und Diebe). Im modernen Wicca sieht das anders aus. Dank Gerald Gardener und seinen Nachfolgern ist Cernunnos nämlich ein Gott der Wildnis, ein Herr der Jagd, ein Gott der wilden Tiere und, in einigen besonders extremen Fällen, ’der älteste Typus der männlichen Göttlichkeit‘. Und dieser Gott ist nach der üblichen Wicca Lehre der Partner einer Göttin die mit dem Mond verbunden wird und, dank Robert Graves Pilzvisionen, eine dreifache Göttin vom Jungfrau-Mutter-Greisin Typ darstellt. Schauen wir uns das mal in Ruhe an. Die Idee mit den wilden Tieren scheint auf einige gehörnte Götter zuzutreffen, und das Abbild auf der Innenseite des Gundestrup Kessels ist hier ein deutlicher Beleg. Die Sache mit der Jagd ist schon spekulativer. Sie geht auf eine mythische Gestalt zurück, einen Geist, Herne der Jäger, welche von Shakespeare erwähnt wird. Angeblich zieht er im Park von Windsor umher. Ob Herne allerdings Hörner hat oder irgend etwas mit den Kelten zu tun hat, bleibt unbekannt. Nun, Herne klingt dem (hypothetischen) Namen Cernunnos nicht unähnlich, und vielleicht ist ja ein Gott der Tiere auch für Jagd zuständig. Oder vielleicht auch nicht. Und dann gib es noch einen gallischen Gott namens Cernenus, der allerdings keine Hörner hat und mit Jupiter identifiziert wird. Was das Leben nicht einfacher macht. Und wie ist das mit der ältesten männlichen Gottheit? Zuerst zum ’ältesten‘. Hier bezogen sich die Begründer des Wicca auf ein berühmtes Felsbild aus der Höhle Trois-Frères, welches ein tier-menschliches Mischwesen zeigt. Dieses tanzt zweibeinig wie ein Mensch, hat aber die Hörner eines Hirsches, die Augen einer Eule und eine Reihe weiterer tierischer Attribute. Die allerdings nicht sonderlich deutlich zu sehen sind. Und die meist veröffentlichte Darstellung dieser Gestalt ist kein Foto, sondern eine Skizze, die wesentlich mehr Detail zeigt, als im Original ersichtlich ist. Ob Breuil das Bild in einem besseren Erhaltungszustand darstellt, oder ob er es kreativ verbesserte, bleibt offen. Wir haben es hier vielleicht mit einer Hirsch-Eule-Mensch Gottheit zu tun. Oder mit einem vermummten, tanzenden Schamanen. Oder einem Schamanen, der eine Gottheit darstellt oder in Besessenheit verkörpert. In diesem Fall ist der Schamane (oder die Gottheit?) männlich. Es gibt noch weitere gehörnte Tänzer in der Höhlenkunst, doch bei denen ist das Geschlecht nicht ersichtlich. Im Wicca wird oft davon ausgegangen, die gehörnten Gott-Schamanen der Höhlenkunst würden die selbe Gottheit darstellen wie die eisenzeitlichen Kelten. Wobei die dazwischen liegenden zehn oder fünfzehntausend Jahre nun wirklich nicht ins Gewicht fallen. Das Problem dieser Interpretation liegt in ihrer extremen Vereinfachung. Zum einen hatten die Steinzeitmenschen ein ganz anderes Verhältnis zur Jagd und den wilden Tieren als die Kelten. Sie waren Jäger und Sammler, wohingegen die Kelten von Rindern, Schafen, Schweinen und dem Ackerbau lebten. Bei ihnen war Jagd eine schöne Sache für die gehobenen Stände, aber keinesfalls für das Überleben notwendig. Und was bedeuten die gehörnten Götter überhaupt? Im vorgeschichtlichen Europa und überhaupt in Eurasien gab es eine ganze Reihe gehörnter Gottheiten. Über die meisten wissen wir gar nichts. Manche waren Götter der Viehzucht oder Gottheiten der Hirten wie ursprünglich Pan. Doch die sind nicht alle