Der Wünscheerfüller. Achim Albrecht

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Название Der Wünscheerfüller
Автор произведения Achim Albrecht
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783942672221



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hatte nicht gedacht, dass es so aufregend sein könnte, ein Fahrzeug zu stehlen. Gut, es war nicht ein Fahrzeug im eigentlichen Sinne und der Vorgang des Eindringens beschränkte sich auf einen kurzen Einsatz des Bolzenschneiders, den ich zuvor im Baumarkt organisiert hatte. Aber immerhin. Einige Seitenblicke und eine schnelle Anstrengung später hatte ich mein Fahrrad. Es war ein veritables Retro-Modell, ein Kaltblüter unter den Fahrrädern mit stabilen Verstrebungen und einem Gepäckträger, der die Säureflasche und den Bolzenschneider in der Wolldecke mit seinem Drahtmaul festhielt. Wenn man einen Entschluss gefasst hat, macht man sich keine Gedanken um Äußerlichkeiten und so radelte ich auf asthmatisch pfeifenden Reifen durch den Nieselregen hinaus zum Stadtpark. Ich war ein seit Kurzem volljähriger Start-up-Unternehmer mit einer Mission.

      Eine knappe halbe Stunde später war ich froh, dass Anoraks nie so richtig passten. Der meine war definitiv für einen anderen Mann geschnitten und schlang sich um mich wie eine Schlingpflanze. Die Kapuze verdeckte das halbe Gesicht und schränkte meinen Horizont so weit ein, dass ich ständig auf meine Beine starrte, die in den unendlichen Weiten des olivgrünen Textils strampelten wie gehorsame Kolben. Der gefütterte Sattel hatte mit meinen Hoden einen Nichtangriffspakt geschlossen und das bisschen Regen konnte mich nicht aus der Fassung bringen. Der Tag war zu einem fahlen, schwefligen Schein reduziert, als ich das Fahrrad in eine dichte Buschlandschaft schob, die in immergrüner, verschwenderischer Pracht über eine erkleckliche Ansammlung von Abfällen und tierischen Ausscheidungen wachte.

      Mit klammen Händen packte ich die handliche Flasche mit dem Symbol für ätzende Flüssigkeiten aus und wog sie in der Hand. Sie war glatt und beruhigend. Die farblose Flüssigkeit schaute sich gemeinsam mit mir die Umgebung an. Nicht viel los heute und die wenigen Menschen, die unterwegs waren, hatten sich in Mäntel und Schals gewickelt und begegneten dem Regen mit aufgespannten Regenschirmen und unterdrückten Verwünschungen. Ich war viel zu früh, weil ich es kaum abwarten konnte, die Aufmerksamkeit der wichtigsten Frau in meinem Leben zu gewinnen. Erst dann würde ich wieder ruhig schlafen können.

      Der schlammige Rasen saugte mit einem satten Geräusch an meinen Boots und die Gehwege ertranken in wild verstreuten Wasserlöchern. Die blauen Nylonseile eines Klettergartens weinten mit dem Regen um die Wette und die Obdachlosen, die die Parkbänke unter sich verteilten, waren schon längst zu trockenen Plätzen aufgebrochen. Übrig blieben die unvermeidlichen Pendler, die Salzsäure und ich. Bald würde noch ein weiterer Akteur hinzukommen, aber der würde mich nicht sehen. Korrekt ausgedrückt würde er mich am Anfang nicht sehen und wenn er mich am Schluss überhaupt noch sehen konnte, würde er verdammtes Glück gehabt haben. Eine 37-prozentige Lösung von Chlorwasserstoff in Wasser kann auf der Haut und in den Augen verheerende Schäden anrichten. Dies gilt natürlich auch für den Schlund und die Atemwege, wenn man die stark stechend riechenden Dämpfe einatmet oder die rauchende Flüssigkeit schluckt.

      Es war beruhigend, dass es so viele Möglichkeiten gab. Mit etwas Glück konnte ich zu einer klitzekleinen Modifikation der Statistik beitragen, dass die meisten Unfälle im Haushalt passieren. Einen Unfall konnte man sehr wohl auch im Stadtpark erleiden, dort am fernen Ende des Parks, neben dem Grillplatz und dem Kiosk, die nach der Sommersaison geschlossen wurden. Ich schaute hinüber und die bizarr verwinkelten Äste der Rosskastanien nickten als Zeichen des Wiedererkennens zurück.

      Ich hatte mich einige Male in der Gegend aufgehalten, um den Mann zu beobachten, der das Objekt meiner Begierde war. Er war eines der bedauernswerten Geschöpfe, die dem Joggen verfallen waren. Mit hängendem Kopf und schlurfenden Schrittes zog er seine Bahnen wie an der Schnur gezogen. Er tat es zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter und immer in den scheußlichsten Trainingsanzügen, die es für Geld zu kaufen gab. Nach exakt vier großen Runden kehrte er zu seinem Wagen zurück, den er unweit des Kiosks parkte, und kasteite sich mit einer Serie bandscheibengefährdender Gymnastikübungen, die so ziemlich alles an seinem Körper dehnten, außer seinem Verstand.

