Der Wünscheerfüller. Achim Albrecht

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Название Der Wünscheerfüller
Автор произведения Achim Albrecht
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783942672221



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E-Mails erfolgte nie eine Antwort. Der wie eine Ärzteseite aufgemachte Versand war ein seriös anmutendes schwarzes Loch. Er war mein schwarzes Loch. Sie mögen an dieser Stelle denken, dass ich mich wie ein elender Schmarotzer aufführte – und Sie haben recht. Die Natur wimmelt von Schmarotzern. Wo man hinsieht wird auf Kosten anderer gelebt. Bandwürmer und Kuckuckskinder, Schlingpflanzen und Parasiten. Und wissen Sie was: Die Schmarotzer sind erfolgreich. Basta!

      Erfolgreich war auch ich. Die gute Vorbereitung hatte sich ausgezahlt. Ich hatte die richtigen Gesten einstudiert. Mit einem entschuldigenden Lächeln präsentierte ich mich an den Haustüren und verlangte mit dem Verstorbenen zu sprechen. Die Verwirrung über die Trauermienen spiegelte sich auf meinem Gesicht. Ich errötete auf Kommando, stammelte im Angesicht der Peinlichkeit, die ich den Angehörigen bereitete und erweckte den Eindruck, dass ich den Rückzug antreten wollte.

      Man nahm mir widerspruchslos den Auszubildenden ab, der an Nachmittagen auf Inkassotour geschickt wurde, wenn Kunden hartnäckig keine Zahlung leisteten. Die Witwen mit ihren ledrigen Walnussgesichtern verstanden meist nicht, um was es ging, wenn ich mich in meiner Verlegenheit wand und ihnen zu erläutern versuchte, dass die bestellten Mittel im Werte von wenig über achtzig Euro, dem Besteller zu einem erfüllteren Sexualleben verhelfen sollten. Ich erfand zugunsten des Verstorbenen blumige Umschreibungen, bis Verwandte gerufen wurden, die stirnrunzelnd die widerstrebend überreichte Rechnung prüften und die Augen nach oben verdrehten, mit den Köpfen wackelten und seufzten, als hätten sie eine solche Blamage schon seit langer Zeit kommen sehen.

      „Aber er war doch seit langer Zeit herzkrank“, sagten sie. „Von Computern hatte er keine Ahnung“. „Dabei lebte er sehr zurückgezogen seit seinem Schlaganfall“. Die ganz Beherzten machten ihrer Seelenverfassung mit drastischeren Worten Luft. „Der geile alte Bock hätte sich ruhig mehr um seine Kinder kümmern können, als sein Geld mit irgendeiner Schlampe zu verjubeln, für die er teure Pillen schlucken musste, nur um einen hochzukriegen“, sagte eine liebende Tochter mittleren Alters, die ein Zuviel an schimmerndem Make-up mit ausdruckslosen Schlangenaugen wettmachte.

      Auf alles hatte ich eine Antwort. Ich sympathisierte, beschwichtigte und intrigierte nach Herzenslust. Ich gab mich bald zerknirscht, bald kämpferisch und bei Bedarf achselzuckend und ratlos. Ich zerstreute Bedenken, indem ich zur klärenden Kontaktaufnahme mit meinem Unternehmen ermunterte und blieb stumm, wenn man sich fragte, wo wohl die Tabletten abgeblieben sein mochten. Zu Drohungen mit rechtlichen Schritten mochte sich niemand hinreißen lassen. Es herrschte zu viel Chaos und Entwurzelung. Außerdem gab es mit der Verteilung der Erbschaft wichtigere Dinge zu erledigen.

      Ich war eine lästige kleine Schmeißfliege, vermeintlich geschickt von einem Pulk anderer lästiger Schmeißfliegen, die mit dem Triebleben braver Bürger ihr Geld machten. Ich war ein verächtlicher Geldeintreiber und dabei so erbarmungswürdig ungeschickt und kriecherisch, dass man den Schleim, den ich absonderte, buchstäblich vom Hauseingang wegwischen musste. Niemand wollte wirklich, dass eine solche Kreatur mit nervös hüpfendem Adamsapfel, pickligem Kinn und fettigen Blondhaaren wieder vor ihrer Tür erschien und sie belästigte. Was sollten die Nachbarn denken? Welch ein Ansehensverlust drohte der Familie und dem Angedenken des Toten. Möge er in Frieden ruhen.

      Und dann winkten sie mich mit falscher Vertraulichkeit heran, reckten die Hälse in alle Richtungen und zahlten. Ich hatte für Wechselgeld und Quittungen gesorgt. Das hätte ich mir sparen können. „Junger Mann“, sagten sie zu mir im Flüsterton und reichten die Scheine herüber. Sie falteten die Rechnung und steckten sie hastig weg, als sei sie ein unberechenbares bösartiges Tier. Sie wehrten meine umständliche Suche nach dem korrekten Betrag an Wechselgeld ab und flüsterten: „Für Ihre Mühe, junger Mann“. Ich weiß, was sich gehört und antwortete im gleichen Verschwörerton, dass nun alles erledigt sei. Weil es keine Mühe machte und ich ein wenig Zuversicht verbreiten wollte, verbürgte ich mich in ernstem Ton persönlich dafür, dass die Familie nicht mehr behelligt werde.

