Der Wünscheerfüller. Achim Albrecht

Читать онлайн.
Название Der Wünscheerfüller
Автор произведения Achim Albrecht
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783942672221



Скачать книгу

auf harten Typen. Sie konnten mir nichts tun, solange die Trauergäste anwesend waren und mich anstarrten, als sei ich ein Alien. Ich versuchte geschockt und beleidigt auszusehen. Das fiel mir nicht schwer, denn ich war geschockt und beleidigt. Sie hatten mir nicht die mindeste Chance gegeben. Sie hatten nur einfach nicht mitgespielt. Wer konnte so etwas ahnen? Für einen solchen Fall hatte ich keinen Pfeil im Köcher.

      Ich stand betreten in der riesigen Vorhalle, auf deren poliertem Mosaikboden Lichtflecke über verschütteten Kaffee und Überreste gekochter Eier huschten. Meine sorgfältig erstellte Rechnung ging von Hand zu Hand. Die anwesenden Damen erschienen mir etwas zu schrill und ihre männlichen Begleitungen zu stiernackig. Ihr Gelächter dröhnte in meinen Ohren. Ich fühlte, wie ich errötete. Schweiß lief mir über das Gesicht und in den Nacken, obwohl ein Monster von Klimaanlage die Luft in Eisschwaden verwandelte.

      Nachdem sich alle prächtig amüsiert hatten, fasste mich einer der Muskelklone am Kragen und drehte ihn mit einem Ruck herum. Ich schnappte nach Luft und hing wie ein nasser Lappen in meinem Anzug wie in einer Zwangsjacke. Die Alte nickte. Das Martyrium war vorbei. Sie würden mich vor das Grundstück schleifen und wie einen Beutel Müll auf die Straße werfen. Das konnte ich aushalten. Ich machte mir keine Sorgen mehr.

      Dann tastete eine Hand zwischen meine Beine und suchte nach dem idealen Griff. Es war nicht vorbei. Ich musste mir Sorgen machen. Dazu kam ich nicht mehr. Dafür sorgte der Klon, der auf das Hodenquetschen spezialisiert war. Ich nehme an, er machte seine Sache gut. Das Letzte, was ich bewusst wahrnahm, war ein blasses, blondes Mädchen in einem luftigen Tüllkleid in Hellblau mit roten Tupfen, das seine zerschrammten Knie vor mir zum Stehen brachte und einen Lutscher vor meinem Gesicht schwenkte. Es roch intensiv nach Kirsche.

      Danach roch alles nach Tränen, Rotz und Kotze. Ich nehme an, dass ich schrie und zwischenzeitlich das Bewusstsein verlor. Ich glaube, dass ich rief, ich sei die Vier und alle würden mich noch kennenlernen, bevor ich wieder unkontrolliert jaulte und das dritte oder vierte Mal an diesem verheißungsvollen Sommertag starb. Sie können sich nicht vorstellen, welche Verbindungen die Hoden zu jedem anderen Teil des Körpers unterhalten. Sie sind nicht lediglich unschuldige Keimdrüsen, die genug mit ihrem lächerlichen Aussehen und der täglichen Produktion von hundert Millionen Spermien zu tun haben. Sie sind Schmerzterroristen, die sich in ihrem vorwitzigen Geltungsdrang aus der schützenden Bauchhöhle hervorgestohlen haben und ihren runzeligen Sack voller Samenkanäle und Bindegewebe in quetschende Hände schmiegen.

      Gesichter und Wände rotierten um mich herum. Alles hatte sich in Bewegung gesetzt. Ich stand in Flammen. Die Luft wurde knapp. Eine sämige Flüssigkeit verklebte meinen Mund. Satzfetzen bohrten sich in meine Ohren. Ich verstand nicht. Ich war zu beschäftigt. Folter ist Vollbeschäftigung. Dann spielte ich nicht mehr mit.

      Sie mussten mir eine gute Anzahl Schläge mit der flachen Hand verabreicht haben, denn mein Gesicht war geschwollen wie nach dem Angriff eines Bienenschwarms. Den Schmerz fühlte ich kaum, denn er ging in der allgemeinen Übelkeit unter, die mich zwang, nicht mehr zu bewegen als die Augen. Diese starrten wie hypnotisiert auf einen schwerfälligen Veteranen, der vor mir kauerte und seine Zigarre in meine Richtung stieß.

      „Du bist also das kleine Arschloch, das meine Schwester abzocken will.“ Er zog an der Zigarre und richtete den glühenden Stumpen wieder auf mich. „Sie ist in tiefer Trauer. Ihr Mann war ein geachteter Unternehmer und unser aller guter Freund. Sie hat ihn geliebt.“ Ich rollte mit den Augen. Die Meute nickte und die Alte sah so frisch und zufrieden aus, als habe sie eine Runde auf meinem Grab getanzt. „Wir werden die Sache jetzt für dich lösen“, knurrte der Zigarrenmann und wuchtete sich in die Höhe. Seine Gelenke knackten. Die Meute nickte erneut und lächelte in stiller Vorfreude. Ich rollte mit den Augen und würgte.

      Klon Nummer drei dräute über mir wie ein Fass mit Sonnenbrille. Er riss seinen Arm nach oben und ließ ihn über meinem gekrümmten Körper schweben wie einen Falken auf der Suche nach Beute. Ein riesiges Messer zielte mit einer glänzend silbrigen Spitze auf meinen Brustkorb. Der Falke setzte zum Sturzflug an.

