Der Kessel der Götter. Jan Fries

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Название Der Kessel der Götter
Автор произведения Jan Fries
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783944180328



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er wirklich mit den gehörnten Göttern verwandt ist, würden diese also hier eher zu einem Krieger und Ahnenkult gehören. Und gerade gallische Götter mit Widderköpfen werden des öfteren mit Mars, dem Kriegsgott identifiziert. Gar nicht zu reden von den gehörnten Kriegerhelmen von Orange, Vaucluse, und ihrer Reliefdarstellung aus La Brague, Alpes-Maritimes in Frankreich, oder den schwer gehörnten Zeremonialhelmen der britischen Kelten. Wobei es sich wahrscheinlich um Ritualsobjekte handelt, denn Hörner machen einen Helm für den Kampf unpraktisch. Ein guter Helm leitet den Schlag nämlich ab. Alles in allem haben wir also einen Haufen unterschiedlicher gehörnter Gottheiten. Eindeutig ist, dass gehörnte Götter bei vielen eisenzeitlichen Kulturen beliebt waren, aber dass es sich dabei um einen einheitlichen Gott gehandelt hat, ist mehr als unwahrscheinlich. Also vergessen wir am besten die Frage, wer Cernunnos wirklich war. Fragen wir lieber, welche Variation der gehörnten Gottheiten Dir am Herzen liegt.

       Matronen

      Ein weiteres Lieblingsthema sind die Matronen. Hier wird es wirklich verzwickt. So viele Gelehrte des 19. Jahrhunderts haben die Verehrung einer hypothetischen großen Muttergöttin in archaischen Zeiten postuliert… Du weißt schon, die Art von Gottheit, die immer mit Fruchtbarkeitskulten und der Verehrung der Genitalien einhergeht. Unter den wissenschaftlichen Themen des letzten Jahrhunderts war das eines, das den Leuten den Mund wässrig machte, und unter schlecht informierten Neuheiden ist es das noch heute. Die große Göttin, von zahllosen Neuheiden in aller Welt verehrt, hat nur wenig historische Berechtigung. Sie wurde von Wissenschaftlern erfunden, die nach einem Gegenstück zum üblichen männlich-monotheistischen, patriarchalen Gott judäo-christlichen Ursprungs suchten. Diese Wissenschaftler waren der Ansicht, dass Monotheismus der Normalzustand ist (was eine sehr moderne Idee ist), und dass er unweigerlich mit solchen Dingen wie zentralistisch organisierten Staaten, einem einheitlichen Glaubensbekenntnis und so weiter einhergeht. Zu viele moderne Autoren folgen diesem Trend. Sie gehen von einer einzigen keltischen Muttergöttin aus und haben den Nerv, zu behaupten, dass alle anderen weiblichen Gottheiten der Kelten im Grunde Teilaspekte einer großen Mama waren. Wenn man liest, dass sogar blutrünstige, unverheiratete und kinderlose Kriegsgöttinnen Aspekte der großen Muttergöttin sein sollen, fragt man sich, ob der Begriff überhaupt irgendeine Bedeutung hat. Haben Frauen kein Existenzrecht, wenn sie keine Mütter sind? Können Frauen auch noch irgendetwas anderes sein als ein Teil des ewigen Jungfrau-Mutter-Alte-Karussells? Ist Vermehrung das Einzige, was zählt? Wie kommt es eigentlich, dass nicht auch alle männlichen Götter gemeinsam in eine Schublade geworfen werden, auf der „Vatergottheit” steht? Können wir nicht an Götter denken, ohne ihnen gleich ein Geschlecht zuzuordnen? Und was sollen wir mit Göttern anfangen, die das Geschlecht wechseln, tierähnlichen Gottheiten, Gottheiten, die Tiergestalt annahmen, um zu kopulieren, oder asexuellen Göttern? Hätten die alten Kelten tatsächlich geglaubt, dass alle weiblichen Gottheiten Aspekte einer einzigen, alles umfassenden Muttergöttin gewesen wären, warum hätten sie sich dann die Mühe machen sollen, Hunderte von ihnen zu erfinden?