männlich. Eine erstaunlich große Anzahl von ihnen ist geschlechtslos. Manche, wie die Darstellungen aus Willowburn bei Gilsland in Cumberland, sind nackt und haben dennoch keine Geschlechtsteile. Waren die Künstler hier schüchtern? Oder war das Geschlecht ohne Bedeutung? Mehr noch, es gibt mehrere britische Darstellungen von gehörnten Göttinnen. Manche haben wunderschöne Hirschgeweihe. Was verblüffend ist, denn Hirschkühe haben keine. Was nun wirklich nicht zum Glaubensbild des modernen Wicca passt. Wir haben also bei den Kelten gehörnte Götter, die aber nicht unbedingt männlich sein müssen. Und wie sieht es mit der Gattin des gehörnten Gottes aus? Als Gerald Gardener in den späten Vierzigern des zwanzigsten Jahrhunderts Wicca entwickelte, verkuppelte er den gehörnten Gott mit einer Mondgöttin. Wie Ronald Hutton so detailliert nachweist (siehe The Triumph of the Moon, a history of modern pagan witchcraft, 1999), war sein Vorbild hier keineswegs eine alte Hexentradition. Es war vielmehr die englische Vorliebe für Pan und Diana. Seit der Renaissance waren dies die in England beliebtesten Gottheiten des Altertums. In zahllosen Gärten, Parks und Anwesen standen Statuen der beiden. Und beide wurden als Paar empfunden, obwohl sie dies in der griechisch-römischen Mythologie nicht sind. Denn Artemis/Diana ist keusch und jungfräulich, während Pan ständig hinter den Nymphen her ist. Aber wie sieht es hier bei den Kelten aus? Im Gegensatz zu vielen anderen keltischen Gottheiten erscheinen die gehörnten Götter fast immer allein. Sollten der Gehörnte eine Geliebte gehabt haben, bleibt dies verborgen. In ihrer aufwendigen Studie zu den gehörnten Göttern (1967 : 172-220) konnte Ann Ross nur auf eine einzige Darstellung hinweisen, in der ein gehörnter Gott eine Partnerin hat.

      Und die (möglicherweise männlichen) gehörnten Götter der Kelten sind auch nicht immer mit dem wilden Wald und den Tieren verbunden. Bei den Briten gab es auch gehörnte Götter, die mit Speer und Schild bewaffnet eher zum Kriegswesen gehören. Wie wild ist eigentlich der ’Herr der Tiere‘? Der Gehörnte vom Gundestrup Kessel ist sauber rasiert und trägt eine Art Trainingsanzug, ist also recht präsentabel für einen Waldbewohner. Andererseits finden wir im Mabinogi (Die Herrin der Quelle) eine übermenschliche Gestalt, die als Herr der Tiere bezeichnet wird. Es handelt sich um einen wüsten schwarzen Riesen, der nur ein Auge und ein Bein hat und auf einem Hirsch trommelt, um alle Tiere herbeizurufen. Wobei der Hirsch hier eine Ritualstrommel sein dürfte. Doch dieser Herr der Tiere hat keine Hörner. Und dann gibt es noch etliche zwei und dreihörnige Helden in der irischen Mythologie. Doch die haben wenig mit Waldgottheiten zu tun. Der berühmteste ist Conall Cernach, wobei Cernach ’mit Kanten bzw. Ecken‘ bedeutet. Nach dem Táin Bó Fraích kämpft Conall unter anderem gegen eine riesige Schlange, die aber dann ganz nett wird und dem Helden unter den Gürtel kriecht, worauf die beiden zusammen eine Festung zerstören. Der gehörnte Gott des Gundestrup Kessels hält auch eine Schlange, und dieselbe gehörnte Schlange erscheint auf demselben Kessel bei einer Kriegerprozession. Bei gallo-römischen Götterfiguren hat Mars gelegentlich eine gehörnte Schlange dabei. Doch Conall ist weit entfernt von einem Herrn des Waldes oder der wilden Tiere. Statt dessen ist er