Der Wünscheerfüller. Achim Albrecht

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Название Der Wünscheerfüller
Автор произведения Achim Albrecht
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783942672221



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sich nicht mit meinem Wohl deckte. Ich nehme an, er hatte über dieses Problem nie nachgedacht, obwohl das Denken und der Verzicht zu seinen Stärken zählten. Er war ein stiller, hagerer Zeitgenosse mit einer rot und blau geäderten Nase, die ihm von den Trinkerzeiten geblieben war. Zumeist kleidete er sich schwarz, denn schwarz ist die richtige Farbe, wenn man sich im Krieg mit dem Teufel Alkohol befindet. Er verdiente gutes Geld mit Vorträgen über die Gefahren des Alkohols und rettete immer dann neue Seelen, wenn er dünnlippig und mit dürren Worten über sein persönliches Martyrium berichtete, das damit begann, dass er seinen Wagen betrunken gegen einen Baum steuerte, dessen unterster Ast seine neben ihm sitzende Frau köpfte. Danach war er in einem Strudel von Besäufnissen und Abstürzen versunken, bis es ihm nach Jahren in der Gosse gelang, dank der „Anonymen Alkoholiker“ Fuß zu fassen. Er dramatisierte und beschönigte nichts. Er saß nur da und war bereit, die Last der anderen auf sich zu nehmen; und seit Neuestem verehrte er meine Mutter.

      Grundsätzlich war an der Liaison nichts auszusetzen. Alex war ein Verehrer alter Schule. Er begnügte sich mit altmodischen Ritualen, wie Handküssen, dem guten alten Rezitieren von Gedichten und dem Überreichen von Pralinen und Blumengebinden. Zu mir verhielt er sich respektvoll und ohne Vorbehalte. Ich kann sagen, dass ich ihn fast mochte. Was ich ganz und gar nicht mochte war, wie er mein Leben durcheinander brachte, indem er meiner Mutter auf seine galante Weise Eigenständigkeit und Lebensmut einhauchte.

      Anfangs versuchte ich sie auf subtile Art und Weise zum Trinken zu animieren. Ich deponierte ihre Lieblingsliköre und leckere Weine in Reichweite und beobachtete enttäuscht, dass sie ihre magische Anziehungskraft verloren hatten. Meine liebe Mutter schöpfte Trost aus anderen Quellen und Kraft aus sich selbst. Diese Form rasanter Emanzipation war nichts weniger als besorgniserregend.

      Besorgniserregend ist es auch, wie einfach man Kaliumzyanid, volkstümlich Zyankali, beschaffen kann, wenn man ein aufmerksamer Oberstufenschüler ist und eine interessante Versuchsanordnung präsentiert. Man beginnt mit einer angeregten Unterhaltung mit einem vom Leben desillusionierten Chemiedozenten, der sich zu Höherem berufen fühlte und in den Niederungen des Schulalltags sein Dasein fristet. Es ist anzuraten, die Hobbys des Lehrers in Erfahrung zu bringen und auf deren Grundlage eine Versuchsreihe für ein Referat vorzuschlagen. Dem Dozenten ist bekannt, dass durch das Erhitzen von Blutlaugensalzen wie Kaliumhexacyanidoferrat (III) und Schwefelsäure Blausäure entsteht, die mit Kalilauge neutralisiert und anschließend eingedampft wird. Weniger sicher ist er sich bei dem alten Verfahren, bei dem Kaliumcyanid durch Einwirken von Kohlenstoffmonoxid und Ammoniak auf Pottasche bei hohen Temperaturen hergestellt wird. Der Mann hat seine Skrupel, aber er fühlt sich geschmeichelt, weil man an sein Fachwissen appelliert und seine Mitwirkung bei den Versuchen erbittet. Er stürzt sich in die Vorbereitungen, trifft mit Akribie die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen, zwingt dich zu einer detaillierten Versuchsbeschreibung, sinniert über den Bittermandelgeruch der farblosen Kristalle. Kurz, er ist überflüssig wie ein Kropf und doch die beste Tarnung, die man sich wünschen kann, wenn man die gewonnenen Kristalle abwiegt und ein gewisses Quantum für den Humanversuch beiseiteschafft. Man erhält eine gute Zensur für den erbrachten Nachweis der Haupteigenschaften des Kaliumsalzes der Blausäure und hat den Theorieteil mit Bravour hinter sich gebracht. Man hat gelernt, dass sich die Kristalle bei 25° C leicht in Wasser lösen und die tödliche Dosis Cyanid etwa 140 mg bei erwachsenen Menschen beträgt.

      Alex freute sich über mein Interesse, als ich ihn unverfänglich nach seinem Körpergewicht befragte und ihn für seine Disziplin in allen Lebensbereichen lobte, als er antwortete, dass ihn die Abstinenz von Alkohol auch gelehrt habe, seinen Körper nicht mit anderen Genussgiften und übermäßigem Essen zu ruinieren. Er wiege schon seit Jahren 78 kg, was ihn weder zum Athleten, noch zum Asketen stempele. Ich weiß noch genau, welchen Satz er anfügte. Er wirkte ein wenig frömmlerisch, aber durchaus liebenswert. Er sagte: „Ich bin tätig durch den, der mir Kraft verleiht“ und seine schiefergrauen Augen hefteten sich mit Nachdruck an mein Gesicht. Das Gewicht meiner Mutter kannte ich ziemlich genau, denn bei einem Überschreiten der Marke von 55 kg begannen unansehnliche Wülste ihr Catwoman Kostüm auszubeulen und die darauf fixierte Kundschaft abzuschrecken, sodass wir regelmäßige Gewichtskontrollen zu einem Teil des Arbeitsablaufs gemacht hatten.

      Wussten Sie, dass nur etwa ein Drittel der Menschen aufgrund ihrer genetischen Veranlagung in der Lage sind, den auf die Gefährlichkeit der Substanz hinweisenden Bittermandelgeruch von Zyankali wahrzunehmen? Ehrlich gesagt wusste ich es auch nicht, aber ich war dankbar für diese informative Lesefrucht, die mich dazu brachte, eine kleine Kolonie köstlichen Marzipankonfekts mit Zyankalilösung zu impfen, liebevoll zu dekorieren und in eine unwiderstehlich aussehende Geschenkverpackung zu hüllen, die sich kaum von den Verpackungen unterschied, mit denen Alex meine Mutter ansonsten überraschte. Die Pralinen fanden an einem Nachmittag ihren Platz vor der Rückbank seines Autos, wo sie den Eindruck erwecken mussten, als seien sie zufällig von der Sitzfläche gerutscht und sträflicherweise vergessen worden. Sie müssen zugeben, dass meine kleine Inszenierung genügend Platz für die Art Gottesurteil einräumte, die Alex so sehr schätzte.

      Es war völlig ungewiss, ob und wann jemand die Nascherei zu sich nehmen würde. Vielleicht würde sich alles zum Guten wenden. Insgeheim hoffte ich, dass es so sein würde.

      Eines konnte aber selbst ich nicht leugnen: Die kommenden Wochen waren unbekömmlich für Naschkatzen.

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