Der Kessel der Götter. Jan Fries

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Название Der Kessel der Götter
Автор произведения Jan Fries
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783944180328



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mehrere Jahrzehnte. In einigen abgelegenen Gegenden, wie zum Beispiel in Mitteldeutschland nördlich des Mains, folgten die Leute noch immer den Bräuchen der Hallstattzeit, während die alpinen Kelten schon lange zu den Bestattungsbräuchen und religiösen Praktiken der La Tène-Zeit übergegangen waren. Wenn man also liest, dass die La Tène-Zeit 450 vor unserer Zeit begann, ist das nur eine ungefähre Angabe und braucht nicht allzu wörtlich genommen werden. Die La Tène-Zeit brachte eine Menge charakteristischer Veränderungen in Kunst und Religion mit sich. Zum Beispiel wurde an den meisten Orten die Sitte, Grabhügel überreich auszustatten, plötzlich nicht mehr fortgesetzt. Stattdessen gibt es Anzeichen dafür, dass viele Hügel der Hallstattzeit ausgeplündert wurden.

      Dann entwickelte sich die Kunst in eine völlig neue Richtung. Die Hallstattzeit wagte sich kaum an naturalistische Darstellungen lebendiger Wesen, und hinterließ auch nur wenige (zumindest auf dauerhaften Materialien), außerdem bevorzugte sie eckige und gerade Formen in abstrakter Ornamentik. Die La Tène-Zeit dagegen entwickelte wilde Kurven, Fischblasen-Ornamente, Eiformen und alles Mögliche, was dem üppigen Wachstum der Vegetation entsprach. Sie begann außerdem, zahllose lebendige Wesen in ihr ästhetisches Repertoire aufzunehmen, menschliche Gesichter, dämonische Monstrositäten und alle erdenklichen Kreaturen, die ein von Met berauschter Künstler sich nur erträumen kann. In der Hallstattzeit erscheinen diese Bilder – üblicherweise groteske Gesichter oder Masken – nur in relativ wenigen Hügeln, und fungierten vielleicht als Talismane, die Böses abwehren sollten.

      Wenn wir uns die keltische Kunst ansehen, sollten wir bedenken, dass die Kultur, von der sie entwickelt wurde, zutiefst religiös war. Keltische Kunst ist sakrale Kunst. Der Übergang von der Hallstatt- zur La Tène-Kultur war ein religiöser und sozialer Wandel, aber es bringt uns nicht viel, allgemeine Überlegungen hinsichtlich der exakten Natur dieses Wandels anzustellen, da so wenig darüber bekannt ist. Dieses Buch beschäftigt sich vorwiegend mit der Natur der keltischen Religion und Magie und ist nicht der Ort, an dem die vielen historischen Veränderungen erläutert werden können, die zwischen Hallstatt D und der Ankunft der Römer stattfanden. Der Umfang ist schlicht überwältigend, und glücklicherweise gibt es zahlreiche Bücher, in denen man nachlesen kann, wie Siedlungen angelegt waren, wie mediterrane Einflüsse Technologie und Lebensformen verändert haben, was passierte, als die keltischen Stämme neue Landstriche eroberten, und so weiter. Alles, was ich hier anbieten kann, ist ein Einblick in die okkulte Seite der La Tène-Kultur. Ich hoffe, Du gehörst zu denen, die sich nicht mit meinen Kommentaren begnügen und sich den kulturellen Kontext mit Hilfe aktueller wissenschaftlicher Literatur selbst erschließen. Erstaunlicherweise hat die populäre Keltenliteratur einen so begrenzten Horizont, dass man kaum, wenn überhaupt, archäologische Studien als Grundlage für aktuelle Bücher findet. Stattdessen scheinen die Massen von Neo-Keltisten Literatur zu bevorzugen, die seit Jahrzehnten, wenn nicht bereits seit Jahrhunderten veraltet ist. Ich möchte einige Aspekte der La Tène-Kultur auf diesen Seiten beleuchten, mit dem Hinweis, dass die Forschungen noch nicht abgeschlossen sind und jeden Tag neue Erkenntnisse gewonnen werden. Auch muss ich darauf hinweisen, dass ich den Begriff „keltisch” nicht gern verwende. Es handelt sich um einen irreführend modernen Begriff, der von einer Handvoll nicht allzu gut informierter Autoren der Antike geprägt wurde und von fast allen populären Autoren schlampig verwendet wird. Man findet Autoren, die sich allgemein mit „keltischer Magie”, der „keltischen Gesellschaft” und der „keltischen Religion” beschäftigen und das mit einer Sorglosigkeit tun, die jedem ernsthaften Forscher Schauder über den Rücken jagt.

      Stell Dir einfach einen Autor vor, der in 2500 Jahren über die „europäische Magie” oder die „europäische Religion” schreibt. Du wärst bestimmt entzückt zu erfahren, dass „die Europäer” Stierkämpfe veranstalteten, einen schiefen Turm gebaut haben, Tartans getragen haben, auf langen hölzernen Hörnern Musik gemacht haben, Spaghetti gegessen haben, Bälle in Tore geschossen haben (wahrscheinlich ein Fruchtbarkeitskult), in Ballons gereist sind, Kuckucksuhren als Talismane besessen haben und eine große Anzahl von Göttern verehrt haben, darunter einen nackten Mann an einem Kreuz, ein Lamm, eine Taube, einen Hasen, eine Kiste mit sich bewegenden Bildern, rechteckige Papierstücke, lärmende Metallfahrzeuge und kleine Plastikschachteln, die in einer Geste der Anbetung ans Ohr gehalten wurden. Wenn Du liest, was „die Kelten” getan oder nicht getan haben, denk bitte an diese mysteriösen Europäer.

