Название | Der Wünscheerfüller |
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Автор произведения | Achim Albrecht |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783942672221 |
Was mich zum Raubfisch machte, waren Todesanzeigen. Todesanzeigen werden als Quelle zum Broterwerb zu Unrecht unterschätzt. Es gibt Menschen, die mit Lust die vor Pietät triefenden, einfallslosen Texte studieren, die ihre schwarz umrandeten Rechtecke in einer stolzen Schar anderer schwarz umrandeter Rechtecke präsentieren. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie immer aufs Neue von „dem langen, still ertragenen Leiden“ berührt sind oder sich von dem knappen „nach kurzer, schwerer Krankheit“ in die Gefilde der Trauer wegführen lassen. Auch die Aufzählung der kleinen Schar von Hinterbliebenen, die wie auf eine geheime Verabredung hin „in Stille trauern“ und den Verstorbenen „in ihrem Angedenken behalten“ sorgt höchst selten für das Ausmaß der Faszination, die Todesanzeigen verbreiten.
Eher ist es die voyeuristische Neugier, auf einen bekannten Namen zu stoßen oder die klammheimliche Freude, diese auffällig plakatierte Sippschaft um eine weitere Woche überlebt zu haben. Machen wir uns nichts vor. Leichen sind Verlierer. Sie sind die sympathischsten Verlierer, die man sich wünschen kann, denn sie haben nichts dagegen und ihre Lobby verwandelt sich nach dem Leichenschmaus in einen Haufen habgieriger Neider, die sich wie Leichenfledderer um das Erbe bekriegen. All das natürlich im Rahmen der üblichen Umgangsformen, versteht sich.
Genau an dieser Stelle begannen die Anzeigen für mich nach Geld zu riechen. Nach leicht verdientem Geld. Und sie rochen kräftig. Zunächst begann ich damit, die Unfalltode und in jungem Alter Verstorbenen auszusortieren. Haben Sie schon einmal erlebt, dass ein Raubtier die starken, wehrhaften Beutetiere einer Herde aussondert? Die Frage war natürlich rhetorischer Natur. Es liegt mir fern, Ihre Intelligenz zu beleidigen. Was ich brauchte, waren die in hohem Alter Dahingeschiedenen, die eine überschaubare Trauergemeinde in ähnlich hohem Alter und eine Handvoll abgestumpfter Kinder und Enkel hinterließen. Und ich brauchte Männer. Alte, tote Männer. Ein Glück für mich, dass die alten Frauen zähe Vögel waren, die sich unnachgiebig an ihr bisschen Leben krallten und wunderbar desorientierte Witwen abgaben. An brauchbarem Material bestand wahrlich kein Mangel.
Schade nur, dass ich bei der Durchführung meiner kleinen Idee nicht ausreichend mobil war. Wenn es meine Geschäftsinteressen nicht unmittelbar berührte, hielt ich mich streng an die Regeln. Ich glaube an Ordnung und Sicherheit und so wäre ich nie auf die Idee gekommen, ohne Führerschein mit dem Auto zu fahren. Ich war ein Jungunternehmer auf dem Mountainbike und betrieb heimatnahen Leichentourismus.
Glauben Sie nicht, dass ich mich von unausgegorenen Vorstellungen leiten ließ und einfach losschlug. Das Gegenteil ist der Fall. Ich bin ein großer Verfechter guter Vorbereitung. Und so kam es, dass ich im Verlaufe mehrerer Probeläufe meine Stadt auf eine Art und Weise erkundete, wie ich es vorher nie getan hatte. Die von mir sorgfältig ausgewählten Anzeigen führten mich zunächst auf die Friedhöfe. Zu meinem Erstaunen gab es davon mehrere. Friedhöfe schienen sich besonders gerne in Außenbezirken anzusiedeln. Es waren angenehme Orte, sanft zum Auge und gepflastert mit altem Baumbestand, der einen Hauch von Ewigkeit vermittelte. Kiesbestreute Wege zogen geharkte Muster um die streng geometrisch angelegten Gräberfelder. Ich bin mir nicht sicher, ob es den Beruf des Friedhofsarchitekten gibt. Falls ja, möchte ich diesem Berufsstand mein ausdrückliches Lob aussprechen. In das Lob einschließen möchte ich die Friedhofssatzungen, die ein Reglement ins Leben riefen, das die Höhe und Breite von Grabsteinen so festlegte, dass sich ein ambitionierter, schlanker Mann dahinter verbergen konnte, ohne von den um das benachbarte Grab Versammelten wahrgenommen zu werden.
Der immer gleiche Ablauf der Abschiedszeremonie erlaubte es mir, mich ganz auf die Personen zu konzentrieren, die ganz in Schwarz in kleinen Gruppen beisammenstanden und ihrer Trauerpflicht nachkamen. Die meisten trugen eingefrorene Gesichtszüge zur Schau, als ob jede Regung ihr künstliches Gehabe zerstören könne und sie sich damit eines Verstoßes gegen die guten Sitten schuldig machen würden. Selbst Tiere und Kinder hatten Spieltrieb und Bewegungsdrang abgelegt und folgten der Zeremonie mit unbewegten Mienen. Erlaubt und möglicherweise erwünscht waren einzelne Schluchzer, das Stabilisieren kollabierender weiblicher Körper und die eigenartig hölzerne Kondolenzumarmung der Witwe. So sehr ich auch spähte und nach eindeutigen Zeichen Ausschau hielt, viel Erkenntnis konnte man aus diesen öffentlichen Trauerakten nicht ziehen.