      Langsam wurde ich unruhig. Ein ungnädig aussehender Rottweiler zog eine ältliche Dame an mir vorbei und führte sie Gassi. Der Dauerregen hatte mich in ein faltiges, tropfendes Gebilde verwandelt, das in Selbstauflösung begriffen war. Ich war bereit damit anzufangen, mir leidzutun. Dann kam er. Präzise gesagt, er fuhr vor. Die Scheinwerfer schnitten schräg über die Rasenfläche bis hinunter zum See, der in Wirklichkeit ein dekorativ überwucherter Tümpel war, in dem die Enten zuerst großflächige Rodungen vornehmen mussten, um zum Wasser zu gelangen. Ich hatte es nicht eilig. Ein Lichtpunkt entfernte sich vom Grillplatz in Richtung des Minigolfplatzes, der im Sommer Heerscharen von Kindern anlockte. Es gelang mir, die Taschenlampe des Läufers im Auge zu behalten, während ich rutschend und fluchend einen sanften Abhang hinunter glitt, um mich an der Uferböschung entlang in Richtung Kiosk zu tasten. Ich stieß mit den Füßen an eine Wurzel und fiel auf die Knie. Der Anorak war ein nasser, schwerer Lumpen und behinderte mich beim Gehen. Ich tastete nach der Flasche und fand sie unversehrt. Brackiges Wasser sickerte in meine Jeans. Meine Füße waren kalte Blöcke in feuchten Socken. Das Licht bewegte sich in meinem Rücken im Gegenuhrzeigersinn. Noch war alles gut. Es war sogar bestens. In der Dunkelheit fühlte sich der Regen kälter an und die Konturen des Kiosks verschwammen im Blauschwarz des Himmels.

      Wahrscheinlich hätte ich frieren sollen, aber ich schwitzte. Es war die Jagd, die mich auf Trab hielt. Die Jagd mit einer bauchigen Flasche konzentrierter Salzsäure. Auf der Haut ruft sie Rötung, Blasen und brennende Schmerzen hervor. Vergessen Sie James Bond und die Säurebäder der Filmbösewichte. So schnell löst sich kein Mensch auf. Und in meinem Fall wünschte ich mir einen Zeitlupenablauf. Ich hätte keinen Moment später an dem Kiosk ankommen dürfen. Auf den Jogger hatte das unangenehme Wetter offenbar eine beschleunigende Wirkung. Ich wusste, dass er kurz nach rechts leuchten würde, um sich zu vergewissern, dass sein Auto noch am Platz stand. Der von mir ausgewählte Platz, an dem ich ihn erwarten würde, lag schräg hinter der Hütte auf dem Scheitel des Abhangs. Ich sah, wie sich der Lichtkegel der Taschenlampe bei jedem Schritt aufbäumte und glaubte das Keuchen des Läufers über dem gleichmäßigen Rauschen des Regens zu hören, während sich die schiefe Ebene des grasigen Abhangs nach mir ausstreckte, meine Schuhe verschluckte und sich so unnachgiebig seifig gab, dass an einen eleganten Aufwärtssprint nicht zu denken war.

      Das hüpfende Licht kroch um die letzte Kehre und riss helle Löcher in meine Umgebung. Ich umarmte die Erde mit einer hingebungsvollen Anbetungsgeste und vergrub mich in schleimigen Grassoden und reichlich Matsch. Einen Augenblick war ich mir nicht sicher, ob mein Herz so laut hämmerte oder ob sich der Schritt des Läufers verlangsamt hatte. Ich versuchte ruhig zu atmen und bemerkte, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes ins Gras gebissen hatte. Dann war es vorbei und die Schritte entfernten sich mit einem fetten Schmatzen und nahmen das Licht mit. Ich hob den Kopf und spuckte aus. Der geparkte Wagen hatte sich das Ganze von seinem Logenplatz aus angesehen. Er wirkte weder amüsiert noch beunruhigt.

      Als sich endlich die magersüchtige Mondsichel bequemte, in meine Richtung zu schauen, spiegelte sich das schemenhafte Äußere des Monsters aus der Lagune in der Seitenscheibe des Wagens. Hätte ich ein halbes Dutzend blickdichter Nylonstrümpfe über meinen Schädel gezwängt, wäre ich weniger gut getarnt gewesen als mit der breiig teigigen Schmutzmasse, die aus einem aufstrebenden Jungunternehmer einen wild blickenden Ureinwohner Papua Neuguineas machte. Der Ureinwohner fror erbärmlich.

      Die dritte Laufrunde wollte nicht enden und als sie endlich zu Ende war, musste ich zwei Anläufe unternehmen, um mit meinen klappernden Kiefern meinen Spruch aufzusagen. Ich hatte den Text selbst geschrieben und gut behalten. Er lautete: „Hallo Bert“.

      Ich weiß wirklich nicht, was mich an Bert mehr störte. War es sein überhebliches Grinsen oder die Art, wie er mit seiner fetten Zunge geräuschvoll Essensreste aus den Zähnen pulte oder aber sein ewiges Gelaber über Disziplin, Respekt und seine großartigen Geschäfte mit den Drahtziehern im Hintergrund, das mit jedem weiteren Schluck Alkohol in ein verwaschenes, aggressives Krakeelen überging? Ich konnte es einfach nicht auf den Punkt bringen. Wahrscheinlich störte mich alles an ihm.

      Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich ihm einen enormen Schrecken eingejagt hatte. Sein Sweatshirt klebte an seiner bulligen Figur und schrie mich mit roten Glitzerbuchstaben an. „Karate King“, sagte es und löste nicht gerade Ehrfurcht in mir aus. Der Strahl der Taschenlampe erfasste mein mit Dreck verkrustetes Erscheinungsbild.