      Ich hörte auf mit den Augen zu rollen und fiel in Ohnmacht.

      Anfangs war ich sicher, dass ich dem Tod mit großem „T“ von der Schippe gesprungen war. Dann setzte man mir vorsichtig auseinander, dass mir der Tod seine Schippe gar nicht gezeigt hatte. Er hatte geblufft und der Bluff war gut. Schlecht nur, dass niemand außer mir an den Bluff glaubte. Deshalb hatten sie mir Handschellen angelegt, die sie am Bettgestell befestigten.

      Da lag ich nun in einem halb gekippten Zustand, nackt unter meinem kratzigen Krankenhausflügelhemd und in Begleitung einer wie vollgeschissen wirkenden Windel um meine Hüften, die außer meinen gemarterten Testikeln jede Menge Kühlgel enthielt. „Man hätte auch Eiswürfel nehmen können, wenn das nicht so eine Sauerei machen würde“, sagte der Engel der Güte in Schwesterntracht, der mir schalen Tee aus einer Schnabeltasse verabreichte und alles das von meinem mageren Körper abwusch, was ich unfreiwillig von mir gegeben hatte. Ich konnte riechen wie ich stank, aber ich hatte kein Gramm Scham mehr übrig, um es hier einzusetzen und so senkte ich den Kopf und bettelte nach Schmerzmitteln.

      Wenn ich wieder in einer besseren Verfassung bin, müssen Sie mir erklären, warum Krankenhäuser glauben, dass kranke Menschen lauwarmen Tee benötigen. Es kann keinesfalls das hoch qualifizierte und effiziente Personal der Klinik sein, das befürwortet, dass jeder Patient ohne Unterschied mit dem Sud bitterer Blätter und Kräuter traktiert wird, bis er den Verstand verliert. Nein, das Personal kocht, operiert, verwaltet und diagnostiziert. Es sind intelligente, aktive Menschen mit einem Auftrag und einem sozialen Gewissen. Ich denke, es ist das Gebäude selbst, das seinen unheimlichen Einfluss ausübt und den klaren Verstand mit Strahlen oder sonst was überlagert, sodass es zu massenhaften Schnabeltassenexzessen kommt. Momentan war ich nicht in der Lage mich zur Wehr zu setzen, aber bald würde ich zu einem Schnabeltassenverweigerer allererster Güte werden.

      Es waren solche Gedanken, die ich wie einen zähen Brei in meinem Kopf wälzte und alleine daran mögen Sie erkennen, wie es um mich bestellt war. Mein Zustand verbesserte sich auch nicht durch den Besuch eines Polizisten mit krausen Haaren und besorgter Miene, der mir mit gelangweiltem Gesicht vorhielt, was ich begangen haben sollte. Angeblich war ich in das umfriedete Grundstück eines verstorbenen Finanzinvestors eingedrungen und hatte die Trauergesellschaft mit einem Messer bedroht, als die Witwe des Toten bemerkte, dass ich sie in betrügerischer Absicht um mehr als achtzig Euro erleichtern wollte. Erst das beherzte Eingreifen eines Leibwächters habe die Bedrohung für Leib und Leben der Anwesenden beendet.

      Ich wollte lachen, weinte aber stattdessen, weil jede Muskelanspannung einen unerträglich ziehenden Schmerz durch meine Nervenbahnen jagte und der Tee durch den Katheter in meiner Blase als blutig aufbereiteter Urincocktail in einen Beutel tropfte. Der Polizist schien meine Vorstellung für ein Schuldeingeständnis zu halten und nickte bedeutungsschwer. Er ersparte mir die Durchsicht des kleinen Bündels Zeugenaussagen, die nach seinem Dafürhalten unwiderleglich waren, weil sie bis auf das letzte Komma übereinstimmten. Ich hatte so meine Ideen, wie es zu dieser Zusammenrottung identischer Falschaussagen gekommen war, aber ich brachte nicht viel mehr hervor als ein schwerfälliges Lallen, weil mir jemand in den letzten Stunden die Zunge durchgebissen hatte. Die Krankenschwester, die mir eine Kanüle in den gefesselten Arm gesteckt hatte, um meinen Körper mit anderen Dingen als Tee zu versorgen, meinte, das Durchbeißen der Zunge habe ich selbst besorgt. Jetzt hatte ich dreimal so viel Zunge im Mund als je zuvor und fühlte mich nicht gut dabei.

      Meine liebe Mutter erschien am nächsten Tag an meinem Bett. Sie triefte vor illegalen Substanzen und schlechten Nachrichten. Mit theatralischer Geste hielt sie eine Zeitung vor mein Gesicht. Ich hatte es immerhin auf die dritte Seite geschafft. „Jugendlicher Trickbetrüger wird von Witwe des Bordellkönigs in die Zange genommen“. Die fette Schlagzeile machte Sinn und erklärte die rauen Umgangsformen. In Gedanken notierte ich mir, die Schadensersatz- und Schmerzensgeldklage gegen die Witwe fallen zu lassen. Die mageren Spalten käuten die Geschichte aus Sicht dieser Lügner wieder und verwiesen darauf, dass die Umstände des Todes des Pornomagnaten noch ungeklärt waren. Wie man hörte, war er an gewaltigen Kopfschmerzen gestorben. Hinter jedem der drei Einschusslöcher in seinem Schädel steckte