      Wie sich herausstellt, wissen wir fast nichts über das Familien- und Sexualleben der meisten keltischen Götter. Wenn wir nach Muttergöttinnen Ausschau halten, finden wir die Matronen, und nicht einmal in Bezug auf sie stimmen die populären Vorurteile. Das Wort Matronen bedeutet Mütter. Die Matronen sind drei Frauen, üblicherweise sitzend dargestellt, die in den letzten Tagen der La Tène-Zeit populär waren und während der römischen Besatzung noch mehr. In Britannien existieren fast 60 Widmungen und Weiheinschriften für sie, davon 49 in römischen Forts oder von Angehörigen der Armeen angefertigt, von denen viele ursprünglich aus dem Rheinland stammten. In den Fussstapfen der Legionen verbreitete sich ihr Kult. Etwa 1.000 Weiheinschriften, Ikonen und Altäre für die Matronen haben überlebt; die meisten stammen aus dem 2. bis 4. Jahrhundert. Wie der Name schon sagt, handelt es sich um Muttergöttinnen. Der Ikonographie nach wäre das nicht ganz so leicht festzustellen, denn keine von ihnen zeigt Anzeichen von Schwangerschaft, und sie werden auch nicht von Kindern begleitet. Manchmal tragen sie einen Korb voller Früchte, aber das tun zahlreiche Gottheiten in der gallo-römischen Bilderwelt. Entgegen der populären Auffassung, die stark von Robert Graves´ Vision einer dreifachen Göttin beeinflusst war, stellen die Matronen nicht Jungfrau, Mutter und altes Weib dar. In den meisten Fällen sehen alle drei Frauen ziemlich gleich aus, sie haben das gleiche Alter, den gleichen Stand und das gleiche Aussehen. Es gibt viele unterschiedliche Darstellungsformen – manchmal tragen sie Roben, manchmal sind sie nackt, sie tragen Hüte, Kapuzen, unbedecktes Haar, und so weiter, aber für gewöhnlich gibt es innerhalb der Dreiergruppe keine individuellen Unterschiede. Dass sie drei Aspekte einer einzelnen Göttin sein sollen, wie Graves und seine Anhänger behaupten, wird nirgends ersichtlich. Stattdessen sollten wir uns bei den römischen Armeen bedanken, dass sie so viele Matronen erfunden haben. Es gab Matronen „aller Nationen”, „von Übersee”, „von Italien, Germanien, Gallien und Britannien”, von kleinen Provinzen wie beispielsweise die Matronen der Sueben, der Friesen, „des Haushalts” und sogar Matronen „des Exerzierplatzes”. Das klingt nicht nach einem einzigen Trio, es hört sich eher wie ein populäres Konzept an, dass an individuelle Bedürfnisse angepasst wurde.

      Eine Spur von ihnen hat vielleicht in den mittelalterlichen britischen Mythen überlebt, wo man eine Madron (Mutter) findet, deren einzige Eigenschaft darin besteht, dass sie einen Sohn namens Mabon (Junge) hatte, der ihr mysteriöserweise direkt nach der Geburt geraubt und auf einer einsamen Insel gefangen gehalten wurde, als einer der drei berühmten Gefangenen Britanniens. Mabon geht vielleicht auf einen gallischen Gott namens Maponus (göttlicher Jüngling) zurück, den die Römer mit Apollon identifizierten, dem Patron der Künste und der Heilkunst. Es existiert eine Statue von ihm, die eine Leier trägt; vielleicht erinnerst Du Dich auch von der Bleitafel von Chamalières her an seinen Namen. Ein in Hexham gefundener Altar bezeichnet ihn als Apollo Cithareodus, d. i. „der Harfner”; eine Weiheinschrift aus Ribchester bringt ihn mit der Jagd in Verbindung und zeigt ein Abbild einer Jagdgöttin. In der Geschichte von Culhwch (Mabinogi) taucht er kurz als Experte auf dem Gebiet der Jagd auf, der von König Arthur gebeten wird, einen monströsen, wilden Eber zu jagen. Ein anderer Mabon, mit Beinamern Vab Mellt, ist in der bardischen Poesie der Sohn des Blitzes. Wieviel er und seine alte Mutter mit ihren heidnischen Prototypen gemein haben, ist eine andere Frage.

      Die Matronen sind übrigens ein gutes Beispiel für die inhärenten Probleme bei der Suche nach den Ursprüngen der keltischen Kultur. Im 19. Jahrhundert verkündeten Wissenschaftler häufig, der Fund eines Altars mit einer Weiheinschrift bedeute, dass die betreffende Gottheit an diesem Ort verehrt worden war. Fragt sich allerdings, von wem. Wurden die Matronen je von den Briten verehrt? Die erhaltenen Kultbilder waren größtenteils für hochrangige Offiziere aus dem Rheinland hergestellt worden. Man findet zahlreiche Inschriften und Altäre an den Orten, wo die Kämpfe am härtesten waren, wie zum Beispiel am Hadrianswall in Britannien oder in der Nähe des Limes, der sich durch Deutschland zieht. Die dort stationierten Legionäre hatten gute Gründe, zu den Göttern ihrer Heimat zu beten und ihnen zu opfern. Nichts ist so wirksam wie reiner Terror, damit die Leute sich der Religion zuwenden. Wenn nun römische Offiziere die Altäre dort in Auftrag gaben, wo sie stationiert waren, sind diese Gottheiten dann gerade nicht die Götter, die vor Ort verehrt wurden. Erst, wenn die Leute vor Ort den Brauch übernahmen und ihre eigenen Götter nach römischer Manier darstellen ließen, können wir davon ausgehen, dass es sich um etwas Einheimisches handelte.

       Gottheit mit beschädigtem Gesicht

      aus Euffigneix, Departement Haut-Marne, Frankreich, Sandstein, Höhe 26 cm. In der Mitte ein Eber, an der linken Flanke (nicht dargestellt) befindet sich statt eines Arms ein großes Auge.

      Datiert zwischen der späten La Tène-Zeit und der Frühzeit der römischen Besatzung.

       Andere Kulte

      Was die Diskussion über importierte Götter angeht, so muss ich Ronald Hutton danken, der mir hilfreicherweise vorgeschlagen hat, nach Inschriften Ausschau zu halten, die