Ich hatte mich eigens für das Kauern hinter Grabsteinen in meinen dunklen Konfirmationsanzug gezwängt, der mir nur ein wenig zu eng und zu klein war, ansonsten aber ein respektables Flair vermittelte. Statt einer schwarzen Krawatte griff ich auf eine großohrige Schleife zurück, die mir als Sonderangebot in die Hände gefallen war. Sicher gibt es elegantere Wege als einem Autokorso mit Trauergästen auf dem Fahrrad zu folgen und dabei so angestrengt zu strampeln, dass man bei Passanten Kopfschütteln und Mitleid erntete. Jeder Unternehmer ist einmal durch solche Phasen gegangen und wenige Sekunden der Lächerlichkeit wogen nichts im Vergleich zu der Ernte, die man als Lohn für seinen Einsatz einfahren konnte.
Und tatsächlich spuckten die Bungalows und Etagenwohnungen mehr aus als die Friedhöfe. Sie verbrüderten sich mit rasch angemieteten Sälen in gutbürgerlichen Lokalen, wo man in gelöster Atmosphäre das bedrückende Erlebnis des Begräbnisses abschüttelte. Man verzehrte Kuchen und Schnittchen, erinnerte sich mit Wehmut an die eigene Sterblichkeit und fand mit den ersten Schnäpsen zu einer neuen Leichtigkeit des Seins.
Einige Male mischte ich mich unter die Anwesenden und überwand skeptische Blicke mit gezielt abgefeuerten Sätzen, wie: „Ich habe viel von ihm gelernt“ oder auch „Er war sicher kein einfacher Mensch, aber er hatte ein goldenes Herz“. Nach solchen Äußerungen wagte niemand mehr zu fragen, wer ich eigentlich sei und ein leutseliger Koloss von Mann erkannte eines Tages in mir sogar den Sohn eines Verwandten. Wir führten ein angeregtes Gespräch, bei dem ich Fragen stellte und er die Antworten gab, die mir verrieten, wie die nächste Frage auszusehen hatte. Im Verlaufe weniger Minuten erfand ich mühelos eine ganze Biografie samt Beiwerk und staunte selbst über den Fundus an Vorstellungskraft, der in mir schlummerte.
Am interessantesten war der Zustand der Witwen und ihrer Entourage. Unabhängig davon, ob die Exemplare zu der stämmig forschen Sorte oder der gebrechlich zittrigen Spezies gehörten, war ihnen ein Merkmal eigen. Sie waren von den Ereignissen überwältigt. Einige irrten umher wie ferngesteuerte Satelliten, andere brüteten stumm vor sich hin. Alle hatten leere Augen und wächserne Wangen. Der Schock hatte die Lebenskraft aus ihnen herausgesaugt und sie vorübergehend in Marionetten verwandelt, an denen die engsten Angehörigen zogen und zupften, auf die man einredete wie auf einen störrischen Esel und die mechanisch alles mit sich geschehen ließen, was an sie herangetragen wurde.
Als es mir gelungen war, dieses Verhaltensmuster zu identifizieren, machte ich mich unverzüglich an die Arbeit. Ich vergrub mich hinter meinem Schreibtisch und schrieb Rechnungen. Geld anzumahnen ist zu einer Art Lieblingsbeschäftigung geworden. Im Bereich der käuflichen Liebe erfordert das Forderungsmanagement eine robuste körperliche Verfassung und ist durch keinerlei Raffinesse getrübt. Im Geschäft mit Hinterbliebenen ist Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen vonnöten. Diese Prädikate sind ein natürlicher Bestandteil meines Wesens.
Bereits mein erster Versuch war ein voller Erfolg. Ich hatte meine Rolle genau einstudiert, aber genügend Spielraum für Improvisation gelassen. Den Briefkopf der Rechnungen hatte ich aus dem Internet kopiert. Sie glauben gar nicht, wie viele spezialisierte Versandhandelshäuser im Netz zu finden sind. Die meisten davon vertreiben Pornografie. Seien wir aufrichtig – wer bin ich, dass ich mich einem solchen Trend widersetzen sollte? Abgeschmackte Pornoartikel und alte Männer. Das passte. Auch alte Männer hatten ihre Geheimnisse. Die meisten von ihnen hatten keine Prostata mehr und auch sonst fehlte ihnen so einiges, was ihre besten Jahre lebenswert gemacht hatte. Was blieb, war der Nachhall guter Erinnerungen und die Begierde. Ja, die Begierde blieb. Dessen war ich mir sicher. Für diese Erkenntnis brauchte ich nicht in wissenschaftlichen Journalen der Geriatrie-Forschung nachzuschlagen. Die Grauen waren auch die Geilen. Sie benötigten lediglich ein wenig mehr an Stimulanz und Nachhilfe.
Mit Bedacht hatte ich mir einen kleinen Spezialversender ausgesucht, der