      Leider ist es bereits schwierig, über die westliche Hallstattkultur allgemeine Aussagen zu machen, wobei ihr Wirkungskreis ja lediglich auf einen relativ kleinen Teil Zentraleuropas beschränkt war. Die La Tène-Kultur ist sehr viel komplexer, da sie die keltische Expansion einschließt und damit keltische Völker umfasst, die sich in Frankreich, Britannien, Irland, Spanien, Portugal, Norditalien, Tschechien, der Slowakei, Rumänien, auf dem Balkan und sogar in der zentralen Türkei niedergelassen hatten. Es wäre einfach, davon auszugehen, dass die einfallenden Kelten der Ur-Bevölkerung dieser Länder ihre Kultur aufzwangen, in Wirklichkeit aber führt jede Eroberung zu einer Vermischung der Bevölkerung. Dabei entstehen verschiedene Länder, die unterschiedliche keltische Dialekte sprechen; jedes verfügt über eine keltische Adelsschicht, die aber stark von der einheimischen Kultur beeinflusst ist. Das Ergebnis ist eine Reihe kultureller und religiöser Unterschiede. Aber selbst in den keltischen Heimatländern in Zentraleuropa ist die Lage überraschend kompliziert. Die Völker, die man in unserer Zeit so unbefangen als „keltisch” bezeichnet, waren niemals eine einzelne oder einheitliche Kultur, und für jede Ähnlichkeit findet man ein Dutzend eigenartiger Unterschiede, dank der geduldigen Schaufelei unserer Archäologen. Hier einige Beispiele aus der wunderbaren Welt der Begräbnisriten.

      Wie Du Dich sicher erinnerst, ergaben sich zu Beginn der La Tène-Kultur mehrere wichtige Veränderungen in den Begräbnisriten. Die großen Hügel kamen aus der Mode, und Einzelgräber wurden die Regel. An manchen Orten wurden die Leichen verbrannt, an anderen Orten wurden sie auf dem Rücken liegend bestattet. Verglichen mit den Reichtümern von Hallstatt D sind La Tène-Begräbnisse beinahe billig zu nennen, und anders als in Ha D waren die meisten Männer bewaffnet. Eine Sache, die für die Leute von La Tène A und B wirklich wichtig gewesen zu sein scheint, war die Ausrichtung des Grabes. Als noch die großen Hügel gebaut wurden, hat das wohl keine Rolle gespielt – wenn man bis zu hundert Leute in einem einzigen Hügel begräbt, liegen die Leichen in allen möglichen Richtungen. Bei den Einzelbegräbnissen in der La Tène-Zeit wurde die richtige Ausrichtung des Leichnams zu einem Muss. In der Champagne und am Mittelrhein wurde die Mehrzahl der Bestattungen mit einer Nord-West- (45 %) und West-Ausrichtung durchgeführt. Zur gleichen Zeit wird bei Begräbnissen in der Schweiz und in Baden-Württemberg eine Ausrichtung des Kopfes nach Süden (45 %), nach Norden (18 %) und nach Osten (19 %) favorisiert. Das scheint kompliziert, hängt aber teilweise mit dem sozialen Status des Bestatteten zusammen. Die reicheren Krieger lagen mit dem Kopf nach Westen. Bestattete in Österreich und jenseits der Donau lagen mit dem Kopf nach Süden (57 %) und Südosten (28 %). In der Slowakei liegen 50 % aller Bestatteten mit dem Kopf nach Süden, 35 % nach Südosten. In Bayern, Mähren, Schlesien und Böhmen haben fast 80 % eine Ausrichtung nach Norden und etwa 5 % eine Ausrichtung nach Nordwesten.

      Diese Prozentzahlen sind grobe Schätzungen, die auf H. Lorenz´ Die Kelten in Mitteleuropa, 1980, basieren. Wie man sieht, ging man in jeder dieser Gegenden sehr systematisch in Bezug auf Begräbnisse vor. Nun haben Begräbnisriten viel mit der Religion und dem Glauben an irgendeine Form von Leben nach dem Tod zu tun. Die La Tène-Kelten glaubten definitiv an heilige Richtungen; sie konnten sich nur nicht auf eine einigen. Wenn man die Ausrichtungen betrachtet, kommt man nicht umhin zu bemerken, dass die frühen La Tène-Leute bereits unterschiedlichen Religionen und/oder Kosmologien anhingen. Man vergesse auch nicht die Leichen, die nicht in die Richtung ausgerichtet lagen, die in ihrer Gegend in Mode war. Gelegentlich mögen solche Unterschiede durch Zufall oder Sorglosigkeit zustande gekommen sein, insgesamt aber erinnern sie doch eher an die „gefährlichen Toten”. Oft genug liegt der Tote in einem solchen Grab in einer seltsamen Position, mit überkreuzten Beinen, erhobenen Armen, gefalteten (oder gefesselten?) Händen, mit ausgerenkten Gliedern, auf dem Bauch, und so weiter. Es gibt keine Regel für das Begraben gefährlicher Leute, die Hauptsache scheint gewesen zu sein, dass man sie anders begrub. Wir befassen uns später noch damit.

      Die frühen La Tène-Leute begruben noch häufig die Körper in flachen Gräbern, später wurde es