Название | Der Wünscheerfüller |
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Автор произведения | Achim Albrecht |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783942672221 |
Fast noch unbeweglicher als der eingeweichte Ballonkopf kauerten die von ihm aufs Korn Genommenen neben dem hinteren Ausstieg. Die Augen des schmächtigen Jungen klebten an mir wie Leim und die Zopfträgerin schaute besorgt durch die Reihen, als erwarte sie einen kollektiven Angriff. Natürlich geschah nichts dergleichen. Die Passagiere folgten dem bewährten Muster und starrten demonstrativ auf ihre Schuhspitzen oder in ihre Lektüre. Nichts regte sich außer dem Orangenaroma, das sich auf den Weg durch den Röhrenkörper des Busses gemacht hatte. Ich setzte dem Geduschten den Jägerhut auf den klebrigen Schädel und steckte dem Jungen fünfzig Euro zu. Beide schraken aus unterschiedlichen Gründen zurück. Das Gesicht des Mädchens hatte eine tiefrote Färbung angenommen. Der Bus bog in die Haltebucht am Bahnhof ein. Der Schneematsch unter den Reifen machte unanständige Geräusche. Beim Aussteigen kamen wir uns sehr nahe, aber nicht nahe genug, um miteinander zu sprechen.
Ich musste noch einmal zurück. Der Ballonkopf hob abwehrend die Hände. Mein schwarzer Aktenkoffer lag noch auf dem Sitz und wartete. Er war mit meiner Messersammlung, dem Pfefferspray und dem Taser fast ein wenig überladen. Hätten mein Aktenkoffer und ich schlechtere Laune gehabt, wäre die Episode für den Lodenmanteltypen nicht so glimpflich ausgegangen.
So aber konzentrierten wir uns auf das, was vor uns lag.
VI.
Leugnen Sie nicht, dass Sie mir in Gedanken den Bruch meiner Vorsätze und den Verrat an den Interessen von Susi, der Krautsalatkünstlerin, vorgeworfen haben. Warum, denken Sie, bin ich mit dem Bus zum Bahnhof unterwegs? Ein aufstrebender Geschäftsmann wie ich hatte wahrlich andere Dinge zu tun, als in einer tristen Kleinstadt im Winter Busfahrten zu unternehmen. Eine Kreuzfahrt läge da schon näher. Meine platonische, aber ungebrochen intensive Zuneigung zu Susi war der Grund für diese Ausflüge. Ich breche niemals meine Versprechen, auch wenn ich sie nur mir selbst gegenüber abgegeben habe und kein anderer davon weiß. Das ist ein eherner Grundsatz.
Ich war nicht nur ein Altruist, sondern auch ein Determinist. Aber das wissen Sie ja schon. Determinismus ist Entschlossenheit und Vorbestimmung. Ich ging meinen Weg und fühlte, dass es der richtige war. Er gab mir Halt und Richtung und wenn andere wie Susi davon profitieren konnten – umso besser. Was ich damit sagen will: Ich war kein Robin Hood, kein uneigennütziger Wohltäter und keiner der selbstlosen Superhelden, die anonym und missverstanden in ihren Superheldenkostümen vegetierten, bis ein Bösewicht sie erneut auf den Plan rief. Nein, so war ich wahrlich nicht. Was ich tat, machte ganz einfach Spaß und ich wüsste nicht, was dagegen spräche, auch noch einen ungewöhnlichen Broterwerb damit zu verknüpfen.
Determinismus hat als Quersumme der Buchstabenwerte die „Sieben“. Ich hoffe, es klingelt bei Ihnen. Selbstverständlich ist das kein Zufall. Die Sieben steht in der unbestechlichen Überlieferung der neun Schlüssel für „Sieg“. Sie erinnern sich: Altruist ergab die Zwei und damit den Verweis auf die absolute Weisheit. Es ist selbst für einen nicht Eingeweihten nur ein kleiner Schritt zu dechiffrieren, dass angewandte absolute Weisheit zu nichts anderem führen kann als zum Sieg. Und auf diesem Weg war ich. Die Schicksalsgötter hatten diese Bestimmung für mich ausersehen. Sie handelten ganz ohne mein Zutun.
Das Wenige, das ich beitragen konnte, lag zu zwei Dritteln hinter mir. Ich hatte mehr als genug Zeit damit verbracht, den untreuen Ehemann von Susi zu beschatten und Beweise zu sammeln. Er war Metzger und tat die meiste Zeit des Tages das, was Metzger tun. Der Schlachthof ist ein Ort, dem nur Spezialisten etwas abgewinnen können. Alles dreht sich um Fleisch und seine Verarbeitung. Das Töten hilfloser Kreaturen hat mich schon immer abgestoßen und so war es kein Wunder, dass ich dem rohen Gewerbe auf Fernglassicht entfloh, bis ich mir einreden konnte, die niedrigen Gebäude mit dem verwahrlost wirkenden Innenhof dienten einem ganz gewöhnlichen Industrieunternehmen.
