Der Kessel der Götter. Jan Fries

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Название Der Kessel der Götter
Автор произведения Jan Fries
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783944180328



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Welt (Dürrnberg 71 / 2) war vom Wachstum her zurückgeblieben, und möglicherweise glaubten seine Eltern, es benötige mehr Schutz. Bis zum heutigen Tag glauben viele Kulturen, dass Kinder von bösen Geistern oder Einflüssen bedroht werden, und geben ihnen praktische Talismane dagegen mit. Dass das in der frühen La Tène-Zeit auch der Fall war, ist wahrscheinlich, wenn es auch nicht alles erklärt (ein Begräbnis mit Talismanen war das eines Fötus, ein guter Hinweis darauf, dass tatsächlich nicht alle Amulette im täglichen Leben getragen wurden). Im türkischen Kurdistan sah ich viele Kinder, die einen einzelnen polierten Stein an einer Schnur um den Hals trugen; das sollte gegen den bösen Blick schützen. Es war natürlich kein gewöhnlicher Stein. Um seine beschützenden Kräfte zu entfalten, musste er erst nach Mekka gebracht werden. Solche Steine, die den vielen Perlen aus den keltischen Gräbern nicht unähnlich sehen, wurden im allgemeinen vergeben, um Kinder und Jugendliche durch die schwierige Zeit zu bringen, die vor dem Erwachsen werden liegt. Das bringt uns zur Frage nach den jungen Frauen. Es ist gut möglich, dass bei den frühen Kelten Frauen als Kinder betrachtet wurden, bis sie verheiratet waren. In diesem Fall hätten sie dann wohl auch einen Talisman getragen, wenn sie zufällig vorher gestorben wären. Wir brauchen hier nicht nur an Kurdistan zu denken, in der gesamten Welt der Antike waren solche Bräuche an der Tagesordnung. Selbst römische Kinder trugen Talismane, bis man sie zu den Erwachsenen rechnete. In diesem Fall müssen wir uns Talismane als Schutz für die Verstorbenen vorstellen. Von der Art her, wie viele junge Frauen begraben wurden, müssen wir aber auch folgern, dass man sie oft für eine Bedrohung für die Gesellschaft hielt. Vielleicht galt aber auch der Kindbetttod als unheilvoll. Und wie sieht es mit dem Freitod aus?

       Fibeln: Nur teure Broschen oder Talismane?

      Oben: Eberfibel, Hallein-Dürrnberg, Österreich, 4.–3. Jh. vor unserer Zeit.

      Mitte: Fibel in Gestalt eines schwarzen Hahns mit Ornamenten in roter Koralle, Grab der „Fürstin von Reinheim“, Deutschland, 370–320 vor unserer Zeit.

      Unten: Fibel, die das Abbild eines Schuhs (eine populäre Talismanform) mit einem Raubvogel kombiniert. Dürrnberg, Österreich, 380–350 vor unserer Zeit

       Gefährliche Tote & ungewöhnliche Begräbnisse

      Die meisten Kulturen auf diesem Planeten kennen Leute, die gefürchtet und gemieden werden, sei es lebend oder tot. Gefährliche Irre zählen zu dieser Kategorie, ebenso Unfallopfer, Selbstmörder, Schamanen, Hexen, Menschen, die zur Unzeit gestorben sind und vor allem Frauen, die im Kindbett gestorben sind. Man erkennt die gefährlichen Toten an der seltsamen Art, wie sie begraben wurden. An Orten, wo die Mehrzahl der Leichen auf dem Rücken liegend bestattet wurde, findet man die Gefährlichen auf der Seite liegend, möglicherweise gefesselt, kauernd, auf dem Bauch liegend, mit überkreuzten Beinen oder ausgestreckten Armen und, in besonders ernsten Fällen, mit abgetrennten Gliedern. All das und mehr findet man in der frühen La Tène-Zeit. Viele Talismane entstammen solchen Begräbnissen. Fehlende Glieder treten in mehreren Gräbern auf, vor allem auf dem Friedhof von Manre (Monte-Trote), wo 32 von 89 Skeletten kopflos waren. Einige Archäologen hielten das für einen Beweis für Menschenopfer. Die Anordnung der Knochen zeigt allerdings, dass die Toten auf einer Art Plattform gelegen haben müssen, wo sie verwesten, bis sie stückchenweise zu Boden fielen.

      Es handelt sich hier um ein Zwei-Phasen-Begräbnis. Auf Zwei-Phasen-Begräbnisse kann man auch von einer Leiche mit abgetrennten Gliedern schließen. Die männliche Leiche von Ilvesheim wurde so lange der Verwesung überlassen, bis man ihre Glieder ganz einfach rearrangieren konnte. Die Unterschenkelknochen wurden dann zwischen die Oberschenkel gelegt; die Füsse blieben, wo sie waren. Die Hände blieben ebenfalls am Platz, aber die Arme wurden vom Rumpf getrennt und in sicherer Entfernung zur Seite abgelegt. Zahlreiche Eisengegenstände sollten dafür sorgen, dass der Tote sich niemals erheben und unter den Lebenden herumspuken würde. Derartige Manipulationen sind leichter, wenn die Leiche bereits gründlich verwest ist. Das geschah häufig und ist leicht nachzuweisen. Fünf Begräbnisse sind bekannt, bei denen die Leiche komplett auseinander genommen wurde.