      Mein Abgang gestaltete sich fast immer wortreich mit gegenseitigen Versicherungen, dass man über die Art des Zusammentreffens äußerst unglücklich sei, aber natürlich niemand eine Schuld trage. Ich übernahm den Part des unaufrichtigen Wünschens aufrichtiger Anteilnahme und verbeugte mich ein letztes Mal vor abwehrend ausgestreckten Händen, die mich nicht schnell genug vom Grundstück winken konnten.

      So einfach war die wunderbare Geldvermehrung und schon bald träumte ich von einer Ausweitung meiner Aktivitäten, von der Perfektionierung meines Systems, von einer schlagkräftigen Truppe Trickbetrüger, die als Drückerkolonnen in Sachen Leichenfledderei über die Lande zogen und Gelder generierten, von denen ich als Ideengeber am meisten profitierte. Ich dachte an eine Art Franchise im Trauerabzockebereich, an ein gut geöltes Pyramidensystem mit Direktoren, Bereichsleitern und Gruppenleitern, die Anfänger akquirierten und schulten. Ich war im Himmel und dachte keinen Augenblick daran, dass ich ein Arschloch sein könnte.

      Natürlich werden Sie sagen, dass ich hätte wissen müssen, dass mein dreizehnter Besuch zur besonderen Vorsicht mahnte. Ich bitte Sie – es ist doch alberner Schnickschnack, dass die Zahl Dreizehn Unglück bringt. Das ist blanker Aberglaube und außerdem war der Besuchstag noch nicht einmal ein Freitag. Es ist doch so, dass die Quersumme der Dreizehn unbestreitbar die Vier ist und die Vier nach der Zahlenmagie der Runenkunde für verlässliche, loyale und hart arbeitende Menschen mit Organisationstalent steht, die stets fair bleiben, aber oft einen hohen Preis für ihren Erfolg zahlen. Die Vier steht für Menschen wie mich.

      Dennoch war irgendetwas schiefgelaufen. So sehr ich im Nachhinein meinen Kopf zermartere – ich kann kein Anzeichen entdecken, das mir an jenem Sommermorgen als schlechtes Omen hätte erscheinen müssen. Es war ein drückend heißer Tag, ein Ferientag, ein Tag für den erfolgreichen Geschäftsmann. Ich hatte mir die Familie eines verstorbenen Greises ausgesucht, die in der besten Wohngegend residierte. Es roch nach Geld und gutem Ansehen. Ich überprüfte meine Utensilien. Die Rechnung steckte in einer abgewetzten Ledermappe, die bestens zu meinem schlecht sitzenden Anzug passte. Meine Mutter fragte aus dem Hintergrund mit schwerem Zungenschlag, wann ich wieder zurück sein würde. Sie vermisse ihren Jungen jetzt schon. Sie war unerträglich sentimental, wenn sie trank. Bald würde ich mir eine eigene Wohnung leisten können. Ich verließ das Zimmer, ohne zu antworten.

      Das Zielgebiet war für Mountainbikes und schwere Geländewagen gebaut worden. Überall dehnten Rampen ihre rissigen Bäuche aus der Straßendecke und einbetonierte Pflanzenkübel zwangen zu einer endlosen Zickzackfahrt. Der Saum des nahen Waldes schwitzte heißen Dunst aus. Eine bleierne Schwüle lag über der Siedlung.

      Eine Reihe schwerer Limousinen stand in der Auffahrt des Hauses, das ich zu besuchen hatte. Sie wirkten, als hielten sie die Luft an. Eigentlich konnte man das Haus als Villa bezeichnen. Gediegener Wohlstand verbreitete sich von dem schmiedeeisernen Tor über die mit Blumenrabatten eingefassten Rasenflächen bis zu den kecken Türmen, die einen gotischen Torbogen flankierten. Hier würde ich keine Probleme haben.

      Als die scharfgesichtige Alte die Tür öffnete und mit lackierten Krallen nach meiner Aktentasche griff, wusste ich sofort: Hier würde ich Probleme haben. „Haben Sie es dabei? Ich hoffe, Sie haben es dabei“, keifte sie in einem unangenehmen Falsett, das alleine für sich als Mordwerkzeug ausgereicht hätte.

      „Ich, ich, ich …“ Das Stottern war dieses Mal keine Masche.

      „Da hat die Versicherung aber einen richtigen Jungspund geschickt. Einen Milchbubi. Erledigen wir zuerst das Geschäftliche und dann können wir zusehen, was wir sonst noch miteinander anfangen können. Der Tag ist noch jung“. Die alte Vettel hatte ein anzügliches Grinsen aufgelegt, das ihre leberfleckige Haut in ein wellenförmiges Netz tiefer Falten warf. Sie bleckte die Zähne, die mich aus Lippenstiftflecken anstarrten. Eine beringte Hand tätschelte eine bläulich gefärbte Dauerwelle, die wie Zuckerwatte auf dem schmalen Schädel thronte. Die Stimmlage hatte sich zu einem heiseren Gurren abgesenkt.

      Ich entschloss mich zur Flucht und trottete unschlüssig rückwärts. Eine der Limousinen spuckte einen ungnädigen Bodyguard-Typen aus, der mich schweigend erwartete. Zu ihm gesellte sich sein Klon, der mir den Fluchtweg durch die Sträucher abschnitt. Resigniert blieb ich stehen. Die Alte kicherte amüsiert.

      Mein Schweigen nützte mir wenig.