Die meiste Zeit verrichtete der Metzger seine Arbeit wie ein Uhrwerk. Er trug die Gummistiefel und die Plastikschürze, als seien sie mit ihm verwachsen. In den Zigarettenpausen trat er auf die Lieferrampe und machte sich noch nicht einmal die Mühe, den weißen Kopfschutz und den Kettenhandschuh auszuziehen, der ihn vor Schnitten schützen sollte. Er wirkte griesgrämig und verschlossen. Wahrscheinlich wurde man so, wenn man sein Leben zwischen frisch geschlachteten Tierkadavern verbrachte, die blutend und leblos an Haken hingen. Es reichte, dass ich mir den Fettgeruch vorstellte, um zu würgen. Über meine Vorstellungskraft hinaus ging es, wie ein solches Wesen für jemand anderen eine derartige Faszination ausüben konnte, dass man es begehrenswert und unwiderstehlich fand. Und dennoch schien die Beweislage eindeutig. Susi hatte tränenreich von eindeutigen E-Mails gesprochen, die mehrfach die Fingerfertigkeit des Metzgers beim Sex rühmten.
Die Treffen fanden in einem abgetakelten Schuppen in der Nähe des Bahnhofs statt. Es ist nicht wirklich einfallsreich, sich zu einem Stelldichein im Rotlichtbezirk zu verabreden, aber was sollte ich machen. Das „Palais d’Amour“ sah nicht danach aus, als ob sich die anonymen Sexsüchtigen zu Therapiestunden trafen. Mit knallroten Herzchen und Laternen geschmückt prostituierte sich das ehemals brave Mehrfamilienhaus zunächst als Bordell mit Anspruch, danach als Puff für abgetakelte Fregatten und ihre Low Budget Kundschaft und schließlich als Stundenhotel, das versiffte Zimmer und von schwitzenden Leibern durchgewalkte Matratzen als „Ruheräume von höchstem Komfort“ anpries.
Der Besitzer war Portier, Koch und Zimmerpersonal in einer Person. Er gehörte zu der gelassenen Sorte Männer unbestimmten Alters, die die Hosen bis unter die Brust zogen und schon alles gesehen hatten. Wie das Haus, das er verwaltete, leistete er sich keine Eitelkeiten. Ihn kümmerte es nicht, dass immer ein ansehnlicher Trupp Schuppen aus seinen strähnigen Haaren auf die Kragen seiner Billighemden rieselte und er verband keinen Imageverlust damit, dass er weiße Socken zu altmodisch geflochtenen Sandalen trug. Er war über dieses Stadium hinaus. Er war ein müde und phlegmatisch wirkender Mensch mit Raubvogelgesicht und hellen Augen, die trotz deutlicher Anzeichen der Resignation noch scharf zu blicken vermochten. Männern wie ihm stand als Alternativberuf der des Philosophen zur Verfügung. Und wer weiß, vielleicht war er einer.
Ganz und gar andersgeartet waren die Besucher des Etablissements. Während meiner Beobachtungen hätte ich soziologische Studien anstellen können. Gemessen an der Artenvielfalt der Typen wären manche auch als zoologische Studienobjekte geeignet gewesen. Der Männeranteil überwog den der Frauen eindeutig. Szenen von Gruppensexorgien und sonstigen Ausschweifungen, bei denen die Männerpositionen doppelt besetzt sein müssen, um den dreifachen Spaß zu garantieren, gingen mir durch den Kopf. Im Grunde war ich froh, dass die Fantasien eher rational gesteuert zu sein schienen, denn sie lösten kein unerfülltes Verlangen aus, sondern einen dumpfen Kopfschmerz.
Mein Metzger kam dienstags. Damit meine ich jeden Dienstag. Dienstag war sein Fremdficktag. Andere kegeln, er hatte sich für die befriedigendere Lösung entschieden. Ich kann verstehen, dass sich Susi über die generalstabsmäßig ausgeführten Seitensprünge empörte. Keine der Frauen, die das „Palais d’Amour“ an Dienstagen frequentierten, konnten Susi das Wasser reichen. Soweit ich es erkennen konnte, handelte es sich durch die Bank um abgetakelte Flittchen, die auf hohen Hacken herumstaksten oder um ausgezehrte Drogenfreaks, denen die Todessehnsucht in die Haut gebeizt war. Mein Metzger ließ sich durch solche Kleinigkeiten nicht beeindrucken und schlurfte mit seiner prall gefüllten Leinentasche in die Kaschemme, um spät nachts in gleicher Manier und unverändert erscheinendem Gemütszustand wieder aufzutauchen. Er nahm immer das Zimmer 23 im zweiten Stock, direkt neben der Fluchttreppe. Ich hatte diskrete Erkundigungen eingezogen. Wenn Sie jemals in die Verlegenheit kommen, ein Stundenhotel zu buchen, denken Sie bitte daran, dass es um den Datenschutz fürchterlich bestellt ist.
Um den Bogen zurückzuschlagen, waren meine Observationen der Grund für den Inhalt meines Aktenkoffers. Präzise ausgedrückt handelte es sich noch nicht einmal um einen Aktenkoffer, obwohl er stark danach aussah. Eigentlich war das gute Stück ein Besteckkoffer für ein ekelerregend protziges Goldbesteck mit Prägung, das meine Mutter in einem Anfall völliger Geschmacksverirrung von einem fliegenden Händler erstand. Bis heute weiß ich nicht, was diese Kollektion ausgesuchter Hässlichkeit gekostet hatte. Was ich ganz sicher