      Es mag aber ein Fehler sein, zu glauben, nur unbeliebte Verstorbene hätten ein Zwei-Phasen-Begräbnis bekommen. Die Funde aus dem Manching-Oppidum könnten auch darauf hinweisen, dass die übliche Form des Begräbnisses es einschloss, die Leiche erst eine Weile lang verwesen zu lassen. Ein Hallstattgrab aus Kappel enthielt einen Gürtel, in dem sich Eier von Aasfliegen fanden (ein Hinweis darauf, dass die Leiche vor dem Begräbnis einige Zeit der Verwesung ausgesetzt war), und in der Tat werfen Doppelbegräbnisse aus den Hügeln der Hallstattzeit die Frage auf, ob vielleicht gelegentlich eine Leiche aufbewahrt wurde, bis man sie gemeinsam mit einer anderen begraben konnte, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht hat es keltische Gräberfelder voll von verwesenden Leichen gegeben, die auf ein anständiges Begräbnis warteten.

      Die einfachste Möglichkeit, die Toten am Zurückkehren zu hindern, war natürlich, die Beine oder Füsse umzudrehen, abzuhacken oder festzubinden, und es gibt Hinweise auf jede dieser Methoden. Die Entfernung des Kopfes war eine weitere Lösung. Bei einem Krieger aus Chouilly lag der Boden eines Köchers anstelle des Kopfes. In Marson fand sich eine Frau, bei der anstelle des Kopfes eine dunkle Schüssel lag (das erinnert vielleicht an den viel späteren irischen Glauben, dass der Kopf der Kessel der Inspiration und des Wissens ist). Die Patina im Grab eines Mädchens aus Villeneuve-Renneville enthüllt, dass ihr Kopf und ihr Halsring einige Zeit, nachdem sie gestorben war, entfernt wurde. Der Dürrnberg erbrachte ein Skelett, dessen Kopf 50 cm rechts von der Leiche lag, in Kamenin fand sich ein Schädel, der im Beckenbereich lag, und am seltsamsten der Fund von Wohlen: Die Leiche eines alten Mannes, dessen deformierter Kopf 50 cm zur Seite verschoben war. An dessen Stelle befand sich eine Schüssel, die die Schädel mehrerer Spitzmäuse enthielt. Was für eine Erklärung mag es dafür geben? Es könnte unterhaltsam sein, darüber nachzudenken. Aber weiter im Text: Es gab ein Dürrnberggrab, das eine Person enthielt, die verbrannt worden war, bis auf ihren Unterkiefer. Und in Vevey einen jungen Mann, der sich bestimmt nicht wieder aus dem Grab erheben würde, weil seine Füsse an der Stelle, wo er lag, verbrannt worden waren. Es gibt Berichte über wenigstens ein Dutzend Fälle von teilweisen Verbrennungen. Und während man viele Skelette ohne Kopf gefunden hat, gibt es auch mehrere Begräbnisse von Schädeln ohne Körper, ganz zu schweigen von den Fällen, wo eine einzige Leiche gemeinsam mit mehreren Schädeln ins Grab wanderte.

      Dass manche Geisteskranken auf diese Art und Weise bestattet wurden, wird aus Gräbern ersichtlich, die schwer deformierte Schädel enthielten, oder Krieger, die einmal zu oft am Kopf getroffen worden waren, oder aus einigen Fällen, in denen jemand durch Trepanation (chirurgische Schädelöffnung) nicht glücklicher geworden war. Wir können auch davon ausgehen, dass magiekundige Personen, also Hexen und Zauberer, von ihren Gemeinschaften gefürchtet wurden. Ich denke mir, dass die Frau von Dannstatt, in ihrem mit Geweihen bedeckten Sarg, so ein Fall gewesen sein mag. Dann gibt es da die Selbstmorde. Nun ja, jeder Freitod kann als ein unerfreuliches Statement über den Wert des Lebens in einer bestimmten Gemeinschaft gewertet werden. Aber was ist so gefährlich an Frauen, die im Kindbett verstorben sind? Ich persönlich kann das überhaupt nicht verstehen. Vielleicht galten sie als von einem bösen Geist befallen, oder sie waren eine Bedrohung für ihre Männer und verbliebenen Kinder. Dennoch gibt es viele Kulturen, die genau diesem Glauben anhängen. In der katholischen Kirche gibt es einen speziellen Ritus, der Frauen bei ihrem ersten Besuch in der Kirche gilt, nachdem sie geboren haben (und der impliziert, dass sie unrein sind) und Heinrich Heine hielt einen österreichischen Aberglauben fest, demzufolge Frauen, die vor der Heirat sterben, zu Luftgeistern werden, die junge Männer verfolgen und mit ihnen tanzen, bis sie tot umfallen.

      Was unsere La Tène-Kelten glaubten, darüber kann spekuliert werden, aber die Tatsache, dass so viele junge Frauen wie gefährliche Dämonen behandelt wurden, bleibt krass offensichtlich. Ein Doppelbegräbnis zweier solcher Frauen im Alter von zwanzig, in Grafenbühl, ist ein ausgezeichnetes Beispiel. Abgesehen von der Beigabe einer ganzen Reihe von Amuletten (einschliesslich eines Dreiecks, Bronzefolie, Bernstein, Glas,